Donnerstag, 25. April 2024

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Ewald Hetrodt
"Die Unverfrorenen"

Postengeschacher in der Lokalpolitik: Ewald Hetrodt hat als Korrespondent in der hessischen Landeshauptstadt Wiesbaden ein Netz von Politikern aufgedeckt, die einander sehr gut dotierte Posten zuschanzten. Der gleiche Stoff wie für das Theaterstück „Filzbaden“.

Von Ludger Fittkau | 18.11.2019
Buchcover "Die Unverfrorenen". Im Hintergrund die Altstadt von Wiesbaden mit Landtag, Marktkirche und Stadtschloss
Der Journalist Ewald Hetrodt beschreibt in seinem Buch die korruptiven Machenschaften der Wiesbadener Lokalpolitik (Cover Verlagshaus Römerweg/ Hintergrund picture alliance )
Es ist ein empörtes Buch, das Ewald Hetrodt vorgelegt hat. Und man kann die Empörung über weite Strecken auch sehr gutnachvollziehen. Eine Handvoll Politiker verschiedener Parteien und Berater– tatsächlich überwiegend Männer – schafften es in den letzten beiden Jahrzehnten, in der hessischen Landeshauptstadt Wiesbaden ein dichtes Beziehungsnetz zu knüpfen - oft zur eigenen Vorteilsnahme. Dieses Netz, dessen Fäden auch über den Rhein nach Mainz und bis nach Frankfurt am Main reichen, diente über Jahre auch immer wieder dazu, ganz persönliche – oft auch materielle Interessen zu verfolgen.
Der Autor Ewald Hetrodt erlebte selbst in dem Jahrzehnt, in dem er als Korrespondent der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" aus Wiesbaden berichtete, mehrere Bestechungsversuche. Diese reichten von einer teuren Flasche Wein am Rande eines morgendlichen Interviews bis zum Angebot, mal ein paar Tage kostenlos im Ferienhaus eines "Beraters" in Südeuropa zu verbringen. Ewald Hetrodt weiß, dass solche Erlebnisse nicht nur in Wiesbaden möglich sind:
"Laut Transparency International spielen sich die meisten Korruptionsfälle in Deutschland auf der kommunalen Ebene ab. Die Dunkelziffer ist hoch. Denn es gibt zunächst einmal kein erkennbares Opfer, sondern nur zwei Täter. Und die haben ein gemeinsames Interesse daran, dass die Sache nicht herauskommt. Die Aufklärung leidet darunter, dass die Mühlen der Justiz nur allzu langsam mahlen. Dabei ist es höchste Zeit, den Blick auf die korruptiven Strukturen zu richten, die in zahllosen deutschen Städten entstehen."
Machtverlust des Stadtparlaments verursacht Probleme
Doch Ewald Hetrodt bleibt in seinem Buch weitgehend in Wiesbaden – und das ist gut so. Denn er hat eine Menge zu erzählen, das einem beim Lesen den Atem verschlägt: Von ehemals ehrenamtlichen Stadtverordneten, die ein paar Jahre später als Geschäftsführer städtischer Tochtergesellschaften fungieren, oft mit 200.000 Euro oder mehr vergütet. Von einem Rathaus-Bediensteten, der die städtischen Gesellschaftsanteile einer teilprivatisierten Kurklinik verwaltet - und dafür 167.000 Euro pro Jahr kassiert. Oder von üppig dotierten Beraterverträgen für Parteifreunde in stadtnahen Unternehmen und Organisationen, für die man sich später mal mit einem ebenso üppig dotierten Werkvertrag revanchieren kann.
Ewald Hetrodt hält die Entmachtung des Stadtparlaments als Kontrollinstanz für die Hauptursache der Korruptionsanfälligkeit, die er in der Stadt beobachtete:
