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Evangelischer Kunstdienst im Dienst der Nazis
Goebbels' willige Helfer

Die Nationalsozialisten diffamierten, was ihnen nicht passte: auch Künstler. Tausende Kunstwerke wurden, weil "entartet", aus Museen entfernt. Auch um damit Geld zu machen. Dabei half der "Evangelische Kunstdienst". Die Kunstdiener bereicherten sich nicht - aber sie kooperierten mit Goebbels.

Von Thomas Klatt | 25.10.2017
    Der nationalsozialistische Führer Adolf Hitler (r) und der Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, Joseph Goebbels (M), besuchen 1937 die Ausstellung "Entartete Kunst" im Münchner Haus der Kunst. Während des Dritten Reiches wurden auf der Grundlage der Rassentheorie unzählige moderne Kunstwerke von den Nationalsozialisten als "artfremd", bzw. "entartet" angesehen und beschlagnahmt oder zerstört. Eine Auswahl der Werke wurde 1937 in München ausgestellt.
    Adolf Hitler und Joseph Goebbels besuchen die Ausstellung "Entartete Kunst" (picture-alliance / dpa / Ullstein)
    Adolf Hitler: "Das ganze Kunst- und Kulturgestotter von Kubisten, Futuristen, Dadaisten und so weiter ist weder rassisch begründet noch völkisch erträglich. Es ist höchstens als Ausdruck einer Weltanschauung zu werten, die von sich selbst zugibt, dass die Auflösung aller bestehenden Begriffe, aller Völker und Rassen, die Vermischung und Verpanschung höchstes Ziel der intellektuellen Urheber und Führergilde ist."
    20.000 Kunstwerke aussortiert
    Ernst Barlach, Käthe Kollwitz, Otto Dix, Oskar Kokoschka, Franz Marc, Emil Nolde, Karl Schmidt-Rottluff, Wilhelm Lehmbruck, Lovis Corinth, Marc Chagall. Diese und noch viel mehr galten den Nazis als "entartet".
    Adolf Hitler: "Nicht nur die politische, sondern auch die kulturelle Linie der Entwicklung des Dritten Reiches bestimmen die, die es erschaffen haben."
    Rund 20.000 Kunstwerke von 1.400 Künstlern wurden aus über 100 Museen aussortiert. Nur ein Bruchteil der konfiszierten Werke wurde in der berühmt-berüchtigten gleichnamigen Wanderausstellung als "Entartete Kunst" ausgestellt. Der allergrößte Teil kam ins Depot und sollte gegen Devisen verkauft werden. Schließlich musste ein Krieg finanziert werden. Eine kleine evangelische Dienststelle spielte dabei eine nicht unerhebliche Rolle.
    Der Turm der blauen Pferde von Franz Marc. Das Gemälde zeigt vier blaue Pferde unter einem Regenbogen (imago stock&people)
    Der Turm der blauen Pferde von Franz Marc. 1913 entstanden, wurde das Bild in der Ausstellung "Entartete Kunst" gezeigt. Es gilt seit 1945 als verschollen. (imago stock&people)
    "Ein Ort der Freiheit"
    Die Geschichte des evangelischen Kunstdienstes beginnt zehn Jahre zuvor in Sachsen. Arndt von Kirchbach ist Domprediger in Dresden. Als Generalstabsoffizier hat er den Zusammenbruch der Monarchie erlebt. Jetzt sucht er nach Orientierung - und findet Halt in einer neuen liturgischen Bewegung. Arndt von Kirchbach will das Verhältnis von christlichem Kult und moderner Kunst neu bestimmen. Der Chemnitzer Buchhändler Gotthold Schneider schließt sich ihm an. Er hat Kontakte zu Otto Dix, Ernst Barlach, Emil Nolde oder Walter Gropius. Man trifft sich im Hause von Kirchbachs zu ersten "Künstlernachmittagen". 1927 stößt Oskar Beyer dazu.
    "Oskar Beyer war Kunsthistoriker. Er wollte einen neuen Menschen, eine neue Gesellschaft und neue Kunst fördern."
    Sagt der Berliner Kulturwissenschaftler Dieter Kusske, der über die Geschichte des evangelischen Kunstdienstes promoviert hat. 1923 schrieb Beyer in seinem Buch "Schöpfung", die evangelische und die katholische Kirche hätten die Macht über die Menschen eingebüßt. Das Volk sei an kirchlichen Fragen zunehmend desinteressiert. Und die Kirchen würden die Kunst nur als "Kirchenschmuck" betrachten. Um das "religiöse Kunstproblem" zu lösen, müsse ein "Ort der Freiheit" geschaffen werden, ein Ort ohne die theologisch-dogmatischen Schranken der verfassten Kirchen. Oskar Beyer war seiner Zeit voraus. Innovationen waren ihm wichtig.
