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Europawahlkampf der AfD
Streit um die Meinungsfreiheit

Eine Veranstaltung der AfD im Vorfeld der Europawahl in Köln wird von Demonstranten massiv gestört: Der Zugang zum Veranstaltungsort wird blockiert, Politikeransprachen lautstark übertönt. Die Gegner meinen ihr Ziel erreicht zu haben. Anhänger der AfD wiederum sehen sich in der Opferrolle: Ihre Meinung werde unterdrückt.

Von Moritz Küpper | 11.04.2019
Beide Lager der AfD sind im Saal aufgesprungen mit Handys in der Hand, filmen sich gegenseitig.
Wahlkampfauftakt der AfD Köln für die Europawahl im Kölner Stadtteil Kalk (Deutschlandradio / Moritz Küpper)
Ein Veranstaltungssaal im Bürgerhaus Kalk am Sonntagabend. Wahlkampfauftakt der Alternative für Deutschland, kurz AfD, für die Europawahl. Guido Reil, die Nummer zwei der AfD auf der Liste, ist auch nach Köln gekommen, als Stargast angekündigt.
Etwas mehr als zehn Stuhlreihen sind vor einer Bühne aufgebaut. Auf der Leinwand dahinter prangen die Konterfeis der Kandidaten. AfD-Funktionäre, -Mitglieder und -Sympathisanten haben etwa das vordere Drittel der Plätze belegt. Im hinteren Bereich dagegen, sind Menschen, die protestieren, ihren Unmut über die AfD offenbaren – und durch Klatschen und mit Rufen die Veranstaltung stören.
Handys gezückt
Offiziell hat diese Veranstaltung noch gar nicht begonnen, da hat sich deren Sinn und Zweck scheinbar bereits erfüllt. Denn: Beide Lager sind aufgesprungen, viele haben ein Handy in der Hand, filmen sich gegenseitig – und auch Reil, früherer Bergmann und langjähriges SPD-Mitglied bis zu seinem Wechsel zur AfD, macht eifrig Bilder und Videos:
"Glauben Sie mir, diese Bilder, die werden durch die sozialen Netzwerke gehen. Das wird hier Wirkung haben. Und das wird nicht schlecht für die AfD ausgehen. Die AfD hat hier heute nicht verloren."
Seine Partei und sich selbst, sieht Reil an diesem Abend als Opfer:
"Also, die Stadt Köln hat hier voll und ganz versagt, ich habe so etwas noch nie erlebt. Und ich habe schon viel erlebt, aber das ist wirklich krass. Dass die Störenfriede nicht ausgeschlossen wurden, dass die immer noch hier sind, dass überhaupt nichts passiert ist. Die Polizei verhindert tatsächlich – und da sind wir hier schon sehr dankbar – dass wir gelyncht werden. Also, Meinungsfreiheit, eine Wahlkampfveranstaltung, eine Wahlkampfveranstaltung der größten Oppositionspartei des Landes konnte hier heute nicht stattfinden – und das ist eine Bankrott-Erklärung."
Gegner: Kein Platz für Rassismus
"Also, die AfD hat Tausende von Möglichkeiten, die werden in Talkshows eingeladen, die kriegen Interviews in allen großen Tageszeitungen. Also, wenn die AfD behauptet, sie werden unterdrückt, dann ist das eine Lüge." Sagt dagegen ein weißhaariger Mann mit Bart. Er sitzt mitten unter den Demonstranten.
"Weil ich der Meinung bin, dass die AfD eine rassistische Partei ist, die noch starke rassistische und auch neofaschistische Elemente hat und da sind wir der Meinung, dass so etwas kein Platz haben soll im öffentlichen Raum halt. Deswegen gehen wir hin, überall da, wo die AfD ist, versuchen wir das zu verhindern."
Polizei: Versammlungsrecht schützen
Eine detaillierte inhaltliche Auseinandersetzung mit der Partei findet weiter nicht statt, die Ablehnung – sie ist grundsätzlicher Natur. Es wird geschrien – und gefilmt:
"Also, da wo wir mit demokratischen Mitteln stören können, machen wir das und das ist leider viel zu wenig. Ich möchte, dass überall im Land, wo Menschen was gegen die AfD machen, sie sich auch der AfD in den Weg stellen."
"Wir schützen die demokratischen Rechte, dazu gehört auch das Versammlungsrecht." Sagt hingegen Thomas Held, Sprecher der Kölner Polizei.
Haftbefehl, Strafanzeigen, Gewahrsamnahme
Bereits ab dem Nachmittag hatten sich die Demonstranten in Köln-Kalk, einem Stadtteil, in dem viele Migranten leben, der geprägt ist von italienischen Restaurants, türkischen Imbissläden, Cafés und Wettbüros, zusammengefunden. Alle drei Zugangsstellen zum Veranstaltungsort werden blockiert.
"Ganz Köln hasst die AfD, ganz Köln hasst die AfD, ganz Köln hasst die AfD."
Sprechchöre, Musik, bunte T-Shirts und Plakate: "Kein Kölsch für Nazis", prangt von den Häuserwänden. Menschen, die zur AfD-Veranstaltung wollen, werden behindert, teilweise gejagt, es fliegen Bierbecher – bis jeweils die Polizei einschreitet – und die Person in den abgesperrten Veranstaltungsbereich eskortiert. Mehrere Hundertschaften seien im Einsatz, so Polizeisprecher Held. Denn: Ende letzten Jahres eskalierte bereits schon einmal eine AfD-Veranstaltung, die Bühne wurde gestürmt, ein Beamter schwer verletzt. Auch an diesem Sonntagnachmittag werden sich drei Polizistinnen durch den Einsatz von Tränengas leichte Verletzungen zuziehen:
"Naja, wir hatten damit gerechnet, dass im politischen Wahlkampf, dass es natürlich auch Gruppierungen gibt, die sich nicht freundlich gegenüberstehen. Deswegen haben wir diese Sperrstellen ja eingerichtet. Unsere Aufgabe ist es aber, einen Ausgleich im politischen Feld herzustellen, wir als Polizei sind neutral." Sagt Polizeisprecher Held.
