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Europäische Union
Was Johannisbeerlikör mit dem EU-Binnenmarkt zu tun hat

Ein gemeinsamer Markt, in dem sich Waren und Personen frei bewegen können – das war seit Gründung der EU das Ziel. Aber viele Mitgliedsländer schotteten ihre Wirtschaft jahrelang ab. Das hat sich erst mit dem Cassis-de-Dijon-Urteil 1979 grundlegend geändert.

Von Alois Berger | 20.02.2019
    Etikett des französischen Johannisbeer-Likörs Cassis de Dijon. Ende der 1970er Jahre wollte Rewe diesen importieren. Weil er aber weniger als 32 Prozent Alkohol hatte, verbot die Bundesmonopolverwaltung den Import.
    Etikett des französischen Johannisbeerlikörs Cassis de Dijon, der zum Symbol für die Schaffung des EU-Binnenmarktes wurde (imago stock&people)
    Kir Royal, Champagner mit Johannisbeerlikör, gehört inzwischen zu den Klassikern der Mixgetränke. Erfunden wurde er im Burgund und verbreitet von einem gewissen Felix Kir, Bürgermeister von Dijon. Doch als die Kölner Handelsfirma REWE den burgundischen Johannisbeerlikör Cassis de Dijon Mitte der 1970er Jahre nach Deutschland bringen wollte, stoppte die Bundesmonopolverwaltung für Branntwein die Einfuhr.
    In Deutschland müsse Branntwein mindestens 32 Prozent Alkohol haben, Cassis de Dijon habe nicht mal 20 Prozent. Der Luxemburger Verbraucherschützer Bob Schmitz, damals Vize-Generalsekretär der europäischen Konsumgenossenschaften, erinnert sich an die Begründung der Behörde:
    "Weil da weniger Alkohol in diesem französischen Produkt ist, da würden sich die Verbraucher schneller an Alkohol gewöhnen. Das war das Gesundheitsargument, das wurde vorgebracht."
    Angst vor ausländischer Konkurrenz
    Zwar hatten die Gründerstaaten der Europäischen Union von Anfang an den gemeinsamen Binnenmarkt mitbeschlossen, im Detail aber versuchte jede Regierung ihre heimischen Produkte vor ausländischer Konkurrenz zu schützen. Beim Käse etwa stellten sich die Niederländer quer.
    "Die holländische Norm verbot im Käse verschiedene Zusatzstoffe mit dem Hinweis, dass die Holländer mehr Käse essen würden als die anderen in der Gemeinschaft. Aber ob die Holländer wegen der Zusatzstoffe den Geschmack anders empfanden, das bleibt offen."
    Deshalb glaubte man in Brüssel, man müsse für alle Lebensmittel europaweit einheitliche Rezepturen entwickeln. Die Richtlinie 77/436 EWG zum Beispiel schreibt vor, dass Kaffee aus gerösteten Kaffeebohnen gemacht wird. Das war einfach. Aber schon bei der Schokolade gab es Probleme, weil die Franzosen Schokolade lieber etwas weicher, die Belgier lieber dunkler, die Deutschen heller und die Briten vor allem cremig und süß mögen. Allein um die Schokoladenrichtlinie wurde jahrelang gestritten.
    Die Klage kam der EU-Kommission gerade recht
    Als die Kölner Handelsfirma Rewe gegen das Einfuhrverbot für den Johannisbeerlikör Cassis de Dijon klagte, da kam das der Europäischen Kommission gerade recht, meint Jörg König von der Denkfabrik "Stiftung Marktwirtschaft".
    "Es ist auf jeden Fall zur richtigen Zeit gekommen, ansonsten hätte man für zigtausend Güter einzelne Richtlinien vorgeben müssen, und dem hätte man nicht Herr werden können."
    Der Europäische Gerichtshof entschied: Was in einem EU-Land zugelassen ist, darf in allen EU-Ländern verkauft werden. Wenn das Produkt nachweislich der Gesundheit oder der Umwelt schadet, dann muss es eben in allen EU-Ländern verboten werden. Mit dieser Entscheidung hat der EuGH vor genau 40 Jahren den Binnenmarkt vom Kopf auf die Füße gestellt, sagt Europa-Experte Jörg König:
    "Das hat natürlich eine Dynamik für den Binnenmarkt bedeutet. Einmal ist es ja positiv für die Produzenten, da sich dadurch der Absatzmarkt vergrößert und die Bürokratiekosten senken lassen. Andererseits auch für die Konsumenten, die eine höhere Produktvielfalt genießen und günstigere Preise bezahlen können."
    Ein Gerichtsurteil mit weitreichenden Folgen
    Nach der Cassis-de-Dijon-Entscheidung hat der Handel zwischen den europäischen Ländern deutlich zugenommen. Ravioli aus der Toskana, Pasteten aus der Provence – selbst regionale Spezialitäten sind heute überall in Europa zu kaufen.
    Einzige Ausnahme ist der schwedische Lutschtabak Snus. Denn als Schweden vor 20 Jahren der Europäischen Union beitrat, da befürchtete die französische Regierung, dass sich bald auch französische Jugendliche die Tabakbrösel unter die Lippe schieben könnten. Paris war bereit, den schwedischen Beitritt daran scheitern zu lassen. Snus darf deshalb nur in Schweden verkauft und nicht exportiert werden.
    Der schwedische Europaabgeordnete Christofer Fjellner regt sich seit über zwanzig Jahren darüber auf, dass die Europäische Union ausgerechnet das seiner Ansicht nach harmloseste Tabakprodukt verbiete, Snus belästige niemanden und sei auch weniger krebserregend als etwa Zigaretten.