    Anfangs war der Kunstdienst offen
    Am 6. Februar 1928 wurde in Dresden schließlich die "Freie Arbeitsgemeinschaft für evangelische Gestaltung" gegründet - später einfach Kunstdienst genannt. Eine Initiative, die stets mit ihrer Kirche verbunden blieb. Dieter Kusske sagt:
    "Der Kunstdienst war in dem Sinne mit der evangelischen Kirche verbandelt, dass man versuchte, enge Arbeitskontakte herzustellen. Man hat entsprechende Fördermittel bekommen. Das war ja der Gründungsgedanke 1928, man ist nicht Teil der evangelischen Kirche, man ist außerhalb der evangelischen Kirche als freie Arbeitsgemeinschaft tätig. Man bezieht sich aber auf die evangelische Kirche, die evangelische Theologie. Von der Warte her bestand ein enges Verhältnis, zumal die Mitglieder des Kunstdienstes alle evangelisch beheimatet waren."
    Der evangelische Kunstdienst suchte nach neuen liturgischen Ausdrucksmöglichkeiten mithilfe moderner Kunst. Man lud auch jüdische Intellektuelle ein - etwa den Religionsphilosophen Martin Buber zu einem Vortrag. Anfangs war der Kunstdienst offen, auch für andere Konfessionen und Religionen.
    Staatliche Aufwertung durch die Nazis
    Eine interreligiöse Offenheit, die 1933 ein abruptes Ende findet. Der evangelische Kunstdienst zieht von Dresden nach Berlin. Von 1933 an ist er dem Innenministerium zugeordnet, dann der Reichskulturkammer, schließlich dem Propagandaministerium.
    Die evangelischen Kunstdiener erleben diese Schritte als Fortschritt. Sie werden staatlich aufgewertet. Aber auch das neue nationalsozialistische Regime profitiert davon: Es kann seine Kirchenfreundlichkeit unter Beweis stellen - auch gegenüber dem misstrauischem Ausland. Etwa bei der Weltausstellung 1934 in Chicago, wo Nazi-Deutschland unter anderem mit moderner Kirchenkunst vertreten war. Ein Imagegewinn.
    "Weil es auch ein relativ positives Echo in den Medien gab. Das war die Voraussetzung, dass der Kunstdienst Eingang auch in den Apparat von Reichskulturkammer und Reichspropagandaministerium fand", sagt Dieter Kusske.
    Oskar Beyer, der innovativ-interreligiös denkende Gründer, war aus seinem Kunstdienst allerdings schon 1930/31 herausgedrängt worden. Im Übergang zur Machtergreifung der Nationalsozialisten waren nun andere Männer im evangelischen Kunstdienst bestimmend, etwa Hugo Kükelhaus, Leiter der Abteilung Handwerk in der "NS-Kulturgemeinde". Oder:
    "Karl Ruppel, der später im Ahnenerbe der SS tätig ist als Referent. Man gewinnt Winfried Wendland, der entscheidend dann auch Verbindungen hat in die Naziherrschaft", erzählt Kusske.
    "Gut und Böse"
    Der Kunstdienst wurde nun maßgeblich aus Reichsmitteln finanziert. Er avancierte zu einer der Schaltstellen für die nationalsozialistische Geschmackserziehung des deutschen Volkes. Die Nationalsozialisten nutzten die Formensprache von Gebrauchskunst zu Propagandazwecken.
    "Sie hatten sich nämlich zum Ziel gesetzt, den deutschen Menschen umzuformen, den Volkskörper zu einem dienenden, ergebenen Menschen, der keine Persönlichkeit mehr hat; und das ging auch bis in die Produktgestaltung hinein."
    Sagt die Juristin Sabine Zentek, die diese Zusammenhänge für ihre Dissertation recherchiert hat. Es gab sieben Institutionen, so ihr Forschungsergebnis, die im "tausendjährigen Reich" für die Geschmackserziehung des ganzen deutschen Volkes zuständig sein sollten: Kraft durch Freude, Amt Schönheit der Arbeit, Amt Schönheit des Wohnens, Amt Schönheit der Mode, Reichsheimstättenamt, Reichsmode-Akademie und Kunstdienst.
