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Europawahl
Wahlaufrufe und Orban-Kritik

Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban unterstützt nicht länger die Spitzenkandidatur des CSU-Politikers Manfred Weber für die europäischen Konservativen bei der Europawahl. Darauf reagiert die CDU wiederum mit deutlicher Kritik. Politiker von CDU und SPD rufen derweil zur Teilnahme an der Wahl auf.

Von Frank Capellan | 07.05.2019
Der ungarische Premierminister Viktor Orban steht im im Mai 2018 in Sofia in hellen Tageslicht.
Der ungarische Ministerpräsident Orban distanziert sich von EVP-Spitzenkandidat Weber (picture alliance / Stoyan Nenov)
CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer geht davon aus, dass Viktor Orban von sich aus den Austritt seiner Regierungspartei Fidesz aus der konservativen europäischen Parteienfamilie EVP vollziehen wird. "Er hat mit seinem Verhalten in den vergangenen Tagen ein Zeichen gesetzt", meint Kramp-Karrenbauer. Damit meint sie vor allem das Treffen Orbans mit dem Chef der italienischen Rechtspopulisten Salvini. "Reisende soll man nicht aufhalten," meint Michael Grosse-Brömer. Der Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag hält es für einen gravierenden Fehler, dass Viktor Orban dem EVP-Spitzenkandidaten Manfred Weber die Unterstützung verweigert, und dann meldet sich auch Friedrich Merz zu Wort. Der im Rennen um den CDU-Vorsitz unterlegene Herausforderer pflichtet der neuen Vorsitzenden im Umgang mit den Ungarn bei:
"Was die Fidesz-Partei und Herrn Orban betrifft, hat ja die Parteivorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer aus meiner Sicht das Richtige gesagt: Die EVP hat versucht, Orban eine Brücke zu bauen, die er erkennbar nicht gehen will. Ich bedaure das sehr, aber wenn von ihm selbst diese Brücke nicht beschritten wird, dann ist die Trennung vermutlich unvermeidbar."
Dossier: Europawahlen
Alle Beiträge zum Thema finden Sie auf unserem Europawahl-Portal (picture alliance / dpa / Kay Nietfeld)
Parteiübergreifender Wahlaufruf
Merz spricht in Berlin anlässlich eines Wahlaufrufs der Deutschen Nationalstiftung. Die hatte sich nach der Wiedervereinigung das Zusammenwachsen Deutschlands auf die Fahnen geschrieben; sorgt sich aber auch um den Zusammenhalt Europas:
"Wir sehen Europa in der Tat in Gefahr", urteilt auch ein ehemals führender Sozialdemokrat, der Ex-Finanzminister und Ex-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück, der vor einem Rechtsruck in Europa warnt, "und glauben deshalb, auch öffentlich Bürgerinnern und Bürger motivieren, wenn nicht auffordern zu dürfen, zu dieser Europawahl zu gehen und nicht diejenigen Kräfte zu wählen dabei, die dieses Europa erkennbar beschädigen wollen."
Norbert Lammert, Christdemokrat, langjähriger Bundestagspräsident, fürchtet, dass der Bevölkerung die Bedeutung dieser Wahl längst nicht bewusst ist. Auch er beklagt den wachsenden Nationalismus weltweit:
"Tatsächlich machen sich immer mehr europäische Staaten auf den Weg einer verzweifelten Wiederherstellung nationalstaatlicher Souveränität. Die simpelste, denkbare Bezeichnung eigener Ambitionen, die dieser famose amerikanische Präsident seiner eigenen Administration vorgegeben hat - 'America first!' - ist ja in der Zwischenzeit längst zur heimlichen Nationalhymne immer mehr europäischer Staaten geworden."
Deutsche Verantwortung
Und Lammert spart nicht mit Kritik an der eigenen Regierung: Europa brauche neue Ideen. Frankreichs Präsident Macron sei der Einzige, der neue Reformanstöße auf den Weg gebracht habe. Darin sind sich die Ehemaligen offensichtlich parteiübergreifend einig. Ex-Außenminister Sigmar Gabriel, einst SPD-Vorsitzender:
"Es gibt keine deutsche Gefahr für Europa durch Handeln, sondern durch Nicht-Handeln. Andere handeln auch nicht, der Unterschied ist nur: Wir reden hier über den Zentralstaat mit 82 Millionen Einwohnern."
Parteifreund Steinbrück pflichtet bei. Deutschland komme seiner Verpflichtung nicht mehr nach, dieses Europa voranzubringen:
"Ich hätte erwartet, dass nach mehrfachen Vorstößen des französischen Staatspräsidenten Macron es eine substantielle Antwort dieser Großen Koalition gegeben hätte, rechtzeitig mit Blick auf dieses wichtige Datum der europäischen Parlamentswahlen am 26. Mai, und es jedenfalls weit im Vorfeld eine deutsch-französische Initiative gegeben hätte, die dieses Europa in seiner Bedeutung und in seiner Weiterentwicklung noch einmal sehr viel stärker ins Bewusstsein gelenkt hätte."
CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer allerdings dürfte sich durch die Ideen des österreichischen Kanzlers bestätigt sehen. Auch sie hatte gefordert, das Europaparlament künftig nur noch in Brüssel tagen zu lassen. Auch die CDU kann sich mit dem Gedanken anfreunden, die Kommission zu straffen. Und schärfere Sanktionen gegenüber Mitgliedsstaaten, die ihren Reform-Verpflichtungen nicht nachkommen oder rechtliche Standards verletzen, werden auch bei den Konservativen intensiv diskutiert.