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Europapolitiker Elmar Brok zum Asylstreit
"Wir haben heute 90 Prozent weniger Flüchtlinge"

Der CDU-Europapolitiker Elmar Brok hofft auf eine Einigung im Streit um die Flüchtlingspolitik mit der CSU. Wenn das Bündnis CDU/CSU zerbreche, sei das ein "riesiges Problem". Davon würde nur die AfD profitieren, sagte Brok im Dlf. Als Erfolg wertete er, dass die Zahl der Flüchtlinge massiv gesunken sei.

Elmar Brok im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 18.06.2018
    Elmar Brok (CDU), Mitglied der Europäischen Parlaments
    Elmar Brok (CDU), Mitglied der Europäischen Parlaments (imago stock&people)
    Tobias Armbrüster:
    Der CDU-Europapolitiker Elmar Brok gilt als einer der engsten Vertrauten von Angela Merkel. Außerdem ist er ein Kenner der verschiedenen europäischen Positionen im Asylstreit. Er ist jetzt gerade unterwegs zur Krisensitzung in der CDU-Parteizentrale in Berlin. Ich hatte kurz vor seiner Abfahrt noch Gelegenheit, mit ihm zu sprechen, und ich habe ihn gefragt, welche Chancen er noch sieht für einen Kompromiss. – Schönen guten Morgen, Herr Brok.
    Elmar Brok: Guten Morgen.
    Armbrüster: Herr Brok, wie stehen die Chancen für einen Kompromiss heute?
    Brok: Ich hoffe, dass Vernunft einkehrt und dass man doch die gemeinsamen Interessen erkennt. Einmal: Wenn man die Umfragen sich ansieht, zeigt sich, dass Uneinigkeit immer das Schlechteste ist, was man dem Wähler präsentieren kann. Und zweitens, dass es in der Sache notwendig ist, dass wir zusammen bleiben. Denn nur wenn wir ein gesamteuropäisches Konzept haben, können wir alle Themen der Migration in vernünftiger Weise bewältigen. Denn wichtiger als die Verteilung von schon registrierten Flüchtlingen ist es sicherlich, überhaupt die Zahl der Flüchtlinge zu reduzieren, und hier hat die Europäische Union wesentliche Leistungen erbracht. Wir haben heute 90 Prozent weniger Flüchtlinge pro Monat als im Oktober 2015. Hier hat Europa geleistet und nicht, wie gesagt wird, Europa habe drei Jahre nichts gemacht. Wir sind dabei, dass sechs der sieben Reformverordnungen für Dublin III geeinigt sind, und die siebte noch nicht, und ich glaube, dafür sollten wir uns die entsprechende Zeit nehmen, damit wir das Gesamtgebäude nicht zum Einsturz bringen …
    Armbrüster: Herr Brok! Entschuldigen Sie, wenn ich Sie hier unterbreche. – Und das alles hat die CSU nicht verstanden?
    Brok: Ob es nicht verstanden worden ist, oder ob man im Wahlkampf jetzt besonders pointiert vorgehen will, das wage ich nicht zu beurteilen. Jedenfalls ist es ein Problem insgesamt in Deutschland, dass man manchmal die Frage der Zuwanderung betrachtet unter den Zahlen des Jahres 2015, und dass wir feststellen müssen, dass in vielen Städten und Gemeinden heute mit das größte Problem ist der zu viel und zu teuer angemietete Wohnraum für Flüchtlinge, die dann nicht gekommen sind. Ich glaube, wir müssen ein Gesamtbild haben, um zu einer fairen Beurteilung zu kommen.
    "Es ist viel passiert in der Flüchtlingspolitik"
    Armbrüster: Aber dieses Gesamtbild, da hatten wir jetzt jahrelang Zeit zu, um uns das zu verschaffen. Die CSU sagt jetzt, und es ist jahrelang relativ wenig passiert. Deshalb ist es jetzt Zeit, dass Deutschland einfach einen Schritt selber vorgeht. Was ist daran falsch?