    Längst ging es beim Kunstdienst nicht mehr um Sakrales oder die liturgische Modernisierung von Gottesdiensten. Der kleine evangelische Verein verschrieb sich ganz der nationalsozialistischen Geschmacksdiktatur. Sabine Zentek sagt:
    "Der Kunstdienst hatte sich auch zur Aufgabe gestellt, an der kulturellen Neuausrichtung bei den Dingen des Alltags mitzuwirken. Man griff alle gestalterischen Bereiche auf und durchtränkte sie mit den NS-Ideologien. Und der Kunstdienst verlautbarte ausdrücklich, dass sauber und ehrlich gestaltete Produkte Einfluss auf ihre Benutzer ausüben sollen. Auch der Kunstdienst arbeitete entsprechend der Unterscheidung, die man ja von der "entarteten Kunst" kennt und auch aus der Arbeit der anderen NS-Institutionen, die sich mit der Kultur beschäftigten, mit den Gegensätzen von Gut und Böse, Gesund und Krank, Gut und Schlecht, diese Begriffspaare tauchten überall auf."
    "Nordische Volkskunst"
    Der Kunstdienst stellte nun Maler, Bildhauer, Schmiedemeister und andere Gestalter aus, die unwidersprochen den NS-Geschmack vertraten. Es ging um das Diktat einer klaren Linie, die der Industrie und dem Handwerk keine Gestaltungsspielräume mehr lassen sollte. Etwa die Schmiedearbeiten von Julius Schramm, der für die Deutsche Reichspost einen Reichsadler mit Hakenkreuz gestaltet hatte. Immer wieder ging es dem evangelischen Kunstdienst darum, unter der Fuchtel des Regimes eine nordische Volkskunst zu etablieren, die Sinnbilder germanischer Wehrhaftigkeit in Ornament und Grafik zu verbreiten. "Entartet" - damit sollte es ebenso vorbei sein wie mit Kitsch.
    Nun sollten Teller, Tassen, Becher, Gabeln und Messer deutsch und rein sein. Es ging aber nicht nur um die Geschmackserziehung des deutschen Volkes. Die evangelischen Kunstdiener bemühten sich auch, die Wehrkraft zu stärken. Das Kunstdienst-Vokabular passte sich der NS-Ideologie an.
    "Der Kunstdienst ist eine Institution geworden, die natürlich sich angepasst hat und ihren Platz gesucht hat innerhalb des Systems und auch gefunden hat innerhalb des Propagandaministeriums."
    Sagt Andreas Hüneke von der Forschungsstelle "Entartete Kunst" an der Berliner Freien Universität.
    "Dann hat der Stefan Hirzel während des Krieges eine christliche Soldatenzeitung herausgegeben, wo sich einem heute die Nackenhaare sträuben, wie da für den eigenen Sieg Gott zuhilfe gezogen werden soll."
    Devisen aus "entarteter Kunst"
    In den Schriften des Kunstdienstes kamen aber auch weniger opportune Autoren zu Wort, der liberale Politiker und spätere erste deutsche Bundespräsident Theodor Heuss etwa. Oder Adolf Reichwein, der zum Widerstandskreis des 20. Juli 1944 gehörte. Aber das blieben Ausnahmen.
    Eine Aufmüpfigkeit gegen die Reichspropaganda wollte sich der Kunstdienst nicht leisten. Denn die NS-Sicherheitsbehörden überprüften die Mitarbeiter des Kunstdienstes. Schließlich hatte der evangelische Verein einst mit Juden gemeinsame Tagungen abgehalten und mit verdächtigen Theologen wie Karl Barth und Paul Tillich kooperiert. Obwohl verdächtig, hatte der evangelische Kunstdienst dennoch einen mächtigen Fürsprecher, der sich stark für ihn machte - gegen alle Sicherheitsbedenken: Joseph Goebbels.
    Denn der Reichspropagandaminister brauchte die kleine christliche Dienststelle für ein wichtiges Devisen-Beschaffungsprogramm. Anlaufstelle dafür war ein kleines preußisches Schloss in Berlin-Pankow. Goebbels hatte ein großes Interesse, die sogenannte "entartete Kunst" nicht nur öffentlich zu verfemen, sondern sie auch kriegswichtig zu versilbern. Der Dortmunder Kirchenhistoriker Hans Prolingheuer:
    "Er brauchte Devisen. Deswegen wollten sie verkaufen. Da hat er die ausländischen Interessenten, die gehört haben, da gibt es tolle Sachen, die Moderne steht zum Ausverkauf in Deutschland. Und die haben sich gemeldet und haben gesagt, wir wollen da unser Schnäppchen machen. Und damit das schön aussah für die Ausländer und Interessenten, haben sie den evangelischen Kunstdienst gebeten. Goebbels hat dann gesagt, könnt ihr uns nicht Eure Räume geben, und dann möchten wir da die Werke präsentieren."
