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Europas brodelnder Untergrund

Geologie. - Vor Tsunamis, zerstörerischen Erdbeben und Vulkanausbrüchen scheint Mitteleuropa offenbar gefeit, liegt es doch in einer tektonischen ruhigen Zone. Davon gingen die Forscher zumindest bislang aus. Doch nach neuen Untersuchungen deutscher Geologen stellt sich die Situation anders dar.

Von Hartmut Schade | 29.09.2005
    Bublák – so nennen die Tschechen das kleine Wasserloch in einem Sumpfgebiet nahe dem böhmischen Franzensbad. Wie in einem überdimensionierten Topf mit kochendem Wasser so brodelt es in dem Sumpfloch, steigen unaufhörlich Luftblasen an die Oberfläche und gaben dem Loch seinen Namen Bublák - das Blubbernde.

    "Das Gas, was sie hier hören, ist Kohlendioxid zu fast 99 Prozent und in diesem Kohlendioxid ist etwas Restgas eingespült. Da ist Helium drin, Edelgase und auch Methan. Dieses Kohlendioxid wird aus großen Tiefen transportiert. Wir nehmen an, dass es aus dem oberen Mantel kommt, aus Tiefen unterhalb 30 Kilometern."

    Sagt Dr. Gerhard Strauch vom Umweltforschungszentrum Leipzig-Halle. Die Luftblasen ermöglichen den Geowissenschaftlern damit einen Blick in irdische Tiefen, die mit Bohrungen unerreichbar sind. Durch feine Klüfte und Risse im Gestein steigt das Gas aus dem Erdinneren nach oben - und das mit einer Geschwindigkeit von fast 400 Metern am Tag. In Mineralquellen – denen Kurorte wie Karlsbad, Marienbad, Franzenbad oder Bad Elster ihre Existenz verdanken - und so genannten Mofetten wie dem ewig blubbernden Bublak tritt es aus und wird von Gerhard Strauch aufgefangen. Dazu stülpt er einen großen Glastrichter verkehrt herum ins Wasser genau über den emporsteigenden Luftblasen und leitet das Gas in eine so genannte Gasmaus, einen verschließbaren Glaszylinder.

    "Anschließend werden die Glasgeräte mit nach Hause ins Labor genommen und dort analysiert. "

    Dabei interessiert die Forscher vor allem ein Bestandteil des Gases: das Helium. Exakter: das Verhältnis von Helium 3- zu Helium-4–Isotopen. Zu ihrer Überraschung entdeckten die Wissenschaftler, dass das Isotopenverhältnis aus den böhmischen Quellen dem vulkanisch aktiver Gebiete gleicht. Es sind die höchsten in Mitteleuropa gemessenen Werte. Die Wissenschaftler führen auch sie auf das Brodeln unterirdischer Magmenkammern im böhmischen Eger-Becken zurück, erklärt Gerhard Strauch.

    "Daraus ziehen wir den Schluss, dass das Gas, was wir im Vogtland und Nordwest-Böhmen finden, aus diesen Bereichen stammen muss. Es gab in der längeren Vergangenheit, vor einigen hunderttausenden Jahren also vulkanische Aktivitäten in den Gebiet. Wir nehmen an, dass sich die magmatische Aktivität verstärkt hat."

    Denn in den zwölf Jahren der Messungen hat es sich kontinuierlich verändert. Gestützt wird die Vermutung der Geowissenschaftler durch eine Serie von Schwarmbeben, die im September 2000 im Vogtland die Gläser klirren ließen.

    "Wir gehen davon aus, dass es einen kontinuierlichen Gasstrom aus der Tiefe gibt, Dieser Gasstrom bringt Stoffe mit sich, die mit den Steinen wechselwirken. Dabei kann zu Verkrustungen, zu Verklebungen, zu Mineralisationen in der Kruste führen. Der Gasstrom kann teilweise unterbrochen werden, es kann zu einer Druckerhöhung führen und die kann sich auflösen in Form eines Schwarmbebens. Wir gehen aus, das die Fluide eine Quelle für die Schwarmbeben in Vogtland sein können."

    Mit den kleineren Beben müssen die Vogtländer und Böhmen weiterhin leben. Einen Vulkanausbruch müssen sie allerdings trotz der erhöhten magmatischen Aktivität im Untergrund nicht befürchten. Und was die Beben betrifft, so hoffen die Leipziger und Potsdamer Forscher mit ihrer Isotopenmessung eine Methode gefunden zu haben, die die Erdbebenvorhersage wirksam ergänzt.