Donnerstag, 28. März 2024

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Europäische Verteidigung
"Stärkeren Beitrag zur eigenen Sicherheit leisten"

Zwar sei die NATO funktionsfähig und übernehme eine stabilisierende Funktion, sagte der CDU-Außenpolitiker Andreas Nick im Dlf. Die Politik der USA sei allerdings immer weniger vorhersehbar. Europa müsse sich darum mehr um seine eigene Sicherheit kümmern und von den USA unabhängig machen.

Andreas Nick im Gespräch mit Christiane Kaess | 08.11.2019
Die Flaggen der Bundesrepublik Deutschland (l), der Nato und der Europäischen Union (r) stehen im Schloss Bellevue nebeneinander.
Die Politik der USA sei aktuell unberechenbar, sagte der CDU-Bundestagsabgeordnete Andreas Nick (picture-allaince / dpa / Soeren Stache)
Christiane Kaess: US-Außenminister Mike Pompeo kennt Deutschland schon lange und aus einem ganz besonderen historischen Kontext. Er war vor 30 Jahren, als die Mauer fiel, als US-Soldat an der innerdeutschen Grenze stationiert. Wahrscheinlich war es ihm auch deshalb ein Anliegen, bei seinem derzeitigen Deutschland-Besuch an die Orte zu reisen, an denen die Grenze sichtbar war oder an sie erinnert wird. In Zeiten angespannter deutsch-amerikanischer Beziehungen lief sein Besuch dann bisher auch unerwartet harmonisch ab. Heute stehen mehr politische Stationen auf seinem Programm. Pompeo hat heute Vormittag bei der Körber-Stiftung in Berlin gesprochen.
Ich kann darüber jetzt sprechen mit Andreas Nick von der CDU. Er ist im Bundestag Mitglied im Auswärtigen Ausschuss. Guten Tag, Herr Nick.
Andreas Nick: Schönen guten Tag.
Kaess: Macron bescheinigt der NATO den Hirntod und Annegret Kramp-Karrenbauer will, dass Deutschland in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik mehr Verantwortung übernimmt. Ist auf die USA tatsächlich nur noch so wenig Verlass?
Nick: Nun ist, glaube ich, diese Woche mit dem 30. Jahrestag des 9. November ein Anlass, wo wir uns auch noch mal an den herausragenden Beitrag der transatlantischen Beziehungen unserer amerikanischen Partner auf dem Weg zur deutschen Einheit erinnern. Es sind ja viele Besucher in dieser Woche in der Stadt und diese positive Erinnerung auch an insbesondere die Leistung von Präsident George Bush und Außenminister Baker, die hat natürlich eine etwas ambivalente Wirkung, weil wir uns zum einen an diese hervorragende Historie, für die wir als Deutsche allen Grund zur Dankbarkeit haben, erinnern, weil sie natürlich aber auch ein Stück weit kontrastiert mit dem, was wir in Stil und Substanz in der Politik der gegenwärtigen amerikanischen Administration erleben. Daraus ergeben sich natürlich auch für uns und für unsere Sicherheit in Deutschland und Europa Fragen und mit denen müssen wir uns auch intensiver auseinandersetzen.
"Die NATO ist eine wirklich extrem stabilisierende Struktur"
Kaess: Herr Nick, viele sagen ja schon, dieses Gedenken im Moment, das vernebelt ein bisschen die ganzen Differenzen, die es gibt. Die USA haben einfach unter Donald Trump die NATO immer wieder in Zweifel gezogen. Der Abzug aus Nordsyrien zuletzt, das hat für viele gezeigt, dass sie als Partner unzuverlässig sind. Kann man sie noch als zuverlässige Partner werten?
Nick: Ich würde das sehr differenzieren. Wir haben insbesondere weiter eine Funktionsfähigkeit der NATO-Strukturen, die wir in ihrer Bedeutung nicht unterschätzen sollten. Das ist etwas, was, wenn man nicht nur Überschriften liest, auch Präsident Macron in seinem Interview deutlich zum Ausdruck gebracht hat. Aber wir haben natürlich eine Veränderung in der amerikanischen Politik, von der wir heute noch nicht wissen können, wie dauerhaft und wie nachhaltig sie ist. Die vollzieht sich primär zunächst mal in anderen Politikfeldern, etwa in der Handelspolitik und in der Frage, wie die Vereinigten Staaten ihre künftige Rolle in der Welt definieren.