"Die Verwaltung hat immer mehr Aufgaben in kommunale Unternehmen verlagert, die außerhalb des Rathauses erledigt werden und von der Stadtverordnetenversammlung kaum noch zu kontrollieren sind. Die ehrenamtlichen gewählten Mandatsträger verlieren massiv an Einfluss. Die Macht haben die hauptamtlich agierenden Vorsitzenden der größeren Fraktionen. Sie berufen Parteisoldaten als Geschäftsführer der kommunalen Unternehmen und entscheiden mit ihnen über Millionenprojekte – und persönliche Interessen. So nimmt eine kleine parteiübergreifende Clique von Entscheidungsträgern mit einer erstaunlichen Unverfrorenheit die Stadt als Beute."
Manchmal fehlt es dem Autor an Distanz
In seiner Empörung über die Selbstbedienungsmentalität einiger Kommunalpolitiker schießt Ewald Hetrodt allerdings bisweilen auch über das Ziel hinaus. Etwa in dem Kapitel des Buches, in dem es um den Bau eines lokalen Müllheizkraftwerks in Wiesbaden geht. Betreiber des Projektes ist ein großes lokales Recycling-Unternehmen mit insgesamt mehr als tausend Beschäftigten. Dass die Stadt Wiesbaden dieses Unternehmen bei seinen Plänen mehr unterstützt als die Konkurrenz, die in anderen Städten ihre Gewerbesteuer zahlt, ist nachvollziehbar. Ewald Hetrodt wittert aber auch hier Korruption, belegen kann er sie nicht.
Ein anderes Beispiel dafür, dass dem Autor bisweilen die Distanz zum Beschriebenen fehlt: Man kann das Engagement des regierenden Parteienbündnisses im Wiesbadener Rathaus für Windräder kritisieren. Auch, dass es womöglich an Transparenz bei möglichen Umweltfolgen schon während des Baus eines Windparks fehlen lässt. Doch muss man die politischen Akteure gleich in der Kapitelüberschrift als "Windbeutel" beschimpfen, weil sie trotz heftiger Gegenwehr aus der Bürgerschaft grundsätzlich an der Windenergie festhalten wollen und deswegen gegen ablehnende Bescheide einer übergeordneten Behörde klagen?
Doch die zentrale These des Buches bleibt auch trotz dieser punktuellen Distanzlosigkeit des Autors zu seinem Sujet bedeutsam – weit über Wiesbaden hinaus:
"In der kommunalpolitischen Szene herrscht eine Zwei-Klassengesellschaft. Auf der einen Seite stehen die wenigen Profis. Die Vorsitzenden der größeren Fraktionen sind zusammen mit der Verwaltung unentwegt damit beschäftigt, alle wesentlichen Entscheidungen in ihrem Sinne en detail vorzubereiten. […] Die sogenannten Feierabend-Politiker müssen ihr Geld außerhalb des Rathauses verdienen. Sie haben weder die Zeit noch die Informationen, die nötig wären, um die Verwaltung und die mit ihr kooperierenden, führenden Berufspolitiker wirksam zu kontrollieren. Daraus erwächst deren Möglichkeit, sich im kleinen Kreis zu verständigen. ‚Die Gemeindevertretung überwacht die gesamte Verwaltung der Gemeinde‘, heißt es in der Hessische Gemeindeordnung. Die Realität sind anders aus."
Weniger kommunale Unternehmer, mehr Demokratie
Lässt sich diese Entwicklung stoppen? Der Autor stellt diese Frage selbst und beantwortet sie mit "Ja". Die Zahl der kommunalen Unternehmen und deren Geschäftsführer müssten aus seiner Sicht deutlich reduziert werden. Die Führungspositionen müssten so ausgeschrieben werden, dass eine objektive Personalauswahl garantiert ist. Schließlich können auch die Wählerinnen und Wähler etwas tun, so Ewald Hetrodt. Durch das sogenannte "Kumulieren und Panaschieren" kann man Kandidatinnen und Kandidaten auf den Listen stärken, die nicht der Korruption verdächtig sind.
Aber vor allem: Das lokale Parlament sollte wieder deutlich gestärkt werden. Denn die kommunale Demokratie in Deutschland ist ein hohes Gut. Hetrodts zorniges Buch macht ihre Gefährdung sehr anschaulich.
Ewald Hetrodt: "Die Unverfrorenen. Wie Politiker unsere Städte als Beute nehmen. Ein Exempel",
Waldemar Kramer Verlag, 176 Seiten, 14,90 Euro.