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Europawahl in Großbritannien
"Skeptisch, aber europäisch"

Traditionell gering ist das Interesse Großbritanniens an Europawahlen, siegen könnte diesmal sogar die EU-feindliche Partei UKIP. Ein Ausscheren aus der Union seines Landes schließt der britische Botschafter in Deutschland dennoch aus. Großbritannien bleibe ein wichtiger Partner Europas, sagte Simon McDonald im DLF.

Simon McDonald im Gespräch mit Silvia Engels | 23.05.2014
    Der britische Botschafter in Deutschland, Simon McDonald, posiert am 08.02.2012 lächelnd in Berlin.
    Der britische Botschafter in Deutschland, Simon McDonald (dpa picture alliance / Sebastian Kahnert)
    "Bei uns ist die Europawahl wichtig, aber die nationalen Wahlen sind noch wichtiger", erklärte McDonald in dem Gespräch die auch diesmal erwartete geringe Wahlbeteiligung von rund einem Drittel. Die nationale Identität bleibe wichtiger als die europäische. Dennoch stehe seine Regierung zur EU. "Wir bleiben in Europa, das ist die klare Politik meiner Regierung."
    Und bei den britischen Unterhauswahlen 2015 sei mit einem anderen Ergebnis als bei der bevorstehenden Europawahl zu rechnen, betonte der Diplomat. Umfragen sehen hier aktuell die United Kingdom Independence Party (UKIP) des europafeindlichen Populisten Nigel Farage mit 30 Prozent vorne. "Ein Drittel von ein Drittel ist nur ein kleiner Teil der Bevölkerung". Als Europa-Partner spiele Großbritannien eine wichtige Rolle und werde dies auch weiterhin tun, so McDonald. Zugleich mahnte er Reformen der Europäischen Union, diese müsse wirtschaftlich "wettbewerbsfähiger werden".