Der CDU-Bundestagsabgeordnete Andreas Nick
Der CDU-Bundestagsabgeordnete Andreas Nick sagt, Europa muss stärker zusammenarbeiten (imago / Metodi Popow)
Wie gesagt: Die NATO ist eine funktionsfähige, eine wirklich extrem stabilisierende Struktur. Aber die Frage, ob diese unterschiedlichen Auffassungen in vielen anderen politischen Fragen nicht irgendwann auch auf die Sicherheitsfragen übergreifen, die müssen wir uns durchaus stellen, und wir sind, glaube ich, auch gut beraten, unabhängig von der Frage, welchen Weg die amerikanische Politik in den nächsten zehn oder 20 Jahren geht, dass wir in Europa einen stärkeren Beitrag zu unserer eigenen Sicherheit leisten müssen – in der NATO, aber auch in einer intensiveren europäischen Zusammenarbeit.
Kaess: Klar ist ja offenbar auch, dass in der ganzen Diskussion der Druck aus den USA eine ganz starke Rolle spielt. Wenn wir jetzt diesen viel diskutierten und auch viel kritisierten Vorschlag der Verteidigungsministerin uns anschauen, die Bundeswehr in mehr Auslandseinsätze zu schicken, das kommt sicherlich auf Seiten der USA gut an, genauso wie jetzt dieser konkret formulierte Vorschlag, dass Deutschland bis 2031 das sogenannte Zwei-Prozent-Ziel an Verteidigungsausgaben erreichen soll. Das bedeutet ja unterm Strich Milliarden Mehrausgaben, und auch das fordern die USA schon lange. Aber macht Deutschland da unter der neuen Verteidigungsministerin einen Schwenk, der einfach diesem steigenden Druck der USA zuzurechnen ist, für den aber weder die Bundeswehr ausreichend ausgerüstet ist, noch genügend Geld vorhanden ist?
Nick: Ich glaube, die Verteidigungsministerin leistet in der Verantwortung ihres Amtes einen wichtigen Beitrag zur Diskussion, uns auf veränderte sicherheitspolitische Notwendigkeiten und Anforderungen auch innenpolitisch einzustellen.
Kaess: Aber dass das unter dem Druck der USA passiert, würden Sie nicht leugnen?
Nick: Ich sehe das etwas anders. Ich glaube, wenn wir das einen innenpolitischen Diskurs nennen, der mit einem Narrativ versehen ist, wir tun das alles nur, um nett zu den Amerikanern oder nett zu Herrn Trump zu sein, dann ist das eine völlig verfehlte Debatte. Ich glaube, wir müssen uns um unsere eigenen Sicherheitsinteressen deutlich mehr kümmern. Das hat auch die Bundeskanzlerin schon vor zwei Jahren in ihrer Trudering-Rede deutlich gemacht, weil die Welt sich dahin verändert, dass wir uns nicht mehr uneingeschränkt nur auf andere verlassen können. Und die Frage, in welchem Instrumentarium wir das tun, da muss man auch ganz offen sagen: Wenn wir das nur europäisch und außerhalb von NATO-Strukturen tun würden, würde es noch wesentlich teurer. Es ist, glaube ich, keine Frage, die aus Gefallsucht gegenüber einer amerikanischen Administration zu diskutieren ist, sondern aus einer fundamentalen Analyse unserer eigenen Sicherheitserfordernisse und unserer eigenen Verantwortung.
"Wir wollen das Bündnis mit den USA weiter intensiv pflegen"
Kaess: Was lesen Sie denn darüber hinaus aus dem Auftritt des US-Außenministers und aus seinen Worten? Wir haben gerade schon von unserem Korrespondenten aus Berlin gehört, das ist auf der einen Seite sehr konziliant gewesen. Auf der anderen Seite kam da durchaus auch schon härtere Kritik vor, wie zum Beispiel, dass man sich nicht abhängig machen sollte von russischer Energie.
Nick: Ein größeres Problem der amerikanischen Politik im Moment ist ja etwas ihre mangelnde langfristige Berechenbarkeit. Ob dann bestimmte Aussagen bis zum nächsten Tweet des Präsidenten Gültigkeit haben, haben wir ja gerade auch in Syrien vorgeführt bekommen, und das ist natürlich ein Teil einer Diskussionslage. Ich glaube, wenn wir mal auf die fundamentalen Aspekte hingehen, ist eine der großen Fragen, ob die amerikanische Administration auf Dauer auch über diesen Präsidenten hinaus eine Politik verfolgen wird, wie sie etwa vor zwei oder drei Jahren mal in einem Aufsatz beschrieben worden ist des damaligen Sicherheitsberaters, dass man die Welt nicht mehr als eine "Global Community" sieht, sondern nur noch als eine Arena, wo Staaten und private Akteure miteinander im harten Wettbewerb stehen.
