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Europawahl
Frag doch mal die Basis

Die Grünen wollen ihre Spitzenkandidaten für die Europawahl von der Basis bestimmen lassen. Von Göteborg bis Athen stellen sich nun ambitionierte Europäer vor. Abstimmen dürfen nicht nur Parteimitglieder.

Von Sören Brinkmann | 05.12.2013
    "Ich bin froh, dass wir so was machen, dass wir Primaries machen – und nicht nur Mitglieder, sondern auch alle anderen mitspielen dürfen. Dass es so weit geht, das ist absolut genial, das ist Basisdemokratie."
    Sagt ein Parteimitglied in seinem leuchtend grünen T-Shirt. Durch neun Städte von Göteborg bis Athen ziehen derzeit die grünen Europapolitiker. Ziel der Tour ist es, zwei Spitzenkandidaten für die Europawahl zu bestimmen. An der Vorwahl – der Green Primary – kann sich jeder EU-Bürger über 16 Jahren beteiligen – per Online-Abstimmung.
    "Wir möchten Euch ganz herzlich begrüßen zur Primierenfeier."
    Das Foyer eines schlichten Bürohauses in der Kölner Innenstadt. Rund 200 Menschen haben sich hier versammelt. Vor einer hohen Glasfront ist ein Podium aufgebaut, an drei Stehtischen haben sich die Bewerberinnen platziert, die ihre Partei in den Europawahlkampf führen wollen. Hinter ihnen steht in großen grünen Buchstaben: "you decide europe" – du entscheidest Europa, das Motto der Green Primary.
    Angetreten sind zwei deutsche Kandidatinnen: Rebecca Harms, die Ko-Vorsitzende der europäischen Grünen-Fraktion, und die 32-jährige Europaparlamentarierin Ska Keller; außerdem Monica Frassoni aus Italien, die Ko-Vorsitzende der Europäischen Grünen Partei, und der französische Globalisierungskritiker José Bové. Als einziger der möglichen Spitzenkandidaten ist er nicht in Köln dabei.
    Bekannte Kernthemen sollen den Wahlkampf bestimmen
    Ökologie und Klimaschutz, Gerechtigkeit, Flüchtlingspolitik – mit ihren Kernthemen wollen die Grünen bei der Europawahl punkten. So ist wenig Überraschendes von den drei Bewerberinnen zu hören.
    "Die Energiewende ist natürlich unglaublich wichtig jetzt gerade. Wir müssen sie auf die europäische Ebene holen. - Das müssen wir ständig wiederholen: Wir können, sollten und werden die Grenzen nach Europa nicht schließen. – Egal wo man es diskutiert, ob in Deutschland, in Griechenland, in Italien oder in Holland; die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger in den jeweiligen Staaten empfindet, dass sie ungerecht belastet wird."
    "Keine Experimente mehr" könnte das Motto auf der grünen Tour auch heißen – nach dem Absturz bei der Bundestagswahl. Aus dem Wahlkampf damals sind vor allem die Diskussionen um Steuererhöhungen und Veggie Day beim Wähler in Erinnerung geblieben. Zur Europawahl wollen die Grünen mit ihren Kernthemen zurück ins Langzeitgedächtnis.
    Und so dient die Green Primary nicht nur der Kandidatenkür, sagt Rebecca Harms:
    "Wir nutzen diese Primaries als Instrument. Jeder, der in Europa lebt, kann sich an dieser Abstimmung beteiligen. Und unsere Idee ist – neben der Identifizierbarkeit grüner Köpfe – zu erreichen, dass durch die Debatten in diesen Vorwahlen unser gesamtes grünes Programm in Europa bekannter wird.
    Programmatisch stark will sich die Partei also präsentieren. Schlimm genug, dass die politische Konkurrenz urgrüne Themen ebenfalls für sich beansprucht. Den Ausstieg aus der Atomkraft etwa hat sich auch die CDU auf die Fahnen geschrieben. Und Basisdemokratie betreibt derzeit auch die SPD mit ihrem Mitgliederentscheid. Gerade deshalb müssen die Grünen jetzt ihren Markenkern wieder scharf hervorheben, mahnt Ska Keller.
    "Wir Grüne sind die Partei der Basisdemokratie. Und natürlich probieren wir auch neue Wege aus – wie kann man noch mehr Menschen einbeziehen. In dem Fall auch Menschen, die nicht bei den Grünen sind und trotzdem mit ihr sympathisieren. Und deswegen: Wir probieren immer neue Sachen aus."
    Die Treue zur SPD hat gelitten
    Neue Sachen – oder auch neue Denkrichtungen: Alexander Tietz vom Aachener Kreisverband etwa findet es gut, dass seine Partei auch über neue Koalitionsmöglichkeiten jenseits von Rot-Grün nachdenkt.
    "Ich denke die Grünen müssen immer eigenständiger werden und werden das auch. Ich glaube, es ist ganz klar zu erkennen, dass man sich doch immer mehr an dem Konsens über Inhalte definieren wird und nicht über Lagerwahlkämpfe. Und ich denke, da geht der Weg ganz klar hin."
    Die Treue zur SPD scheint bei manch einem hier gelitten zu haben. So blicken derzeit viele Grüne auch auf die schwarz-grünen Koalitionsverhandlungen in Hessen. Schließlich war das Bundesland schon einmal Modell für ein neues Farbenspiel: damals für Rot-Grün mit Landesminister Joschka Fischer.
    Zwar sind Koalitionsoptionen in Deutschland kein Thema in Köln, dort ist der Blick voll auf Europa gerichtet. Dennoch betont auch hier jeder gerne die grüne Eigenständigkeit – auch weil sich die Partei hierzulande dabei einiges vom Politikstil im Europaparlament abschauen könnte. Primary-Bewerberin Ska Keller:
    "Im Europäischen Parlament, da spielen ja Koalitionen jetzt nicht so eine Rolle, sondern wir können auf Grundlage von Argumenten, von Themen verschiedene Mehrheiten zusammensammeln. Und das finde ich dann aber auch richtig, dass wir jetzt nicht darüber reden: Wer soll mit wem? Oder: Wer soll mit wem nicht? Sondern wirklich gucken, wie kriegen wir für die Europawahlen grüne Wählerinnen und Wähler mobilisiert, wie kriegen wir es hin, dass wir Menschen von unseren grünen Ideen überzeugen können.
    Überzeugen, das müssen die Grünen – übrigens gemeinsam mit Sozialdemokraten, Konservativen und Liberalen –, wenn sie dem Block antieuropäischer Parteien entgegentreten wollen.