    Das Interview mit Simon McDonald in voller Länge:
    Silvia Engels: In Deutschland sind die Wahllokale zum EU-Parlament erst am Sonntag geöffnet. Welche Parteien insgesamt wo die Nase vorn haben werden und wie es mit der Wahlbeteiligung aussieht, das ist noch unklar. Wahlforscher sind zum Beispiel gespannt, wie stark die Ukraine-Krise wirkt und ob die erstmals gekürten Spitzenkandidaten ziehen werden. Nun hat sich in den Niederlanden, wo auch schon abgestimmt worden ist, ein überraschender Trend breitgemacht.
    "Stell Dir vor, es sind Europawahlen und kaum einer geht hin." Das wird wahrscheinlich auch wieder so gewesen sein in Großbritannien, auch wenn die offiziellen Zahlen noch nicht vorliegen. Traditionell sind die Briten skeptisch gegenüber allem, was die EU-Institutionen angeht.
    Am Telefon ist nun der britische Botschafter in Deutschland, Simon McDonald. Guten Morgen, Herr Botschafter!
    Simon McDonald: Guten Morgen, Frau Engels.
    Engels: Sind dies die letzten Europawahlen, an denen Großbritannien teilnimmt, weil Ihr Land in fünf Jahren nicht mehr EU-Mitglied sein will?
    McDonald: Ich vermute nicht. Wir sind europäisch, wir bleiben in Europa, das ist die klare Politik meiner Regierung.
    Engels: Was würden Sie sich denn wünschen, wie es in fünf Jahren aussieht in der EU?
    McDonald: Wir wünschen eine Wiederverhandlung zwischen London und Brüssel. Diese Regierung wünscht eine Volksabstimmung in Großbritannien. Wir wollen ein neues Referendum haben, um unsere Mitgliedschaft in Europa zu bestätigen.
    Engels: Die Skepsis in Großbritannien gegenüber der EU-Mitgliedschaft ist groß. Ist denn die Stimmung Ihrer Einschätzung nach überhaupt noch zu drehen?
    McDonald: Wir sind skeptisch als Volk, als Nation, das stimmt. Aber wir sind am Ende europäisch. Europa ist unser Kontinent, Europa ist unsere Zukunft, wie auch in Deutschland.
    "Nationale Wahlen sind wichtiger"
    Engels: Nun ist es ja so, wenn wir mal konkret auf die jetzt laufenden Wahlen zum Europäischen Parlament schauen, dass dort die antieuropäische UKIP in den Umfragen deutlich höher gehandelt wird zum Teil als die etablierten Parteien. Wie erklären Sie sich das denn?
    McDonald: Sie haben recht. Aber bei uns ist die Europawahl wichtig. Das ist klar. Aber unsere nationalen Wahlen sind noch wichtiger. Wir haben ein viel größeres Interesse für die Westminster-Wahlen nächsten Mai und bei diesen Umfragen ist die Lage viel besser für die etablierten Parteien. Aber wahrscheinlich hat UKIP gestern einen guten Abschnitt. Schauen wir mal! Wir warten auf das Ergebnis am Sonntag.
    Engels: Ohne die UKIP mit anderen Parteien gleichsetzen zu wollen, ist eine Meldung heute überraschend. Aus den Niederlanden wird nämlich gemeldet, dass laut Prognosen die dortige europakritische und auch rechtspopulistische Partei von Geert Wilders nicht so stark wird, wie viele dachten. Könnte es vielleicht auch in Großbritannien sein, dass am Ende die Euro-Kritiker doch nicht so stark werden?
    McDonald: Ja, es könnte so sein. Das ist ein Teil der Demokratie. Überraschungen sind immer möglich. Aber in Großbritannien glaube ich, dass die UKIP eine gute Leistung hat, vielleicht ungefähr 30 Prozent, und 30 Prozent ist bestimmt eine gute Leistung. Aber die Wahlbeteiligung in Großbritannien ist bei diesen Wahlen nur niedrig. Ein Drittel von einem Drittel ist eine kleine Minderheit der Bevölkerung.
    Engels: Können auf der anderen Seite Themen wie jetzt die aktuelle Krise in der Ukraine Ihren Landsleuten nicht den Wert der EU noch mal näherbringen? Denn die UKIP fordert ja den Austritt aus der EU. Ist das angesichts der Entwicklungen dort immer noch so kongruent? Passt das zusammen?
    McDonald: Stimmt, weil Großbritannien spielt eine wichtige Rolle in diesem Zusammenhang. Wir sind eine der drei größten Mächte Europas. Wir spielen mit Deutschland und Frankreich die größte Rolle in der Außenpolitik. Und ja, die Krise in der Ukraine, wir müssen darüber tiefer nachdenken, was bedeutet ein isoliertes Großbritannien auf der internationalen Bühne. Das ist wahrscheinlich ein bisschen schlimmer für Großbritannien. Als Europapartner spielen wir eine wichtige Rolle.
    Engels: Diese Wahlen zum Europäischen Parlament haben ja einige Besonderheiten. Erstmals haben die europäischen Parteienfamilien Spitzenkandidaten benannt. Sie selbst haben in einem Artikel der Internet-Zeitung "Huffington Post" deutlich gemacht, dass Sie eigentlich wenig davon halten. Warum?
    McDonald: Warum? Weil die Spitzenkandidaten spielen keine Rolle in Großbritannien. Sie haben keine Veranstaltung in Großbritannien organisiert. Wir haben eigentlich keine EVP-Partei in Großbritannien. Dieser Begriff ist weit entfernt von den Briten und dieser Begriff steht überhaupt nicht in den europäischen Verträgen. Dieses Phänomen ist nagelneu, ziemlich wichtig in Deutschland, aber es spielt überhaupt keine Rolle in Großbritannien.
    "Es gibt andere hoch qualifizierte Kandidaten"
    Engels: Aber ist das nicht ein Mittel, um beispielsweise die Spitzenkandidaten bekannter zu machen, wenn sie nun mal benannt sind, und der EU zu helfen, das ja auch von Ihnen beklagte Demokratiedefizit zu beheben, weil man jetzt Gesichter hat?
    McDonald: Ja, es könnte sich so entwickeln. Aber nicht nur in einer einzigen Wahlperiode. Herr Juncker und Herr Schulz sind nur für zwei Monate nominiert. Der Begriff ist zu neu nach meiner Einschätzung.
    Engels: Sie rechnen also nicht damit, dass einer der beiden am Ende Kommissionspräsident wird?
    McDonald: Ich weiß das nicht. Es könnte so passieren. Aber es gibt doch andere Kandidaten, andere hoch qualifizierte Kandidaten für das Amt des Kommissionspräsidenten.
    Engels: In der "Huffington Post" haben Sie auch anklingen lassen, dass Sie eigentlich sich gar keine Stärkung des EU-Parlaments wünschen. Ihre Regierung vertritt ja auch die Ansicht, die nationalen Parlamente müssten gestärkt werden. Warum denn? Ist es nicht besser, in Brüssel das direkt von Auge zu Auge zu besprechen?
    McDonald: Weil die Verbindung zwischen Europäern und nationalen Parlamenten viel stärker ist als die Verbindung zwischen europäischen Bürgern und Straßburg oder Brüssel. Das ist die Lage, das bleibt die Lage und wir sollten das anerkennen. Eine größere Rolle für alle nationalen Parlamente ist nach unserer Einschätzung eine bessere Idee.
    Engels: Wäre die andere Idee nicht, dafür zu werben, dass man den nationalen Blick etwas verliert im Sinne der Gemeinschaft?
    McDonald: Die Identität ist sehr, sehr wichtig und wir haben eine vielfältige Identität und es sieht so aus, als bleibt die nationale Identität noch stärker als die europäische Identität, und wir müssen das anerkennen.
    "Brauchen europäische und nationale Ebene"
    Engels: Besteht dann auf der anderen Seite nicht die Gefahr, dass ein Prozess in Gang kommt, dass jeder wieder zu stark national guckt und am Ende das gesamte System auseinanderbricht?
    McDonald: Ich glaube nicht. Ich glaube, wir können alle Ebenen organisieren. Wir brauchen beides: Wir brauchen die europäische Ebene und die nationale Ebene und wir können alles so arrangieren.
    Engels: Sie schreiben auch, es müsse andere Wege als das Europäische Parlament geben, um den Vertrauensverlust in der EU zu bekämpfen. Wir haben gehört, die nationalen Parlamente stärken ist eine Idee. Haben Sie es denn auf der anderen Ebene, was den Alltag angeht, auch etwas konkreter?
    McDonald: Die Europäische Union muss wettbewerbsfähiger werden. Die Europäische Union braucht eine klare Politik in Energiepolitik, in Umweltpolitik. Wenn die EU effektiver ist, ist die EU stärker und bedeutender für normale Bürger.
    Engels: Der britische Botschafter in Deutschland, Simon McDonald. Wir sprachen mit ihm über die Europawahlen und die britische Perspektive. Vielen Dank für Ihre Zeit.
    McDonald: Vielen Dank, Frau Engels.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.