    Harmonie der nördlichen Flora von Paul Klee - eine Anordnung von Rechtecken und Quadraten in gedeckten Farbtönen (Bild: imago stock&people)
    Harmonie der nördlichen Flora von Paul Klee - seine Kunst galt in der NS-Zeit als "entartet" (imago stock&people)
    "Unentwegt kam der Möbelwagen"
    Verantwortlich für die Präsentation der Werke war Gertrud Werneburg. Die Ausstellungsmacherin wird vom Kunstdienst zur Leiterin ernannt. Wie eine Marktfrau organisiert sie den Ausverkauf. Hans Prolingheuer hat mit ihr noch sprechen können und ihre Erinnerungen festgehalten.
    "Ich habe angefangen mit 175 Ölbildern aus denen allmählich 6.000 wurden, 7.000! Unentwegt kam der Möbelwagen angefahren und brachte neue Bilder. Und dann kamen Aquarelle und die ganzen 'Brücke'-Leute. Von Franz Marc bis Christian Rohlfs, von Ernst Ludwig Kirchner bis Otto Dix."
    Daneben wurden auch Plastiken und andere Gegenstände der bildenden Kunst zum Verkauf angeboten. Gertrud Werneburg erinnerte sich so:
    "Von nun an kam irgendein Kunsthändler und suchte sich Bilder aus. Ich hatte zwei große Räume. Da hatte ich die Bilder alle angeschichtet. An die 60 Rohlfs alleine."
    "Herr Prolingheuer, Herr Prolingheuer, benommen haben wir uns da wirklich nicht wie Kirche! Dann ist das da vonstattengegangen: Von 1. September 1938 bis Mitte 1939 haben die verkauft an die 7.000 Werke da."
    Das bestätigt auch der Berliner Kunsthistoriker Andreas Hüneke. Der evangelische Kunstdienst war williger Helfer. Kasse gemacht hat dabei aber der NS-Staat selbst.
    "Die Verkäufe lagen beim Propagandaministerium. Es war eine Aktion, die in den Händen des Propagandaministeriums lag und in den Räumen des Kunstdienstes abgewickelt wurde."
    "Fünf Meisterbilder für ein verkrüppeltes Geklitsche"
    Der evangelische Kunstdienst hat mitgewirkt, die wahren Akteure waren aber die von den Nazis beauftragten Kunsthändler.
    "Als man 1937 hier auch die Berliner Museen 'säuberte', hatte auch keiner geschaut, wie die eigentlichen Besitzverhältnisse dieser Werke waren. Auch die wurden beschlagnahmt über die vier Kunsthändler: Hildebrand Gurlitt, Karl Buchholz, der sein Geschäft in der Leipziger Straße hatte, Böhmer in Güstrow, und Ferdinand Möller."
    Sagt Uwe Hartmann, Leiter der Provenienzforschung am Deutschen Zentrum Kulturgutverluste in Magdeburg. Die vier Kunsthändler sind die entscheidenden Figuren in diesem zynischen Spiel. Ihr Geschick ist besonders bei Tauschgeschäften gefragt. Hitler konnte sich später rühmen, dass er "für ein verkrüppeltes Geklitsche fünf italienische Meisterbilder" bekommen hat - auch dank Hildebrand Gurlitt. Die Mitarbeiter des Kunstdienstes standen ihnen zur Seite. Denn mit ihrer Hilfe konnten die Nazis im Ausland ihr Gesicht wahren.
    Uwe Hartmann sagt: "Und durch diese Kunsthändler, durch den Kunstdienst und andere Beteiligte wirkt das scheinbar, und von außen auch so wahrgenommen, seriöser als Angelegenheit."
    Einigen Kunden aus Norwegen oder der Schweiz wiederum wollen die verfemten Kunstwerke in Sicherheit bringen, indem sie sie kaufen. Für Uwe Hartmann eine zweischneidige Angelegenheit, denn einerseits hätten Liebhaber moderner Kunst so wichtige Werke gerettet, andererseits konnten sie der Versuchung nicht widerstehen, günstig in den Besitz unerreichbaren Museumsgutes zu gelangen. Wer kaufen durfte, das bestimmten die Nazis, genauer: die Reichskammer der bildenden Künste oder sogar Goebbels persönlich.
