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"Everybody" am Signature Theater
Ein "Jedermann" für die New Yorker

Der Dramatiker Branden Jacobs-Jenkins hat den "Jedermann" für die New Yorker Bühne adaptiert. Mit viel Humor und unkonventionellen Theaterideen haben er und Regisseurin Lila Neugebauer einen „Jedermann“ auf die Bühne gebracht, bei dem der Tod jeden Abend die Rollen neu verteilt.

Von Andreas Robertz | 28.02.2017
    Ein roter Theatervorhang
    Ein roter Theatervorhang (picture alliance / dpa - Marcus Brandt)
    Auf der Bühne des Signature Theaters steht eine einzelne Stuhlreihe vis-á-vis vom Publikum. Eine Platzanweiserin erklärt, unter welchen Umständen der Nicht-Stören-Modus der Handys dazu führt, dass es trotzdem klingelt, fragt nach dem Gesundheitszustand einzelner Zuschauer und fordert sie mit Michelle-Obama-eskem, klebrig süßen Lehrerinnenton auf, ihre Hustenbonbons endlich einzunehmen. Sie skizziert kurz die Entstehungs- und Deutungsgeschichte des Stückes, erzählt von den mittelalterlichen Vorlagen, dem holländischen Stück "Elckerlijc” und einer buddhistischen Parabel, und längst ist jedem klar, dass man sich bereits mitten im Stück befindet.
    Vom Somebody zum Everybody
    Dann fängt sie an, am ganzen Körper zu zittern und die Augen nach hinten zu verdrehen, als wäre sie von einem Geist besessen. Mit tiefer Stimme und in breitem urbanen Slang schimpft sie nun als Gott über den alles relativierenden Materialismus der Menschheit, die ihn anscheinend eh längst vergessen hat. Gott will, dass die Menschen nach ihrem Tod mit einem detaillierten Bericht ihrer Taten zu ihm kommen, um seine Arbeit beim letzten Gericht zu erleichtern. Der Tod wird von der unglaublich witzig charmanten Mary-Louise Burke gespielt, eine sehr kleine und mit einer kratzenden Pieps-Stimme ausgestatteten Schauspielerin, die fünf Spieler, die sogenannten "Somebodies", aus dem Publikum scheucht und auffordert, mit ihr auf ihre letzte Reise zu gehen. Doch diese haben Angst, allein zu sterben und so lässt sie sich bequatschen und gibt ihnen etwas Zeit, Gefolgschaft zu suchen.
    Doch vorher verlost sie noch mit einer Lotterietrommel die Rollen des Abends: Everybody, Friendship, Family, Stuff, Strength, Senses und Understanding. Mittlerweile ist die Platzanweiserin zurück und erklärt, dass, weil jedermann jederzeit Everybody sein kann und um die Beliebigkeit des Todes zu betonen, die Schauspieler alle Rollen gelernt hätten; aus den 120 möglichen Varianten werde nun die des Abends ausgewählt.
    Respektlosigkeit und Humor
    Eins muss man Dramatiker Branden Jacobs-Jenkins und Regisseurin Lila Neugebauer schon lassen: Mit vielen guten Ideen und einer gehörigen Portion Respektlosigkeit haben sie die moralinschwere Vorlage um das Leben und Sterben des Jedermann in eine moderne Form gebracht, die die altbekannten Themen von Tod, Gott und Sterben verhandelt, aber auch Theaterkonventionen und Besetzungsklischees infrage stellt. So spielt einen Abend ein weißer alter Mann Everybody, am nächsten eine junge schwarze Frau. Auf seiner Reise muss Everybody schmerzlich erkennen, dass niemand ihn begleiten will: Friendship hat es mit der Liebe nicht so gemeint, Family hat genug mit ihrem eigenem Leben zutun und Stuff freut sich schon auf den nächsten Menschen, der sein Herz an ihn hängen wird.
    In Brandon Jacobs-Jenkins "Everybody" gibt es weder Buhle noch Teufel wie in der Hofmannsthal-Fassung, außerdem hat er die mittelalterliche Idee, dass die Beichte und das Bekenntnis zu Jesus Christus Everybody rettet, gestrichen; sie würde ohnehin nicht in einer modernen Gesellschaft funktionieren. Der Autor stellt sich vielmehr die Frage, wie das Sterben-Müssen in einer säkularen Gesellschaft verhandelt wird. Statt der Beichte führt Jacobs-Jenkins die Figur der Liebe ein, ein beleidigter Zuschauer, der gerade das Theater verlassen will, weil er sich übergangen fühlt. Die Liebe verspricht mit ihm zu gehen, wenn Everybody nackt um das Publikum herumrennt und so lange: "Dieser Körper ist nur Futter für die Würmer" schreit, bis er erschöpft zusammenbricht. Er tut es, dankbar endlich einen Weggefährten gefunden zu haben.
    Mehr recyceln
    Am Ende geht die Liebe als einzige mit ihm in die Grube, nachdem Senses, seine Sinne, Strength, seine Kraft und Understanding, sein Verstehen, völlig irritiert am Grab zurückbleiben. Der Tod hat keinen Sinn, solange man noch lebt.
    Bei all dem Unterhaltungswert fällt die Moral der Geschichte dann allerdings eher dürftig aus. Die Platzanweiserin schlägt vor, man solle, sozusagen als kleinsten gemeinsamen Nenner, während man noch lebt, etwas netter zueinander sein und vielleicht anfangen, mehr zu recyceln. Da fällt dann das mit viel Intelligenz aufgebaute Kartenhaus der Aufführung in sich zusammen – wie das Leben angesichts des Todes. Immerhin: Selbst in dieser Banalität verliert diese Produktion nicht ihren Humor.