Demonstranten haben sich in Köln-Kalk, einem Stadtteil, in dem viele Migranten leben, zusammengefunden.
Demonstranten haben sich in Köln-Kalk, einem Stadtteil, in dem viele Migranten leben, zusammengefunden. (Deutschlandradio / Moritz Küpper)
Ergebnis der Blockade-Versuche: Ein vollstreckter Haftbefehl, 13 Strafanzeigen wegen Verdachts der Beleidigung, Widerstands, Landfriedensbruchs, Sachbeschädigung und Körperverletzung, insgesamt nehmen die Polizisten sieben Personen in Gewahrsam. Abläufe, mit denen die AfD – auch und gerade in Köln – kalkuliert.
Gezielte Provokationen
Der Veranstaltungsort im von Migranten geprägten Kalk - eine klassische Provokation, genauso wie einst – nach der sogenannten Kölner Silvesternacht – der Bundesparteitag inmitten der Kölner Innenstadt. Flagge zeigen, so lautet dann auch, hinter vorgehaltener Hand, der Tenor unter den AfD-Leuten. Zudem gibt es weitere Indizien für eine gezielte Provokation: Seit Monaten beispielsweise, hat sich ein AfD-Landtagsabgeordneter aus Köln darauf spezialisiert, zusammen mit einem Kameramann Videos zu drehen, vermeintliche Interviews mit der gegnerischen Seite zu führen, bei denen er sich oft nicht zu erkennen gibt und die Interviewgäste augenscheinlich vorführen möchte. Die Polizei hat kaum Möglichkeiten dagegen vorzugehen. Gleiches gilt denn aber auch für den Zugang zur Veranstaltung, so Polizeisprecher Held, der eben jedem offen stehe:
"Jetzt ist es hier so gewesen, dass wir an Versammlungsteilnehmern politisch gegnerische Lager in den Räumlichkeiten hatten und dass es auch zu intensiven Störungen gekommen ist..."
Beispielsweise als AfD-Spitzenmann Reil irgendwann dann doch die Bühne betritt und versucht gegen die Menge anzubrüllen. Zwischen den Stuhlreihen läuft indessen eine ältere Frau aus dem AfD-Lager umher, verteilt Grundgesetze, um auf die Versammlungs- und Meinungsfreiheit aufmerksam zu machen, während – in der letzten Reihe – eine junge Frau sitzt, die eine blau-rote Fahne "Der Falken" über den Schultern trägt, das Logo der Sozialistischen Jugend Deutschlands. Sie klatscht eifrig: "Sie haben nichts zu informieren."
Bei der Frage nach der Meinungsfreiheit, unterbricht sie direkt…
"… aber wer ist denn hier die Mehrheit? Die Mehrheit sind doch Leute, die gegen die AfD hier sitzen und Stellung beziehen, oder?"
Sprich: Die Veranstaltung stören. Dass – um in dieser Logik zu bleiben – auch die Minderheit etwas sagen darf, dass die AfD diese Störmanöver gezielt nutzt, um sich als Märtyrer zu stilisieren, sieht die junge Frau nicht: "Es ist ja keine Minderheit, die AfD, es ist ja eine traurige Mehrheit. Keiner muss die AfD wählen."
Erst Mehrheit, dann wieder Minderheit, es bleibt grotesk.
Beide Seiten fühlen sich bestätigt
Derweil schreitet der Vorsitzende des AfD-Kreisverbandes Köln durch die Reihen, schließt die Störer einzeln aus – und ruft dann die Polizisten herbei.
Der Polizeisprecher erklärt: "Und immer dann, wenn die Menschen dann nicht aufstehen und sofort den Raum verlassen, begehen sie eine Ordnungswidrigkeit und an dem Moment kommt die Polizei ins Spiel, denn der Versammlungsleiter darf nicht Menschen anfassen und aus dem Raum tragen lassen."
41 Personen werden letztendlich einzeln abgeführt, für knapp eine halbe Stunde kann die Partei die Bühne dann doch noch nutzen. Um die Inhalte geht es hier heute nicht: Die AfD freut sich über die Aufmerksamkeit, die Demonstranten sehen sich am Ziel, eine politische Veranstaltung teilweise unterbunden zu haben. Dass die AfD das Ganze für die eigenen Interessen ausschlachten wird, interessiert den Mann mit dem weißen Bart unter den Demonstranten nicht: "Ich ziehe mir das nicht an und Ende. Ich finde, das ist gut. Hier ist die Mehrheit gegen die AfD und ich möchte, dass das überall im Land so ist."
Auch AfD-Mann Reil sieht sein Ziel erreicht: "Na, Gottseidank war ich jetzt die letzten 30 Jahre im Bergbau, da ist es laut und ich bin es gewohnt gegen Lautstärke, gegen einen Pegel anzureden. Und das ist mir, glaube ich, ganz gut gelungen, also, ich konnte wenigstens was sagen und das ist schon mal wichtig."
Verstanden hat ihn zwar so gut wie keiner – aber darum ging es an diesem Abend wohl auch nicht.