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Europakolumne
Auftakt zu neuen Grabenkämpfen in der EU

In diesem Wahlkampf haben uns zum ersten Mal alle großen Parteien einen Spitzenkandidaten präsentiert und damit suggeriert: Diesmal haben die Wähler mehr Einfluss auf das Personal in Brüssel. Damit steht jedoch längst noch nicht fest, wer EU-Kommissionspräsident wird.

Von Petra Pinzler | 30.05.2014
    Ein riesiges Banner zeigt auf dem Boden liegend die EU-Flagge mit zwölf gelben Sternen auf blauem Grund, in der Mitte "I vote EU".
    Europa hat gewählt, aber wer künftig Kommissionspräsident wird, steht noch nicht fest. (dpa / Arne Dedert)
    Die EU Wahlen sind vorbei und Sieger ist...? Ja, wer denn nun? Wer wird in den kommenden Jahren die EU führen? Auch heute, fünf Tage danach, fehlt die Antwort. Denn statt das Wahlergebnis ernst zu nehmen und zügig die EU-Kommission neu zu besetzen, spielen Europas Regierungen auf Zeit – und begehen damit einen Riesenfehler.
    Sicher, man möchte im ersten Augenblick resigniert schnaufen: So ist das doch immer in Europa. Egal, was wir Wähler wollen; egal, was die Parteien so erzählen und wen sie als Spitzenmann ins Rennen schicken - am Ende kungeln die Regierungschefs die Jobs in Brüssel aus. So war das und so wird das bleiben. Schon allein, weil Angela Merkel es so will.
    Klares Ergebnis: Die Rechten konnten zulegen
    Doch können wir das wirklich hinnehmen? Diese Wahl hatte ein ziemlich klares Ergebnis. Die Rechten konnten erschreckend zulegen. Aber gewonnen haben die CDU, ihre Schwesterparteien. Ihr Spitzenkandidat, der Luxemburger Jean Claude Juncker, wäre also der geborene Kandidat für den Posten des Kommissionspräsidenten. Nur wollen die Regierungschefs ihn bisher nicht vorschlagen. Das aber ist nicht nur ein Affront gegen das EU-Parlament, das Juncker den klaren Auftrag erteilt hat, dort eine Mehrheit zu suchen, und damit der Auftakt zu einem Grabenkampf der Institutionen. Das ist auch eine beispiellose Veräppelung der Wähler.
    In diesem Wahlkampf haben uns zum ersten Mal alle großen Parteien einen Spitzenkandidaten präsentiert und so suggeriert: Diesmal haben wir, die Wähler, mehr Einfluss auf das Personal in Brüssel. Wir werden entscheiden, wer künftig die EU-Kommission leitet. Sie haben also so getan, als ob sie die EU-Institutionen reformieren, ohne irgendwelche Verträge zu verändern.
    Was zählt das Gerede von gestern?
    Die meisten Regierungschefs unterstützten das, auch Bundeskanzlerin Angela Merkel. Und genau deswegen ist es erbärmlich, wenn sie jetzt so tun, als hätte sie all das nicht ernst gemeint. Als sei es egal, dass Juncker die meisten Stimmen bekommen hat. Frei nach dem Motto: Was zählt das Gerede von gestern? Es steht ja nirgends, dass der Spitzenkandidat der Sieger auch zum Chef in Brüssel gemacht werden muss.
    Tatsächlich, das steht nirgends. Aber es gibt im Strafrecht den Tatbestand der Vortäuschung falscher Tatsachen. Zwar wird man keinen Regierungschefs damit belangen können. Aber moralisch haftbar sind sie schon – und die EU-Abgeordneten übrigens auch. Die dürfen zwar den nächsten Kommissionspräsidenten nicht vorschlagen. Aber sie müssen ihn bestätigen. Oder auch nicht. Bisher sieht es so aus, als das Parlament seine Macht nutzen will und sich gegen die Regierungschefs und hinter Juncker stellt. Das könnte zu einem weiteren Höhepunkt im Dauerkonflikt der Institutionen führen. Es wäre trotzdem ein richtiger Schritt hin zu einem demokratisch besser legitimierten Europa.
    Denn es würde beweisen, dass wenigstens das Parlament unsere Stimme ernst nimmt.
    Mehr zum Thema finden Sie auch auf unserem Portal zur Europawahl 2014.