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Evangelische Kirche zur Seenotrettung
Kirchliches Rettungsschiff als Signal

Die beiden christlichen Kirchen halten die Seenotrettung im Mittelmeer für eine humanitäre Pflicht. Die EKD kann sich mehr als Worte und Geldgaben vorstellen - sie diskutiert über ein eigenes Rettungsschiff. Das sei nicht Aufgabe einer Kirche, sagen Kritiker.

Von Julia Mumelter | 04.07.2019
Selbst handeln? Auf dem Kirchentag in Dortmund wurde zum Thema "Offene Häfen in Europa" diskutiert. Mit dabei: Leoluca Orlando, Bürgermeister von Palermo mit Heinrich Bedford-Strom (re.) Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland, Mattea Weihe, Crewmitglied Sea-Watch 3, li., Präsident Hans Leyendecker (hi.)
Selbst handeln? Auf dem Kirchentag diskutierten Palermos Bürgermeister Leoluca Orlando und Sea-Watch-Crewmitglied Mattea Weihe mit EKD-Ratsvorsitzendem Bedford-Strom zum Thema "Offene Häfen in Europa" (imago images / Cord)
"Dass Europa an dieser Stelle endlich klar ist, dass nicht die sich rechtfertigen müssen, die Flüchtlinge retten, sondern diejenigen, die es verhindern."
Es gab große Zustimmung für den EKD-Ratsvorsitzenden und bayerischen Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm beim Evangelischen Kirchentag in Dortmund. Seine Botschaft: nicht mehr zusehen, wie Menschen im Mittelmeer ertrinken, sondern selbst aktiv werden. Daraufhin wurde am Kirchentag noch eine Resolution verabschiedet, die ein solches Rettungsschiff Wirklichkeit werden lassen soll. Verfasst hat diese Willenserklärung der grüne Europaabgeordnete Sven Giegold.
"Dabei ist wichtig, dass es nicht mehr reicht, was wir bisher schon machen, mit kirchlichen Geldern die NGOs zu unterstützen, sondern die Kirche muss selbst ein Schiff schicken, sie muss nicht unbedingt der Eigentümer des Schiffes sein, aber symbolisch Verantwortung dafür übernehmen."
Da es in der EU keine Lösung für eine Verteilung der Flüchtlinge gibt und Italien sich deswegen weigert, Schiffe anlegen zu lassen, spitzt sich die Lage im Mittelmeer immer mehr zu. Zudem gibt es wegen der strengen Regeln für die Seenotrettung immer weniger Schiffe von Nichtregierungsorganisationen. Viele liegen beschlagnahmt in den Häfen. Deshalb muss die Kirche aktiv werden, meint Sven Giegold – Präsidiumsmitglied beim Dortmunder Kirchentag.
"Ein Kirchenschiff dermaßen an die Kette zu legen, dürfte auch Salvini und anderen schwerer fallen und daher geht es mir letztendlich darum, einen Appell darüber an die Politik zu erreichen. Mir geht es nicht darum, dass wir auf Dauer zum Schiffsunternehmer werden als Kirche."
"Grunddaten der Humanität nicht verschieben"
Ein Kirchenschiff könne die Probleme nicht lösen, doch es könne ein starkes Signal sein, sagt auch der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche Heinrich Bedford-Strohm:
"Wir sind dabei, ein breites zivilgesellschaftliches Bündnis zusammenzubringen, das ein klares Zeichen setzen soll, dass wir uns nicht mit einer Politik des Sterben-Lassens auf dem Mittelmeer zufriedengeben, nicht wir als Kirchen und nicht all die Menschen, die außerhalb der Kirchen mit uns daran arbeiten, dass die Grunddaten der Humanität in Europa sich nicht verschieben."
Die Evangelische Kirche Deutschlands will nun an diesem gesellschaftlichen Bündnis arbeiten, um das Rettungsschiff Wirklichkeit werden zu lassen. Diesem Bündnis sollen sich Kirchen, Organisationen und Einzelpersonen anschließen können.
