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Ex-Arbeitsminister Blüm wiederholt: "Die Rente ist sicher"

Bis heute steht Norbert Blüm zu seinem legendären Renten-Satz. Über das derzeitige innenpolitische Koalitionsgezwist und Krisenjammern sagt Blüm summa summarum: "Für gemütliches Tralala ist das kein Anlass".

21.07.2010
    Silvia Engels: Er war der dienstälteste Minister des Kabinetts Kohls. 16 Jahre lang war er Arbeitsminister in der christlich-liberalen Koalition bis 1998. Er stand für den Arbeitnehmerflügel in der Union wie kein anderer, und seine Aussage, dass die Rente sicher sei, wurde legendär – auch wenn heute wohl nur noch wenige daran glauben. Nach seinem Ausscheiden aus der Tagespolitik äußerte er mehrfach scharfe Kritik am wirtschaftsliberalen Kurs seiner Partei, der CDU. Weiter ist er als streitbarer Redner für die Ärmeren in der Gesellschaft gewesen, und zwischenzeitlich spielte er auch mal Kabarett. Sie haben es längst gemerkt, die Rede ist von Norbert Blüm.

    Norbert Blüm: Wir haben eben die Wahl, ob wir die Arbeitnehmerschaft aufspalten in Arbeitsbesitzer und Arbeitslose, und dann können die zweifellos, die Arbeitsbesitzer, eine Lohnpolitik betreiben so nach dem Motto: Nach mir die Sintflut.

    Ich wechsel zwar den Standort, aber nicht den Standpunkt.

    Ich würde vorschlagen, dass die Bundesbankdirektoren mal zehn Jahre als Maurer arbeiten oder 20 Jahre am Fließband, und wenn sie dann zurückkommen, sollen sie sagen, ob sie noch immer für ihren Vorschlag sind. Das sind Vorschläge im Wolkenkuckucksheim.

    Die Renten sind so sicher wie das Amen in der Kirche.

    Es war eine gute Zeit, es ist eine gute Zeit, die mit Bonn verbunden ist.

    Engels: Zitate und Applaus für Norbert Blüm aus 30 Jahren Politik. Heute wird der CDU-Politiker 75 Jahre alt. Er ist am Telefon – herzlichen Glückwunsch, Norbert Blüm!

    Norbert Blüm: Danke schön.

    Engels: Rechnen Sie mit einem Geburtstagsanruf von Angela Merkel?

    Blüm: Nein, die hat Wichtigeres zu tun. So wichtig bin ich auch wieder nicht.

    Engels: Wie planen Sie denn den Tag heute?

    Blüm: Ich habe meinen normalen Werktag, und von der Stechuhr erzogen, werde ich auch meine Pflichten erfüllen. Also heute Abend, Mittwoch, 17:45 Uhr bis 19:15 Uhr Vorlesung in der Universität Aachen, Thema Gerechtigkeit.

    Engels: Thema Gerechtigkeit, das ist Ihr Thema. 1950 sind Sie in die CDU eingetreten, vor 60 Jahren also. Ziehen Sie heute vielleicht auch einmal politisch Bilanz Ihres Wirkens in der Partei beim Thema Gerechtigkeit?

    Blüm: Ja, nicht nur in der Partei. Ich meine, es ist ja schreiendes Unrecht auf der Welt. Wenn Sie sich mal ansehen, die einen in Saus und Braus und die anderen verhungern, 30.000 Kinder verrecken jeden Tag – ein anderes Wort habe ich nicht –, weil sie nichts zu essen und zu trinken haben. Für gemütliches Tralala ist das kein Anlass.

    Engels: Schauen wir einmal auf die Innenpolitik. Politisch waren Sie ja immerhin ausgewiesener Verfechter des Sozialstaats, verkörperten die christlich-demokratische Arbeitnehmerschaft auf dem linken CDU-Flügel. Ist dieser Flügel Ihrer Ansicht nach heute noch stark genug in der CDU?

    Blüm: Er ist schwächer geworden, das liegt auch daran, dass der Sozialstaat schwächer geworden ist. Er ist deshalb auch schwächer geworden, denn solange wir im Ost-West-Wettbewerb standen, musste der Westen beweisen, dass er sozialer ist als der Sozialismus. Nachdem der Sozialismus zusammengebrochen ist, so glauben manche, die Katzen könnten oder die Mäuse konnten jetzt auf dem Tisch herumlaufen, wir bräuchten keinen Sozialstaat mehr. Das ist ein folgenreicher Irrtum.

    Engels: Sie haben ja Angela Merkel ausdrücklich kritisiert, als diese auf dem Leipziger Parteitag 2003 die CDU auf einen marktliberaleren Kurs einschwor. Sie sprachen damals von platt gewalzter Gerechtigkeit. Später ist ja Angela Merkel als Kanzlerin wieder stärker nach links in die Mitte gerückt. Reicht das aus Ihrer Sicht, oder tanzen da immer noch zu viel Mäuse auf dem Tisch?