Das ist eine völlig andere Philosophie als die, die über 70 Jahre auch das NATO-Bündnis getragen hat, und auf eine solche Situation müssen wir uns in Deutschland und in Europa auch ein Stück weit vorbereiten. Und dass die geografische Aufmerksamkeit der Vereinigten Staaten, unabhängig davon, wer Präsident ist, sich möglicherweise eher dem asiatischen Raum und der Rivalität mit China zuwenden wird, ist auch eine Realität, auf die wir uns in Europa einstellen müssen. Wir wollen und werden das Bündnis mit den Vereinigten Staaten weiter intensiv pflegen und weiterentwickeln, aber wir werden in diesem Kontext auch als Europäer mehr Verantwortung für unsere eigene Rolle in der Welt wahrnehmen müssen.
Kaess: Aber, Herr Nick, wenn ich Sie richtig interpretiere, dann nehmen Sie den US-Außenminister nicht beim Wort, wenn er zum Beispiel – das hat er, glaube ich, gestern gesagt – die multilateralen Bemühungen Deutschlands würdigt und sagt, Deutschland sei ein großartiger Partner bei vielen internationalen Problemen, und auf der anderen Seite – das haben Sie gerade selber schon angedeutet – gehört er einer Regierung an, die den Multilateralismus bekämpft. Das heißt, glauben tun Sie ihm nicht?
Nick: Es ist, glaube ich, keine Frage, die sich jetzt an einzelnen Personen oder an einzelnen Aussagen festmacht.
Kaess: Es ist immerhin der US-Außenminister.
Nick: Viele der von mir vorhin zitierten Mitglieder der Administration sind heute nicht mehr im Amt und wir müssen, glaube ich, mal das, was wir an teils auch emotionalen Reaktionen auf Herrn Trump oder seine Administration sehen, versuchen, ein Stück zu trennen von den fundamentalen Veränderungen, die es in den Vereinigten Staaten gibt. Die sind nach meiner Einschätzung nachhaltiger, als viele in Deutschland bisher glauben.
Kaess: Aber es geht ja tatsächlich um Glaubwürdigkeit auch in Aussagen. Das heißt, wenn Herr Pompeo jetzt hier so etwas sagt, das genießen Sie mit Vorsicht?
Nick: Ich habe ja am Anfang gesagt, wir erleben natürlich jetzt auch noch mal den Kontrast zu dem, was wir über lange Jahrzehnte mit amerikanischen Partnern erlebt haben. Ich war 1989 im Raum in Mainz als junger Student, als Präsident Bush von "Partnership in Leadership" gesprochen hat, und davon sind wir heute sicherlich ein gutes Stück entfernt. Wir haben eine sehr viel unilateralere Sichtweise der Vereinigten Staaten auf die Welt. Das kann und muss uns nicht gefallen. Es ist aber eine Realität, mit der wir uns auseinandersetzen müssen, was nicht heißt, dass wir von unserer Seite die NATO oder das Bündnis in Frage stellen. Im Gegenteil! Sie haben vorhin das Interview von Präsident Macron erwähnt. Wir hätten sicherlich eine solche Formulierung nicht gewählt. Die Bundeskanzlerin hat das ja auch zu Recht kritisiert. Wenn Sie aber mal jenseits dieser einen Formulierung in die Details einer Analyse reinschauen, dann hat er dort viel Richtiges und Wichtiges gesagt.
Kaess: Noch ganz kurz zum Schluss. Was tut denn die deutsche Seite für das transatlantische Verhältnis, wenn wir uns gerade anschauen, dass Außenminister Maas von der SPD in einem Artikel zu 30 Jahren Mauerfall die USA noch nicht einmal erwähnt?
Nick: Ich hätte mir gewünscht, dass der Bundesaußenminister in dieser Woche etwas andere Akzente gesetzt hätte. Ich glaube, wenn er die Rolle der Vereinigten Staaten 1989/90 in angemessener Weise gewürdigt hätte, hätte er jetzt vielleicht auch etwas weniger unterwürfig gegenüber Herrn Pompeo öffentlich auftreten können. Ich würde mir wünschen, dass wir an dieser Stelle unsere ganz enge Verbundenheit auch mit den Bürgern der Vereinigten Staaten und mit diesem Land deutlicher zum Ausdruck bringen, und auf dieser Basis kann man dann auch über einzelne Differenzen in der konkreten Tagespolitik in klarerer Sprache miteinander reden.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.