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"Eva sagt, ich habe Mundgeruch"

Die Veröffentlichung der Hitler-Tagebücher sollte die Sensation des Jahrhunderts werden. Es wurde aber das größte Desaster der deutschen Pressegeschichte daraus. Der Fälscher Konrad Kujau bereut auch 25 Jahre später nichts. Welche Wege die damals enormen Geldsummen genommen haben, ist nie vollständig aufgeklärt worden.

Von Bettina Schmieding | 19.04.2008
    "Ich kann damit leben, wenn jemand sagt, das ist der Meisterfälscher. Warum denn nicht?"

    Na ja, so meisterlich fälschte Konrad Kujau nun auch wieder nicht. Was die Mitarbeiter des "Stern" nicht sehen wollten, hätte selbst einem Laien kaum entgehen können. Konrad Kujau alias Adolf Hitler hätte in Schönschrift eine glatte "Eins" bekommen, so makellos waren die 60 schwarzen Tagebücher, die er an den "Stern" lieferte. Viel zu makellos um echt zu sein, befand dieser Mitarbeiter des Bundesarchivs 1983, als alles raus war mit Kujau, dem "Stern"-Reporter Heidemann und den falschen Tagebüchern:

    "Von der ersten bis zur letzten Zeile befindet sich nie ein Schreibfehler. Der Anfertiger hat nie ein Wort ausstreichen müssen, hat nie eins hinzufügen müssen, keine Buchstaben nachzeichnen müssen. Es sieht aus, als ob der Führer des Nachts Reinschriften seiner Notizen angefertigt hat."

    Und was er schrieb, war stellenweise ebenso banal wie unwahrscheinlich für einen wie Hitler. Schließlich ließ ihn Kujau notieren, dass er in den Tagebüchern seine politischen Unternehmungen und Gedanken für die Nachwelt festhalten wollte. Ein bisschen Sex wird auch den Hitler-Tagebüchern gut tun, mag sich Kujau dann ergänzend gedacht haben, stets die illustrierte Kundschaft im Kopf. So ließ er Zwischenmenschlich nichts anbrennen.

    "Der kleine Goebbels macht schon wieder Geschichten mit Frauen. Werde in den nächsten Tagen einen geheimen Erlass herausgeben, dass ich von meinen engsten Mitarbeitern und Parteiführern im Reich keinerlei Affären mehr wünsche."

    Und nicht mal bei der Optik hatte sich der schwäbische Fälscher wirklich Mühe gegeben. Die 60 Kladden stammten aus einem HO-Laden in der DDR, auf alt getrimmt mit ein bisschen Spucke, Asche und Schleifpapier. Zweifler hatten keine Chance, denn die Auflage des "Stern" war im Keller. Lange Zeit wurde die Chefredaktion des Blattes nicht einmal eingeweiht. Von dem Geschäft, so das Kalkül, sollten in erster Linie Reporter Heidemann, Fälscher Kujau, Ressortleiter Thomas Walde und der Verlag profitieren. Der Druck, die größte journalistische Sensation der Nachkriegszeit endlich an die Kioske zu bringen, war groß. Schließlich wurde die ganze Sache langsam auch richtig teuer.

    "Wir haben natürlich Geld investiert, in die Recherche, viel Geld und das geschieht einfach deshalb, weil uns für die Information unserer Leser nichts zu teuer ist."

    Gerade in die Recherche, das wusste man bereits eine Woche nach diesem Bekenntnis des "Stern"-Chefredakteurs Peter Koch zum Qualitätsjournalismus, in die Recherche war offensichtlich der deutlich kleinere Teil der 9,3 Millionen Mark, die der "Stern" für die Tagebücher ausgegeben hatte, geflossen. Kujau hatte einen Batzen abbekommen, der "Stern"-Reporter Gerd Heidemann, der sich mit dem Kauf von Hermann Görings Motoryacht hoch verschuldet hatte, ebenso. Aber wo mindestens die Hälfte des Geldes geblieben ist, das weiß man auch 25 Jahre nach dem Skandal nicht.

    Überhaupt: das Geld. Für den damaligen "Stern"-Redakteur Michael Seufert, der die internen Ermittlungen nach dem Skandal leitete, war das Geld der Grund für den ganzen Schlamassel.

    "Das ist eine klassische Interessenkollision. Wenn die ihren Job richtig gemacht hätten, und von Anfang an kritisch geprüft hätten, dann wäre der Traum vom großen Geld ausgeträumt gewesen."

    Und diesen Traum träumte neben Kujau und Reporter Heidemann auch der Verlag Gruner und Jahr. Als das Ganze aufflog, waren bereits die Verträge mit internationalen Medienkonzernen unterschrieben. Die Newsweeks dieser Welt wollten dabei sein, wenn dieses wichtige Stück deutscher Geschichte umgeschrieben werde musste. Nichts geringeres hatte der Verlag Gruner und Jahr nämlich angekündigt, als er die Tagebücher veröffentlichte.

    Umso größer der Vorwurf, den sich die "Stern"-Leute hinterher machen lassen mussten. Denn schließlich war es nicht nur journalistischer Übereifer, das hätte man ihnen wohl nachgesehen. Es war das Bestreben, das große Geld zu machen und das Bild des historischen Adolf Hitler zu verändern. "Eva sagt, ich habe Mundgeruch", lässt Kujau Hitler an einer Stelle lamentieren. Hitler, der Kriegstreiber und Massenmörder mit menschlichem Antlitz, sollte das die Botschaft der bunten Illustrierten sein? Auch der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl, übrigens selbst Historiker, fragte sich, wes Geistes Kind Fälscher, Reporter und Verleger wohl waren:

    "Ich glaube, es wird schon von Interesse sein, mal zu ergründen, wie es zu diesen Fälschungen kam. Ich schließe gar kein Motiv aus. Man kann doch politische Motive und finanzielle Motive sehr miteinander verbinden. Man ist ja vielleicht finanziell möglicherweise umso erfolgreicher, je politischer man das motiviert."