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Evangelischer Bischof Dibelius
"Eine übergroße Politik-Nähe"

Er gehört zu den umstrittensten Persönlichkeiten der evangelischen Kirche des 20. Jahrhunderts: Otto Dibelius. Sein Todestag jährte sich am 31.1.2017 zum fünfzigsten Mal. Dibelius unterstützte Adolf Hitler und später den CDU-Kanzler Adenauer. Eine schillernde Persönlichkeit, die die Frage aufwirft, wie eng Staat und Kirche verquickt sein dürfen.

Von Thomas Klatt | 21.02.2017
    Der Berliner Bischof Otto Dibelius, Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche Deutschlands, spricht während des Evangelischen Kirchtentages 1959 in München vor Mitarbeitern des Münchner Siemens-Betriebes über die Lage in Berlin und der Ostzone.
    Otto Dibelius spricht während des Evangelischen Kirchentages in München 1959 (dpa/Gerhard Rauchwetter)
    Otto Dibelius - ein schillernder Kirchenmann. So schillernd, dass er bis heute viele Fragen aufwirft. Auch die, wie eng Staat und Kirche verquickt sein dürfen. Trotz aller Dispute zu Dibelius - der Berliner Historiker Manfred Gailus ist sich sicher:
    "Man kann vieles über ihn sagen, es wird nichts daran ändern, dass er die Jahrhundertfigur der Berliner Kirche des 20. Jahrhunderts ist. Von 1920 bis 1960, also über 40 Jahre, spielte er fast immer eine dominante beherrschende Rolle, war also der wichtigste Mann der Berliner Kirche im 20. Jahrhundert, daran lässt sich nicht rütteln."
    Otto Dibelius entstammte einer preußischen Beamtenfamilie. Erste Stationen seines pastoralen Wirkens waren Guben, Danzig und Lauenburg in Pommern. Bald machte er Karriere in Berlin, wurde 1925 Generalsuperintendent der Kurmark.
    Unterstützung für Machtergreifung Hitlers
    "Otto Dibelius war in der Weimarer Republik deutsch-national, also 'Deutsch-Nationale Volkspartei'. Sie bekämpft die Weimarer Republik heftig, also eine Partei, die zweifellos mit zu den Totengräbern der ersten deutschen Demokratie zählt. Und Otto Dibelius war ein Parteimitglied, im Kern Revision des Versailler Vertrages, eine Beendigung der Demokratie, der Parteienherrschaft und Aufrichtung eines autoritären Regimes, also eine Art christlich-autoritärer Staat."
    Otto Dibelius war nicht nur antidemokratisch, er begrüßte auch die Machtergreifung Adolf Hitlers. Beim Tag von Potsdam am 21. März 1933 hielt er die Festpredigt als führender evangelischer Geistlicher.
    "Ein großes Ja zum politischen Umschwung und ein kleines verstecktes Nein zu Begleiterscheinungen - das ist kurz zusammengefasst der Tenor seiner Predigt in der Nikolaikirche vor begeisterten auch Nationalsozialisten", sagt Gailus. "Das war ein Jubeltag. Nach der Predigt, so hat er selbst geschrieben, kam Göring auf ihn zu und hat ihm gesagt, das war die beste Predigt, die ich in meinem Leben gehört habe. Also das war keine distanzierende Predigt, das war schon gar nicht eine Widerstandspredigt."
    21.3.1933: Reichspräsident Paul von Hindenburg bei seiner Rede vor dem neu konstituierten Reichstag in der Potsdamer Garnisonkirche.
    21.3.1933: Reichspräsident Paul von Hindenburg bei seiner Rede vor dem neu konstituierten Reichstag in der Potsdamer Garnisonkirche. (picture alliance / dpa / IMAGNO)
    Auch begrüßte Otto Dibelius den Kampf gegen alles Jüdische. Der Antisemitismus von Otto Dibelius sei nicht wegzudiskutieren, sagt der Historiker Manfred Gailus.
    "Er hat es mehrfach gesagt: In der Zeit 1933, aber auch in der Nachkriegszeit, gehörte ein gewisser Antisemitismus bei uns zum guten Ton. Im Jahr 1933, wo er sich sogar exponiert, in der Zeit des Judenboykotts, am 1. April gehört er zu den Leuten, die beschwichtigen und sagen, das ist hier gar nicht so schlimm. Er hält eine Rundfunkansprache, die auch in den USA gesendet wird, worin er die amerikanische Öffentlichkeit zu beruhigen versucht auf Wunsch und Anregung von Joseph Goebbels."
    Für das Recht auf Kriegsdienstverweigerung
    Allerdings sei der führende evangelische Geistliche eine schillernde Persönlichkeit gewesen. So setzte er sich 1930 in seinem Buch "Friede auf Erde" für eine geradezu visionär neue Zusammenarbeit der Nationen und der Welt-Kirchen ein. Der Kirchenhistoriker Hartmut Ludwig erinnert daran, …
    "… dass er auch hier in Deutschland eine Arbeitsgemeinschaft für den Völkerbund geleitet hat. Dass er sich für eine Revision des Verhältnisses der Sicht von Krieg und Frieden in der evangelischen Kirche damals eingesetzt hat."
    Und etwa zehn Jahre bevor die Nazis die Welt in Brand setzten, sprach sich Otto Dibelius für das Recht auf Kriegsdienstverweigerung aus. Zumindest indirekt. Aus Sicht des Regimes war das Vaterlandsverrat, wenn Dibelius argumentiert:
    "Die Kirche kann nicht aufrufen zur Kriegsdienstverweigerung, aber wenn jemand von seinem Gewissen her den Kriegsdienst verweigern will, dann muss die Kirche ihm zur Seite stehen. Und das ist 1930 überraschend."
