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Europäische Weltraumkonferenz
Neue Regelungen für die Raumfahrt gesucht

Beinahe-Kollisionen von Satelliten und wachsende Mengen an Weltraumschrott: Der Ausbau von neuen Satellitennetzen sorgt auch für Probleme. Auf der Europäischen Weltraumkonferenz wurde nun über Lösungen beraten - neben der Sicherheit im All war auch der "Green Deal" in der Raumfahrt ein Thema.

Von Dirk Lorenzen | 22.01.2020
Der Erdforschungssatellit Aeolus (undatierte grafische Darstellung). Ein Satellit der europäischen Raumfahrtagentur Esa ist einem «Starlink»-Satelliten des Raumfahrtunternehmens SpaceX ausgewichen.
Neue "Verkehrsregeln" im All werden gebraucht: Ein Starlink-Satellit wäre fast mit Europas Aeolus-Satellit zusammengestoßen (picture alliance / ESA / P. Carril)
Wie steht Europa im weltweiten Vergleich da?
Sehr gut. Europa kann alles, außer selbst Menschen ins All zu bringen. Bemannte Raumschiffe startet Europa nicht. Aber ansonsten spielt man ganz oben mit: Es gibt das eigene Navigationssystem Galileo, herausragend ist das Erdbeobachtungssystem Copernicus – weltweit absolut an der Spitze. Es gibt viele Firmen, die ursprünglich aus den USA stammen, die sich nun in Berlin oder Amsterdam oder anderswo angesiedelt haben und die mit Hilfe der Erdbeobachtungsdaten Geld verdienen. Europäische Firmen bauen viele Telekommunikationssatelliten für Unternehmen in Übersee. Und Ende des Jahres soll die neue Ariane-6-Rakete starten, die weiterhin Europas unabhängigen Zugang ins All sicherstellen soll.
Ist der "Green Deal" auch bei der Raumfahrt ein Thema?
Ja, die Raumfahrt ist dafür sehr wichtig – und da spielt zum Beispiel das hochpräzise europäische Navigationssystem Galileo eine große Rolle. Durch gezielte Lenkung des Auto- und Flugverkehrs lässt sich der Ausstoß von Abgasen reduzieren. Ein anderes Stichwort ist "precision farming", also präziser Ackerbau. Da werden Dünger und Pestizide zentimetergenau auf die Felder ausgebracht, so dass man möglichst sparsam und umweltschonend vorgeht. Zudem setzen EU und ESA auf einen Satelliten, der nun entwickelt wird und dann genau zeigt, wo in der Welt wie viel Kohlendioxid vorhanden ist und wo viel CO2 frei wird. Das führt nicht direkt zu einer Senkung, aber die Daten aus dem All zeigen genau, wo es Probleme gibt.
Sind politische Vorgaben für die Raumfahrt wirklich nötig?
Die Debatten auf der Europäischen Weltraumkonferenz zeigen, dass die Politik einen gewissen Rahmen vorgeben muss. Ein Beispiel ist der Weltraummüll. Bisher darf de facto fast jeder alles ins All starten und muss sich nicht darum kümmern, was dann später mit den Satelliten oder ausgebrannten Raketen geschieht. Gerade jetzt mit den riesigen Netzwerken aus Tausenden von Satelliten, die in den nächsten Jahren starten, wird dieses Problem immer größer werden. Nicht alle in der Industrie sind bereit, mehr Geld auszugeben, damit etwa ausgefallene Satelliten gezielt zum Absturz gebracht werden. Das Bewusstsein muss sich erst entwickeln – internationale Regeln wären da hilfreich.
Blick in den Innenhof des Egmont Palace in Brüssel mit Plakaten zur Raumfahrt, wo die Europäische Weltraumkonferenz stattfindet.
Die Sicherheit der Satelliten im All - ein wichtiges Thema auf der Europäischen Weltraumkonferenz in Brüssel (Deutschlandradio / Dirk Lorenzen)
Sieht Brüssel die neuen Satellitennetze als Chance oder als Risiko?
Sie sorgen für viel Stirnrunzeln. Letztlich kann sich kaum jemand vorstellen, wie das mal sein soll, wenn nicht wie jetzt 2.000 funktionstüchtige Satelliten um die Erde kreisen, sondern mehr als 20.000! Einen Vorgeschmack gab es durch eine Beinahekollision eines Starlink-Satelliten von SpaceX mit Europas Aeolus-Satelliten, der den Wind in der Atmosphäre vermisst. Da hat man nur mit viel Glück einen Zusammenstoß verhindern können. Im All werden nun schlicht Verkehrsregeln gebraucht. Es muss klar sein, wer zuständig ist, wer "Vorfahrt" hat, wer informieren und reagieren muss.
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Regeln zur Sicherheit der Satelliten im All gibt es bisher nicht?
Nein, bisher gibt es keine klaren Vorgaben und das war auch eher ein geringes Problem. Inzwischen aber wird es bedrohlich. Zudem muss es mehr "Verkehrsüberwachung" geben – es geht um die Sicherheit der Satelliten im All. Dafür muss man wissen, was da oben herumfliegt. Da bleibt viel zu tun. Dem himmlischen Verkehrsmanagement hat sich auch die Bundesregierung verschrieben. Wenn Deutschland im zweiten Halbjahr den EU-Ratsvorsitz innehat, will Thomas Jarzombek, der Koordinator für Luft- und Raumfahrt, unter anderem für klarere Regeln sorgen. Der Weltraum ist inzwischen für so viele Unternehmen interessant, dass man sich die Sorglosigkeit der ersten 60 Jahre Weltraumfahrt nicht mehr leisten kann.