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European Media Art Festival
Sind wir nicht alle ein bisschen Staatsfeind?

Wenn es um das Thema Überwachung geht, ist "1984" die Utopie schlechthin - die inzwischen zumindest teilweise als Realität gilt. Nun widmet sich das European Media Art Festival in Osnabrück dem Thema und zeigt wie Künstler, Programmierer, Philosophen und "Whistleblower" damit umgehen.

Von Peter Backof | 25.04.2014
    Eine Ausstellungsmitarbeiterin steht am 23.04.2013 kurz vor der Eröffnung des European Media Art Festivals (EMAF) in der Kunsthalle Dominikanerkirche in Osnabrück in der Installation mit dem Titel "Mecaniques Discursives".
    Eine Ausstellungsmitarbeiterin steht in der Installation mit dem Titel "Mecaniques Discursives". (Picture Alliance / dpa / Friso Gentsch)
    Grasgrün ist der Parabolspiegel, einer der Hingucker in der Osnabrücker Kunsthalle. Genau dieses Grün ist bei heutiger digitaler Filmproduktion die Basisfarbe, die Blindfarbe, in die hinein sämtliche virtuellen Realitäten projiziert werden.
    Moment, was ist das? Zwei Meter vor dem Parabolspiegel stehend haben wir plötzlich Stimmen im Nacken. "Stalker 2" von Anke Eckardt klingt, als würden wir Polizeifunk abhören. Wir schwenken den Parabolspiegel und lenken so den Ultraschallcluster auf andere Besucher. Jetzt zucken die zusammen. Wir freuen uns diebisch. Unheimliche Begegnung der dritten Art: Die Welt muss doch randvoll sein mit Stimmen, mit Text: Milliarden von Telefonaten in jeder Sekunde. Die Antenne spiegelt das, verstärktes Gedankenlesen. Wir haben Zugriff auf ein Netz, 30 Meter weiter in der Kunsthalle, bekommen wir erklärt, wie ein Netz überhaupt funktioniert. Eine Wi-Fi-Netz-Schnittstelle ist installiert.
    "Wenn wir so ein Wi-Fi haben, von unserem eigenen Gerät, also Laptop oder Mobiltelefon, dann geht das nur bis zu 200 Meter, dann ist Schluss."
    Dosentelefon als Antenne für Smartphones
    Erklärt Mathias Jud, Schweizer Künstler und Programmierer. Zusammen mit Christoph Wachter hat er das Gegenszenario zum transzendent-sinnlichen Medienerlebnis aufgebaut: Kein Netz, kein Empfang, das Internet ist abgeschaltet! Was machen wir denn jetzt? Workshop "Call Net" - Netz ohne Internet:
    "Mit einfachen, selbst gebauten Dosenantennen kann man das Signal über viel größere Distanzen übermitteln. Und wir werden dann, von hier aus zur "Lagerhalle", die auch Teil des Festivals ist, eine Verbindung aufbauen."
    Unheimliche Begegnung, die zweite: Dosentelefon, das alte Kinderspiel, als Antenne für Smartphones, wie geht das zusammen? Von der Kunsthalle bis zur Lagerhalle, das sind 500 Meter zu laufen. Und: Es funktioniert! Christoph Wachter kommentiert:
    "In der Türkei weiß heute jeder, wie ein DNS- Server funktioniert und wie man die DNS-Einstellungen ändert an seinen Geräten. Das weiß hier niemand."
    Eigene Kommunikationsmittel neu organisieren
    Christoph Wachter und Mathias Jud sind derzeit international sehr gefragt. In Istanbul zum Beispiel haben sie ihre Workshops veranstaltet, als im Rahmen der Gezi-Park-Proteste alle Netze abgeschaltet waren. Ihr Call Net wurde so zum Behelfs-Internet. Christoph Wachter:
    "Mit Software wieder zu arbeiten, und nicht über politische Diskussionen gehen zu müssen, weil es ganz konkret zeigt: Wie spielerisch und einfach jeder bei sich anfangen kann, seine eigenen Kommunikationsmittel neu zu organisieren, souveräner, selbstbestimmter zu werden."
    Osnabrück ist jetzt Mekka. Durch die Straßen der Altstadt pilgern in dieser Woche Grüppchen von Medienkunstinteressierten. Viele sehen dem Konterfei auf dem Festivalplakat verblüffend ähnlich: Mann um die 30, Bartträger, Nerd-Brille. Die modische Ausgabe eines Edward Snowden. Der ist auf dem Festival zwar nicht persönlich anwesend, aber das gefühlte Paradigma: Wie kann man sich dem Zugriff aus dem Netz verweigern?
    Medienkunst muss mehr leisten, als uns technikbegeistert zu verblüffen. Die Besucher erwarten sich Antworten und starke Bilder, Gegenbilder. Acht Schauplätze sind, verteilt auf die Altstadt, einbezogen. Das Programm ist so satt, dass man es nur ausschnitthaft und zwangsläufig subjektiv erleben kann. Im Zimmertheater zum Beispiel, einem Hinterhofkino, begegnen wir Stalagmiten und Stalaktiten aus zersägten, schwarzen Vinyl-Schallplatten. Die Assoziation ist sofort da: diese Atmosphäre unmittelbarer Bedrohung. Das kreisrunde Loch, das in "Brazil", der Monty Python Adaption von George Orwells 1984, plötzlich in die Decke gefräst wird: Zugriff des Überwachungsstaats! Auf dem Festival wird natürlich auch viel diskutiert: Das Ende der Privatsphäre, die NSA-Affäre, aber es sind auch schon alleine diese atmosphärisch starken Bilder, die medienkünstlerisch hinter Wi-Fi und Hi-Fi auch oft auf das Lo-Fi zurückgreifen. Technik mit Bedeutung. Dieser Besuch lohnt sich.