    Auch ging Otto Dibelius in Opposition zu den Deutschen Christen und arbeitete im Brandenburger Bruderrat der Bekennenden Kirche mit. Dafür kam Dibelius mehrfach in Haft.
    Überraschend auch, dass Otto Dibelius sich zwar antisemitisch äußerte, konkret aber verfolgten Juden geholfen hat, etwa der nach Nazi-Definition so genannten Halbjüdin Senta Maria Klatt. Kirchenhistoriker Hartmut Ludwig.
    "Senta Maria Klatt ist seine Sekretärin geworden. Es berichten auch andere Helfer für jüdische Verfolgte, dass er auch Finanzmittel beschaffte, auch da eine totale Wandlung!"
    Steile Karriere nach dem Krieg
    Nach dem Krieg ging die Karriere von Otto Dibelius steil bergauf. In seiner Person gab es eine so vorher noch nie dagewesene evangelische Machtfülle, weiß Historiker Manfred Gailus.
    "Wenn man sich mal vor Augen hält, welche Positionen er verkörperte, in sich vereinigte: Es war niemand anderes da, der ihm das streitig machen konnte."
    Andere evangelische Kirchenpersönlichkeiten wurden geradezu an den Rand gedrängt.
    "Also es gab einige berühmte Personen, die auf Grund ihres Mutes, aufgrund ihres Engagements im Kirchenkampf eigentlich die Kirchenführung, die Leitung in Berlin hätten haben sollen", sagt Gailus. "Sie waren entweder nicht da oder sie wurden an die Seite gedrängt. Also Martin Niemöller, Martin Albertz, der Spandauer Superintendent, der eine sehr geradlinige Haltung auch in den Kriegsjahren vertreten hat, dafür jahrelang im Gefängnis gesessen hat. Martin Albertz wird an den Rand gedrängt."
    Schweigen über Verquickung von Nationalsozialismus und Kirche
    Otto Dibelius wurde schließlich der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland. Vor allem ging es dem Berliner Bischof nach 1945 darum, seine Kirche möglichst unbeschadet wieder als gesellschaftlich wichtige Instanz zu etablieren. Jegliche Diskussion über die Verquickung von Nationalsozialismus und Protestantismus unterband Otto Dibelius.
    "Dibelius nach '45 steuert einen Kurs mit großem Verständnis für die ehemaligen Deutschen Christen", sagt Gailus. "Da gibt es also die extremsten Nazi-Theologen, Joachim Hossenfelder, Leiter der Glaubensbewegung Deutsche Christen, Karl Themel, der nazimäßige Judenforschung in der Kirche betrieben hat, Walter Hoff, ein extremer Nazi, der sich selber gerühmt hat, im Ost-Krieg bei der Judenvernichtung geholfen zu haben, Friedrich Tausch, der fanatische Leiter der Deutschen Christen in Berlin. Alle diese Theologen werden auf die eine oder andere Weise wieder in der Kirche aufgenommen."
    Otto Dibelius, selbst CDU-Mitglied, unterstützte die neue Regierung unter Konrad Adenauer. So wie er zum Machtantritt von Adolf Hitler predigte, so nahtlos konnte Otto Dibelius nun die Festpredigt zur Eröffnung des Deutschen Bundestages in Bonn im September 1949 halten.
    "Nach dem Krieg entsteht eine Fraktion im Protestantismus, die ich - in Anführungszeichen - 'CDU-Protestantismus' nenne. Das waren Protestanten, die mit der politischen Richtung in Bonn sehr eng zusammen gingen. Eine katholisch dominierte deutsche Regierung, und ein Teil der konservativen deutschen Protestanten machten da mit. Der andere Teil - ich nenne nur Niemöller oder Gollwitzer, Heinemann - kommt dann auch ins Spiel, sagte: 'Wir machen da nicht mit!' Aber Dibelius ist ein deutlicher Vertreter des CDU-Protestantismus, macht dann eben auch eine entsprechende CDU-Politik in den 50er-Jahren mit, Wiederbewaffnung, die ganze Atomfrage ist ja heiß umstritten. Bischof Dibelius ist ein 'cold war bishop', wirklich ein Kalter-Kriegs-Bischof!"
    Der amerikanische Bürgerrechtler und Baptistenpfarrer Martin Luther King, Bischof Otto Dibelius und der Regierende Bürgermeister Willy Brandt am 13.09.1964 in Berlin zum Tag der Kirche
    1964 in Berlin: Martin Luther King, Otto Dibelius und Willy Brandt (v. lks.) (picture-alliance/ dpa)
    Für Otto Dibelius sei es vor allem darum gegangen, dass die deutsche Kirche international wieder anerkannt wurde. Der evangelische Theologe und Journalist Jens Gundlach aus Hannover:
    "Ich glaube Dibelius, der hatte die Größe der evangelischen Kirche in Deutschland im Auge. Er blendete die NS-Zeit einfach aus. Er kam damit opportunistisch sowohl dem deutschen Volk als auch den deutschen Eliten entgegen, die einer Selbstreinigung im Wege standen und sich selbst frei sprachen von jeglicher Mitschuld. Dass die Kirche von dem Volk und den Eliten wieder anerkannt wurde und als wichtige Institution in Staat und Gesellschaft wieder ins Amt kam."
    Bis heute fehle es an einer kritischen Aufarbeitung der Dibelius-Zeit in der evangelischen Kirche. Auch Historiker Manfred Gailus meint, Otto Dibelius sei prototypisch für eine zu große Nähe der protestantischen Kirche zur Politik. Daraus müssten evangelische Christen in der Gegenwart und in der Zukunft Konsequenzen ziehen.