Der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm war überrascht, dass die Idee so positiv aufgenommen worden ist:
"Was ich erlebe, ist ganz viel Zustimmung, weil die Menschen intuitiv sagen und von ihrem christlichen Glauben her sowieso sagen, das kann nicht sein, dass man die Leute ertrinken lässt, diese ganz unmittelbare Reaktion, die die politischen Lösungen nicht ersetzt, das ist mir alles klar, aber das ist eine sehr gesunde Intuition."
Kritische Stimmen zum kirchlichen Rettungsschiff im Mittelmeer gibt es allerdings auch.
"Aktionismus"
Der Wiener Theologieprofessor Ulrich Körtner kann nachvollziehen, warum die Idee auf so viel Zustimmung stößt, findet sie aber dennoch problematisch:
"Wenn Boote extra dorthin fahren, um Menschen zu retten, dann ist das einerseits verdienstvoll, andererseits wird aber damit die Bereitschaft bei Leuten gefördert, sich in diese Gefahr hineinzubegeben und das ist ein zweischneidiges Schwert. Und nur diese Menschen zu retten, reicht nicht aus, dann müsste man auch vorher klären, wo sollen die denn dann hin und insofern finde ich, ist dieser Aktionismus eine Verkürzung des Problems."
Zudem sei ein eigenes Rettungsschiff auch eine starkes politisches Signal -, die EKD mische sich damit sowohl in die europäische als auch in die italienische Politik ein, meint der Theologe Körtner.
Vielfach wurde in der Evangelischen Kirche ein Satz des früheren Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker zitiert: Die Kirche wolle nicht selbst Politik machen, sondern sie wolle Politik möglich machen. Von Weizsäcker war auch Präsident des Evangelischen Kirchentages. Mit einem eigenen Rettungsschiff im Mittelmeer würde sich die Kirche von diesem Gedanken nun entfernen, so Körtner:
"Insofern, glaube ich, bewegt sich die Kirche hier in einem problematischen Fahrwasser und verspielt eigentlich die Möglichkeit, die ich von den Kirchen erwarten würde, nämlich so etwas wie eine Vermittlerrolle, eine Mediatorenrolle einzunehmen. Indem man sich so politisch positioniert, wird dieses wichtige Gut eigentlich verspielt. "
Sea Watch begrüßt die Pläne
Italiens Innenminister Salvini kommt mit seiner strikten Politik, mit der er privaten Hilfsorganisationen immer wieder die Einfahrt in italienische Häfen verweigert, bei vielen Italienern gut an. Doch Salvini ist auch bekennender Katholik und er hat sich zuletzt mit Rosenkranz in der Hand auf der Bühne gezeigt. Auf die Idee der EKD, ein kirchliches Rettungsschiff ins Mittelmeer zu schicken, hat er zumindest offiziell noch nicht reagiert. Doch sollte das Schiff eines Tages tatsächlich Migranten nach Italien bringen wollen, ist davon auszugehen, dass Salvini das als Einmischung in die italienische Innenpolitik sieht und nicht gutheißen wird.
Die private Seenotrettungsorganisation Sea Watch hingegen begrüßt die Pläne. Hilfe im zentralen Mittelmeer sei unbedingt notwendig, denn es herrsche dort ein extremer Mangel an Rettungskräften, sagt der Sprecher von Sea Watch Ruben Neugebauer. Er hofft, dass das neue Schiff so schnell wie möglich einsatzbereit ist:
"Mit dieser starken zivilgesellschaftlichen Unterstützung sollte es sicherlich möglich sein, ein entsprechendes Schiff aufzutreiben und dann gegebenenfalls mit professioneller Crew loszuschicken, wir als Organisation, die vier Jahre Erfahrung haben, sind da gerne bereit in der praktischen Umsetzung zu helfen."
Im September soll es im Rat der Evangelischen Kirche eine Entscheidung geben. Dann wird ein Konzept vorgelegt werden, um zu klären in welcher Weise und wie stark sich die Evangelische Kirche im Rahmen eines zivilgesellschaftlichen Bündnisses an dem neuen Rettungsschiff beteiligen wird.