    "Der sich ja vielfach dafür einsetzte, diesen ganzen Prozess, der sich bis 1943 hinzog, entsprechend zu beschleunigen. Er wollte aus jedem 'entarteten' Kunstwerk entsprechendes Kapital schlagen und wenn es noch so wenig war", sagt Dieter Kusske.
    Ein zweifelhaftes Feuer
    Kapital in Millionenhöhe. Manch eine Arbeit wurde auch privat beiseite geschafft. Und doch blieb ein Rest von mehreren Tausend Werken. Jahrzehntelang galt es als sicher, dass die Nazis ein großes Feuer, ein Autodafé veranstaltet hatten, um die nicht mehr verkäuflichen Werke zu vernichten. Der Dortmunder Kirchenhistoriker Hans Prolingheuer aber bezweifelt die Berichte der letzten Zeugin, dass es jenes große Feuer gegeben habe:
    "Ein Zentrallager gab es ja an der Köpenicker Straße. Von dort wurde es immer ins Schloss Niederschönhausen gebracht, damit das immer präsent war, wenn Kunden kamen. Sie möchte ja gerne sagen, es ist verbrannt worden. Das haben die natürlich gesagt, es ist alles verbrannt worden und dann sind die futsch und alle Bilder waren auf einmal weg. Ich hab sie dann immer wieder gefragt: Haben Sie es gesehen? Sie sind die letzte Zeugin, die dazu noch etwas sagen kann. Und dann hat sie gesagt: Um Himmels willen, ich bin nicht dabei gewesen."
    Nach der Machtübernahme 1933 ließen die Nationalsozialisten die Bücher verfemter Autoren wie Lion Feuchtwanger, Erich Kästner und Sigmund Freud verbrennen. (Bild: dpa)
    Hat es neben Bücherverbrennungen auch Bilderverbrennungen gegeben? (picture alliance / dpa)
    Die letzte Zeugin, Kunstdienstmitarbeiterin Gertrud Werneburg, hatte die vermeintlich große Kunstverbrennung also nicht gesehen. Auch Andreas Hüneke ist überzeugt: Dieses Kunst-Autodafé der Nazis ist nicht beweisbar.
    "Tatsache ist andererseits, dass eine Reihe von Werken inzwischen aufgetaucht sind, die in dem Inventar, das die Nazis angelegt haben, als zerstört gekennzeichnet sind."
    Keiner wurde je zur Rechenschaft gezogen
    Rund 250 Werke sind bis heute wieder aufgetaucht, obwohl sie von den Nazis als zerstört gelistet waren. Fast 5 000 Werke also sind bis heute verschollen. Und der evangelische Kunstdienst? Am 29. April 1945 zerstören Brandbomben das Haus am Matthäikirchplatz 2. Der Verein hatte keine Arbeitsräume mehr. Das war sein Ende.
    Mit den Kunstdienstmitarbeitern ging es weiter. Etwa mit Stephan Hirzel. Er, der es zum Referenten beim Reichsminister für Rüstung und Kriegsproduktion gebracht hatte, wurde nach dem Krieg Professor an der Staatlichen Hochschule für Werkkunst in Dresden. Hugo Kükelhaus, zeitweilig Amtsleiter bei der "Nationalsozialistischen Kulturgemeinde" und Mitarbeiter bei der Forschungsstelle SS-Ahnenerbe, arbeitete nach 1945 als Lehrer, Autor und Innenarchitekt.
    Gertrud Werneburg lebte bis 1993 in Berlin-Tempelhof. Ihr Nachlass gilt als verschollen. Winfried Wendland, der aktiv an der Schließung des Bauhauses beteiligt war, wurde 1952 zum evangelischen Kirchenbaurat in der Berliner Landeskirche berufen. Auch war er von 1962 bis 1974 kommissarischer Leiter des Kunstdienstes der evangelischen Kirche in Ost-Berlin.
    Denn nach dem Krieg wurden in mehreren Landeskirchen sowohl in Ost- als auch Westdeutschland evangelische Kunstdienste neu gegründet. Man wollte an die Idee des ursprünglichen Kunstdienstes von 1928 anknüpfen. Es galt, den Dialog zwischen Kirche und Kunst neu zu fördern. Das dunkle Kapitel 1933-45 wurde lange verschwiegen. Keiner der zuletzt verantwortlichen Kunstdienstmitarbeiter wurde je zur Rechenschaft gezogen.