    Brok: Daran ist falsch, weil viel passiert ist, und das habe ich ja gerade auch aufgezählt. Dazu kommen sicherlich noch andere Maßnahmen und deswegen sollte man es im Gesamtgebäude sehen. Aber leider Gottes haben wir nicht nur in der CSU, sondern in ganz Deutschland diese Fragen falsch diskutiert. Ich sehe immer, wenn ich mit Bürgern darüber rede, wieviel weniger Flüchtlinge jetzt da sind, dass sie überrascht sind. Sie wissen es nicht. Das ist auch ein großer Fehler der Kommunikation.
    Armbrüster: Wir hören jetzt, Herr Brok, dass Angela Merkel vor dem kommenden EU-Gipfel Ende Juni ein Sondertreffen plant mit Italien, Österreich und anderen Staaten. Ist da was dran?
    Brok: Sie wird wie bei früheren Gipfeln auch mit anderen Staaten reden, nicht nur wegen der Migrationsfrage, sondern wir haben dort auch die Wirtschafts- und Währungsunion. Wir haben die Frage Trump da. Der Beginn wird am Dienstag sein, ein Treffen mit Präsident Macron, und es ist sinnvoll, dass solche Vorgespräche, die üblich sind, stattfinden werden. Das sind jetzt nicht Sondermaßnahmen wegen dieser deutschen Situation.
    Armbrüster: Aber wie könnten diese Absprachen mit anderen Ländern denn aussehen? Müssen wir uns das so vorstellen, dass Angela Merkel dann zum Beispiel die italienische Regierung bittet, alle Flüchtlinge, die von dort kommen, wieder zurückzunehmen?
    Brok: Immer ist es ein ausgesprochener Kompromiss, und wenn ich sagte, sechs der sieben Verordnungen sind verhandelt, dann liegt da sicherlich eine Kompromisslinie drin, die man wahrnehmen kann. Wir müssen sehen, dass die weitere Finanzierung der Maßnahmen, damit weniger Zuwanderer aus Afrika oder aus dem Mittleren Osten kommen, jetzt auch auf dem Tisch stehen, und ich glaube, dass da insgesamt ein Paket möglich ist, dass alle Länder sagen können, über Europa haben wir weniger Flüchtlinge.
    "Natürlich muss es Kompromisse geben"
    Armbrüster: Das heißt, Sie wollen da alle an einen Tisch bringen, und tatsächlich werden sich in den kommenden zwei Wochen die EU-Mitgliedsländer darauf einigen, auf eine gemeinsame Asylpolitik?
    Brok: Ich hoffe, dass es weitestens gelingt. Natürlich muss es Kompromisse geben. Natürlich werden wir nicht alles dabei bekommen. Aber das Großteil dieser Dinge muss einstimmig entschieden werden, und aus dem Grunde müssen alle an Bord. Weitestgehend ist man auf dem Weg dahin oder hat man sich geeinigt, und jetzt muss der Schlussstein gesetzt werden, und ich hoffe, dass das gelingt.
    Armbrüster: Woher haben Sie denn diesen Optimismus, wenn wir uns noch mal angucken, was Viktor Orbán in Ungarn seit Jahren sagt?
    Brok: Ja dann hat er mit den Zurückweisungen selbst ein Problem. Hier wird doch auch eine Mär erzählt. Die Flüchtlinge, die in Ungarn waren, und das, was nach einem Gespräch zwischen Orbán, Merkel und Faymann, auch unter Einbeziehung von Kurz und Steinmeier passiert ist im September 2015, ist doch eine Übereinkunft gewesen. Jetzt tun manche so, als wären sie nicht dabei gewesen. Ich habe doch damals zufälligerweise im Rahmen der EU-Außenminister mitbekommen, was Kurz und Steinmeier da am Telefon mit den Regierungschefs besprochen haben.
    "Wir haben heute 90 Prozent weniger Flüchtlinge"
    Armbrüster: Das müssen Sie uns noch mal sagen. Was haben sie denn besprochen?
