Freitag, 29. März 2024

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Evanglischer Kirchentag
Die Vertrauensfrage

Das Motto des 37. Evangelischen Kirchentags beschwört Gottvertrauen. Doch wer will sich darauf schon verlassen? Die Veranstaltung in Dortmund geht in einem Programmschwerpunkt auf die Ängste der Deutschen ein: vor der Digitalisierung, dem Klimawandel - und dem Tod.

Burkhard Schäfers im Gespräch mit Christiane Florin | 20.06.2019
16.04.2018, Nordrhein-Westfalen, Dortmund: Kirchentagspräsident Hans Leyendecker, Präses Annette Kurschus und Generalsekretärin Julia Helmke (v.l.n.r.) mit Luftballons vor einem Plakat für den Deutschen Evangelischen Kirchentags, der vom 19. bis 23. Juni in Dortmund stattfindet
Vertrauen steht auf dem diesjährigen Kirchentag im Mittelpunkt (Bernd Thissen / dpa)
"'Man kann nichts machen' ist der gottloseste aller Sätze. Man muss was machen. Immer". Hans Leyendecker, der Präsident des Kirchentages, zitierte gestern bei der Eröffnung die große politische Theologin Dorothee Sölle. Also: Keine faulen Ausreden, in Dortmund wird geschuftet für die Verbesserung der Welt. Fleißige Bibelarbeiterinnen und -arbeiter verrichten seit 9.30 Uhr ihr Werk. Aber so richtig geht es erst am Vormittag los. Es wird geistig und geistlich malocht im Ruhrgebiet. Denn so versteht sich ein Kirchentag: als Arbeit an den Großbaustellen dieser Gesellschaft.
37. Evangelischer Kirchentag in Dortmund
"Was für eine Angst. Leben und Sterben zwischen Wut und Erlösung"
Konzerthaus Dortmund
"Autoritätspersonen sind lange nicht hinterfragt worden"
"Was für ein Vertrauen" heißt das Leitwort des Kirchentages, aber geplant ist nicht nur bibelfester Jubel. Geplant ist auch ein Reihe, die sich mit Verunsicherung und Angst auseinandersetzt. Das Thema wirft auch Fragen auf für die Institution Kirche: Die Zahl der Austritte ist hoch, bis 2060 - so eine Projektion - werden katholische und evangelische Kirche die Hälfte ihrer Mitglieder verloren haben.
Traugott Roser, evangelischer Professor für Praktische Theologie an der Universität Münster, sieht im Umgang mit Macht eine Ursache für den Vertrauensverlust der Institution:
"Zu diesem Vertrauensbruch und dieser Vertrauenskrise ist es gekommen, weil wir fragen, mit welchem Auftrag begegnen uns eigentlich Autoritätspersonen. Sie sind schlichtweg lange Zeit nicht hinterfragt worden, und hier hat es eine Reihe von Äußerungen oder Verhaltensweisen gegeben, die dazu geführt haben, dass man diesen Autoritätspersonen grundsätzlich eher zurückhaltend begegnet."
Ängste beim Namen nennen
Roser bildet an der Universität Münster angehende Religionslehrer und Pfarrer aus. Auf dem Kirchentag nimmt er an einem Podium zum Thema Angst teil. Mit dem Hinweis auf Gottvertrauen dürften nicht einmal gläubige Christinnen und Christen zu vertrösten sein, angesichts von Ängsten verschiedener Art: vor den Folgen der Digitalisierung, vor dem Klimawandel, vor dem Verlust des Arbeitsplatzes.
Traugott Roser ist Experte fürs Existenzielle. Er begleitet Schwerkranke und Sterbende und hat das Konzept der Spiritual Care mitentwickelt. Dass in jüngerer Zeit wieder verstärkt über Sterbehilfe diskutiert wird, deutet er als Zeichen der Angst:
"Die Debatte ist immer ein Zeichen dafür, dass Ängste vorhanden sind. Und deswegen ist jede Debatte zum Thema gut, weil wir damit auch Ängste beim Namen nennen können, und das Wichtigste ist, damit kann man manche dieser Ängste auch bannen, indem man sagen kann: Dieses wird nicht eintreffen. Das erleben wir viel in diesem Bereich, wenn man mit Patienten und deren Familien darüber spricht, was wird denn noch erwartbar kommen."