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Europawahl
Ein Kandidat für ganz Zypern

"Wer mich wählt, wählt eine Idee": Niyazi Kızılyürek will als Kandidat ganz Zyperns ins Europaparlament gewählt werden. Der nördliche, türkische Teil Zyperns ist zwar offiziell EU-Gebiet, doch seine Einwohner waren bisher nicht an der EU-Politik beteiligt. Das will Kızılyürek ändern - und damit Geschichte schreiben.

Von Sira Thierij | 13.05.2019
Niyazi Kızılyürek, zypriotischer Kandidat für die Europawahl, spricht zu Bürgern
Niyazi Kızılyürek, zypriotischer Kandidat für die Europawahl (Sira Thierij)
"Das hier ist der Bostanci-Checkpoint. Viele Leute werden hier über die Grenze fahren, um im nächsten griechisch-zypriotischen Ort zu wählen. Das hier ist eine ziemlich lange Pufferzone, man sieht hier einige UN-Posten, eine UN-Flagge…"
Für seinen Wahlkampf fährt Niyazi Kızılyürek täglich durch die UN-Pufferzone, die den türkischen Norden und den griechischen Süden Zyperns voneinander trennt. Ende Mai werden hier entlang der Grenze 50 Wahllokale eingerichtet, damit auch die Menschen aus dem Norden Zyperns ihre Stimme für die Europawahl abgeben können.
"Die türkischen Zyprer haben sich von der EU abgewandt"
Kızılyürek ist 60 Jahre alt, spricht fließend Türkisch und Griechisch und ist auf der ganzen Insel für seinen Einsatz für den Frieden bekannt. Als einziger Kandidat besucht er das ganze Land. Denn auch Nordzypern ist offiziell Unions-Gebiet - obwohl EU-Recht hier ausgesetzt ist und Nordzypern nur von der Türkei als Staat anerkannt wird. Aber etwa 100.000 türkische Zyprer haben einen europäischen Pass und dürfen wählen. Diese Menschen will Kızılyürek erreichen:
"Die türkischen Zyprer haben sich von der EU abgewandt. Sie ignorieren die EU, weil sie enttäuscht sind. Mit meiner Kandidatur scheint sich das ein bisschen zu ändern. Die Leute finden zurück zu ihrer europäischen Identität. Und das wollen wir nutzen."
Eine Hand steckt einen Umschlag in eine Wahlurne vor der Europafahne. Symbolfoto.
Niyazi Kizilyürek will ganz Zypern für Europa begeistern (dpa / ZB / Peter Endig)
An EU-Politik sind die Nordzyprer bisher kaum beteiligt: Sie haben keinen Abgeordneten im Europaparlament und auch niemanden, der sie in den anderen Institutionen vertritt. Ihre Muttersprache Türkisch ist keine Amtssprache der EU. Kızılyürek verspricht mehr Teilhabe für die Menschen im Norden.
Seine heutige Wahlkampf-Station: Famagusta, eine Küstenstadt etwa eine Autostunde östlich von der zyprischen Hauptstadt Nikosia, im türkischen Teil der Insel.
"Ich wusste nicht mal, dass wir überhaupt wählen dürfen"
In einer Seitenstraße direkt neben der zentralen Moschee sitzen etwa 40 junge Zyprer auf Holzbänken und trinken Gin Tonic. Sie sind hier, um endlich mehr über dieses eine Thema zu erfahren: die EU. Für Kızılyürek geht es nur nebenbei um Werbung für die eigene Partei. Er will den jungen Leuten erst mal erklären, dass auch sie Teil der EU sind und eine Stimme haben. An der letzten Europa-Wahl haben nur etwas mehr als zwei Prozent der wahlberechtigten Nordzyprer teilgenommen.
"Ich wusste ehrlich gesagt nicht mal, dass wir überhaupt wählen dürfen und ich kannte auch nie die Kandidaten. Es waren immer Leute von der anderen Seite. Es hat mich also nicht interessiert."
"Jetzt gibt es mit Kızılyürek jemanden, der uns versteht, der die Jugend versteht und weiß, mit welchen Problemen wir uns hier rumschlagen. Wir wollen Teil der EU sein, ein Teil von Europa."
Seit die Türkei vor über 40 Jahren den Norden Zyperns besetzt hat, leben die Menschen hier weitgehend isoliert: Erst seit 2003 sind die Grenzen geöffnet. Trotzdem bleibt die Trennung offensichtlich: zwei Währungen, zwei Handynetze, zwei Sprachen. Umfragen zeigen zwar, dass mehr als die Hälfte aller Zyprer für eine vereinte Insel sind – doch es passiert: nichts. Der Friedensprozess steht still, trotz EU-Mitgliedschaft. Auch das frustriert viele Menschen hier.
Dossier: Europawahlen
Europawahlen (picture alliance / dpa / Kay Nietfeld)
"Wer mich wählt, wählt eine Idee"
Als Journalistin berichtet Erza Aygin seit über 20 Jahren über den Konflikt in ihrer Heimat. Sie sagt: Mit Niyazi Kızılyürek, der als türkischer Zyprer für eine griechisch-zyprische Partei antritt, könnte sich endlich etwas tun.
"Die Wahlen werden viele Tabus brechen. Die Leute hier glauben, dass ein türkischer Zyprer niemals einen griechischen Zyprer repräsentieren kann. Oder dass eine Idee, die für Nordzypern gut ist, schlecht für den Süden ist. Niyazi bricht all diese Tabus. Auch wenn er nicht gewählt wird, schreibt er Geschichte."
Nicht alle sehen das so optimistisch. Weil Kızılyürek für die griechisch-zypriotische Oppositionspartei AKEL kandidiert, glauben im Norden einige, dass er sich nicht wirklich für ihre Interessen einsetzen würde. Ein weiterer Kritikpunkt: Ein Sitz im Europaparlament sei nicht genug, um Nordzypern als Teil der EU zu vertreten.
Niyazi Kızılyürek ist dennoch zuversichtlich: Umfragen deuten darauf hin, dass bei diesen Wahlen wesentlich mehr Menschen im Norden abstimmen werden - knapp 80 Prozent davon für ihn.
"Wer mich wählt, wählt eine Idee. Also jede Stimme für mich ist nicht nur eine Stimme für jemanden, der ins Europaparlament will, sondern eine Stimme für Frieden, Versöhnung und ein gemeinsames Leben."
Falls er es schafft, will er auch im Europaparlament Geschichte schreiben: mit seiner ersten Plenarrede auf Türkisch.