    Brok: Sie haben besprochen, dass man damals im September dies gemeinsam macht und dass Deutschland einen großen Teil dieser Flüchtlinge aufnimmt. Das ist doch keine Einladung von Frau Merkel gewesen.
    Armbrüster: Gut! Ich meine, da interpretieren Sie jetzt einfach noch mal die Ereignisse aus dem Jahr 2015 um. Und wie gesagt: Die CSU sagt jetzt, diese Linie von damals, die können wir eigentlich nicht mehr beibehalten, und wir haben gesehen, dass zum Beispiel Viktor Orbán nicht mehr mitmacht, wir sehen auch, dass viele andere europäische Staaten sich nicht an die Abmachungen halten. Deshalb muss Deutschland jetzt selber einen Schritt vorangehen.
    Brok: Wir haben so viel geleistet, dass wir heute 90 Prozent weniger Flüchtlinge haben. Ist das kein Ergebnis?
    Armbrüster: Ja. Warum sagt die CSU, dass das kein Ergebnis ist?
    Brok: Das müssen Sie die CSU fragen. Das verstehe ich nicht. Ich weiß nicht, ob das mit gegenwärtigen taktischen Überlegungen zu tun hat. Wir müssen auch das Problem lösen, dass auch hier Unklarheiten weg sind. Aber man darf doch nicht das Gesamtgebäude, das uns diese dramatische Reduzierung von Flüchtlingen gebracht hat, auf der europäischen Ebene gefährden.
    Armbrüster: Was ist denn Ihr Rat, Herr Brok, an die Kanzlerin, wenn Sie nachher mit ihr sprechen?
    Brok: Ich werde den Bundesvorstand heute sehen und ich hoffe, dass wir mit aller Klarheit diesen europäischen Kurs fahren, dass wir dort auch in den nächsten 14 Tagen noch entsprechend weiterkommen und dass dann ein Kompromiss da ist, den man sehen kann, dass wir hier weitere Fortschritte erreicht haben.
    Flüchtlinge an der Grenze zurückweisen?
    Armbrüster: Mal angenommen, Horst Seehofer kriegt heute aus der CSU, aus seiner Partei grünes Licht für diesen Plan, Flüchtlinge zurückzuweisen an der Grenze, aber er wird dann noch abwarten mit der Umsetzung dieser Anordnung, wäre das für die CDU, wäre das für Ihre Partei tragbar?
    Brok: Für die Regierung ist es tragbar, dass die Richtlinienkompetenz der Kanzlerin nicht gefährdet ist. Welche Parteibeschlüsse gefasst werden, ist dabei zweitrangig. Wenn er das umsetzen würde, ohne dass die Regierung dieses akzeptieren würde, dann hätte er ein Problem.
    Armbrüster: Aber es wäre schon ein ziemliches Signal des Drucks, das er da aussenden würde. Das wäre für Angela Merkel in Ordnung?
    Brok: Ich weiß nicht, ob das in Ordnung ist, ob das der richtige Weg ist, um Dinge gemeinsam zu bewältigen. Aber dann kann ich es auch nicht verändern.
    "CDU/CSU ist die erfolgreichste, Deutschland stabilisierende Kraft"
    Armbrüster: Es gibt jetzt einige, die sagen, an dieser ganzen Frage könnte letztendlich auch die Union zerbrechen, CDU und CSU auseinandergehen. Wäre das für Ihre Partei, für die CDU eigentlich ein großes Problem?
    Brok: Ein riesiges Problem. Die CDU/CSU ist die erfolgreichste, Deutschland stabilisierende Kraft in der deutschen Politik, und wenn wir dies zerstören würden, gäbe es nur einen "Freund", der sich darüber freuen würde: Das wäre die AfD. Freund in Anführungsstrichen.
    Armbrüster: … sagt hier bei uns im Deutschlandfunk der CDU-Europapolitiker Elmar Brok. Vielen Dank, Herr Brok, für Ihre Zeit heute Morgen.
    Brok: Ich danke Ihnen, Herr Armbrüster.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.