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Europas Süden leidet

Der Süden der EU leidet besonders stark unter der Wirtschaftskrise. Das zeigt sich derzeit nicht nur am Beispiel Griechenlands. Werksschließungen, Umsatzeinbrüche und Stellenstreichungen treffen derzeit alle Länder des Südens - und lassen sie näher zusammenrücken.

Von Karl Hoffmann | 24.03.2010
    "Streik, Streik", schreit die aufgebrachte Frau. In Termini Imerese wird seit Wochen protestiert. Das Fiat-Zweigwerk östlich von Palermo auf Sizilien soll geschlossen werden. 1400 Arbeitsplätze sind in akuter Gefahr und damit die gesamte Wirtschaft des kleinen Städtchens, wo bisher Autos der Marke Lancia montiert wurden.

    "Ich werde meinen Pass und meinen Wahlausweis zurückgeben. Ich will nicht mehr zu diesem Land gehören. Hier in Italien kümmert sich niemand um uns."

    Die beabsichtigte Schließung ist der Tiefpunkt einer dramatischen Wirtschaftsentwicklung in Süditalien, die jener in Griechenland nicht unähnlich ist. Im Mezzogiorno sind letztes Jahr die Exporte um fast 40 Prozent zurückgegangen. Eine Einbuße im Vergleich zum Vorjahr in Höhe von 13 Milliarden Euro. Besonders betroffen sind Erdölprodukte und Autos, die zum großen Teil in andere EU-Länder exportiert werden. Der Süden ist Italiens Sorgenkind. Die ohnehin strukturschwachen Regionen am Südrand der EU leiden besonders stark unter der Wirtschaftskrise. Kein Wunder, dass sich Italien beim Thema "Hilfe für Griechenland" klar auf die Seite Frankreichs stellt, das die bisherige Haltung der deutschen Regierung kritisiert. Italiens Außenminister Franco Frattini will ein Einvernehmen:

    "Um in der Griechenlandfrage zu einer Einigung zu kommen, müssen alle einverstanden sein. Fehlt die Einstimmigkeit, dann gibt es keine Entscheidungen. Aber ich bin auch weiterhin der Meinung, dass die EU in der Lage sein muss, einem Mitgliedsland aus einer Notlage zu helfen, wenn sie glaubwürdig bleiben will."

    Sollte sich keine Lösung finden, dann wäre dies ein Zeichen von Schwäche, erklärte Frattini. Und es wäre unlogisch über die Wachstumsstrategien bis zum Jahr 2020 zu diskutieren, ohne gleichzeitig die aktuelle Lage zu berücksichtigen. Die italienischen Medien haben in den vergangenen Tagen ausführlich den Zwist um die Hilfe für Griechenland dargestellt und dabei auch die deutsche Position analysiert. In Italien gilt "Germania" zwar als Musterknabe mit stets florierender Exportwirtschaft. Doch italienische Wirtschaftsexperten übersehen keineswegs die gewaltigen Probleme, mit denen der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble zu kämpfen hat, von der Tageszeitung "La Repubblica" als tragischer Held im Drama fehlender Führerschaft in Europa bezeichnet. Deutschland habe mit einer Verschuldung zu kämpfen, die sich langsam dem italienischen Niveau nähert. Deutschland sei in der Zwickmühle. Einerseits soll es ein Motor für ganz Europa sein, andererseits muss Deutschland aufpassen, sich nicht zu viele Probleme der Europäischen Partner aufzuhalsen. Drei Viertel der deutschen Exporte gehen in EU- Länder. Wenn die immer ärmer werden, dann trifft es über kurz oder lang auch die deutsche Wirtschaft. Nach Meinung italiensicher Analytiker wird sich das Problem unvermeidlich verschärfen. Die Wachstumsprognosen für die EU-Länder sind allzu optimistisch, vielmehr wird sich der Schuldenberg in den Mitgliedsländern zwangsläufig noch erhöhen. Die Hilfe für Griechenland, die Italien ausdrücklich fordert, ist auch eine vorsichtige Rückversicherung, sollte es in den nächsten Jahren nicht den dringend erhofften Aufschwung in Italien und speziell im Mezzogiorno geben.

    Auch die Bürger von Termini Imerese in Sizilien bauen vor. Weil das Vertrauen in die Politik immer geringer wird, versuchen sie es mit Glauben und Beten. Bei der jüngsten Prozession zu Ehren des Stadtheiligen Sankt Joseph sah man so viele Gläubige wie schon lange nicht mehr.