    Blüm: Das ist nicht nur eine Frage – wir wollen es nicht so privatisieren – von Angela Merkel, das ist ein neoliberaler Trend, der rund um die Welt geht, nur glaube ich, dass der an sein Ende gekommen ist. Manche haben das noch nicht gemerkt. Und was den Leipziger Parteitag anbelangt, das ist richtig, ich glaube 700 gegen fünf war die Abstimmung über die Kopfpauschale. Die Partei war in einem Rausch vor Begeisterung. Ich war so der Arztdepp. Inzwischen hat sich das ja etwas geändert, denn die Kopfpauschale ist ein Flop und sie verletzt elementar das Gerechtigkeitsgefühl der Menschen. Und dass ich das auch noch gleich mit abpacke: Die Rente ist sicher. Wer die letzten 24 Monate nicht in Alaska verbracht hat oder auf einem Eisberg, der wird auch festgestellt haben, dass die ganzen kapitalgedeckten Alterssicherungssysteme am Flattern sind, am Umfallen sind, dass die Rente tatsächlich das einzig Stabile ist. Und wie hoch sie ist, das hängt freilich davon ab, wie viel Beiträge sie bekommen. Wenn man natürlich die Beiträge durch Riesterrente umleitet in die Kasse von Allianz und Konsorten, ja, dann fehlt das in der Rentenversicherung. Und aus einem Hungerlohn können Sie auch keine Luxusrente machen. Hungerlöhne schaffen Hungerrente, hat allerdings nichts mit der Rentenversicherung zu tun. Insofern verteidige ich den Satz heute wie gestern.

    Engels: Sicher mag sie sein, aber wird man damit künftig noch sein Auskommen fristen allein mit der gesetzlichen Rentenversicherung? Das ist ja das, was viele Menschen besorgt macht.

    Blüm: Wenn man ihr die Beiträge gibt, beispielsweise die vier Prozent für Riester, wenn die in die Rentenversicherung fließen, haben alle etwas davon, auch diejenigen, die sich keine Riesterrente leisten können. Die Riesterrente ist keine Antwort auf das Thema Altersarmut.

    Engels: Geht die heutige christlich-liberale Koalition ungerechter mit den Menschen um als Ihre Regierung damals?

    Blüm: Nochmals: Wir hatten es in Sachen Gerechtigkeit etwas – leichter ist vielleicht der falsche Begriff, aber einen Teil der Gerechtigkeitsprobleme, die können Sie gar nicht mehr national lösen. Sehen Sie, dieses ganze Finanzdesaster, das können Sie ja nicht mit den nationalen Bordmitteln bekämpfen. Ich meine, diese Finanzschiebereien, dieser Finanzkapitalismus, der die Welt ruiniert, ganze Staaten durch Spekulation in die Knie zwingt, ja, das können Sie nicht national, da müssen wir eine größere Plattform haben, und ich würde sagen, als Erstes Europa. Und was den Sozialstaat intern anbelangt, da ist das Hauptthema Arbeit und Erhaltung unseres Systems. Ich sehe, wenn die Arbeitgeber sich aus dem Spiel schleichen. Ich meine, viele der Diskussionen, da geht es ja, bei Licht betrachtet, um nichts anderes, als den Arbeitgeberbeitrag zu sparen. Macht nicht so viel Worte! Kopfpauschale war nur ein Vorschlag, weil die Arbeitgeber mit ihrem Beitrag raus sind. Hartz IV, da ging es darum, die beitragsbezogene Arbeitslosenversicherung nach hinten wegzudrücken. Riesterrente ohne Arbeitgeberbeitrag. Wenn sie das wollen, sollen sie es sagen und nicht so viele Umwege machen. Das ist Kündigung des Sozialvertrags, auf dem unsere Republik basiert. Es ist übrigens kurzsichtig, denn die Arbeitnehmer werden sich das verlorene Geld durch Tarifkämpfe wieder zurückholen müssen. Ab sofort sind Beitragssteigerungen Gegenstand der Tarifverhandlung. Es gibt Leute, die haben die Fähigkeit, den Ast abzusägen, auf dem sie sitzen, und sind dann verwundert, wenn sie runterknallen.

    Engels: Äste absetzen und runterknallen – schauen wir da auch noch einmal auf die Personalsituation der Union. Sechs Ministerpräsidenten Ihrer Partei sind in den letzten zehn Monaten aus den verschiedensten Gründen aus dem Amt geschieden. Erinnern Sie sich denn an ein ähnlich rasantes Stühlerücken in Ihrer Partei?

    Blüm: Nein – andererseits muss ich sagen, Weltuntergang erzeugt es bei mir nicht, denn ich habe doch jahrelang gehört, die Politiker kleben an ihren Sesseln, Macht ist ihnen alle, sie können nicht loslassen. Ja, jetzt lassen ein paar los, die einen gezwungen, die anderen freiwillig, ist auch nicht richtig. Und Wahlniederlagen gehören zum Normalfall der Demokratie.

    Engels: Also kein Erosionsprozess in der CDU?

    Blüm: Ich bin nicht so personalverliebt, ich bin mehr inhaltlich, dass es ganz alte Sachen gibt, die sich in Auflösung befinden: Der Starke für den Schwachen, die Jungen für die Alten, die Gesunden für die Kranken – das ist 2000 Jahre alt, und diese Grundsätze sind heute nicht mehr selbstverständlich, obwohl jede Zivilisation nur überleben kann, wenn sie diese elementaren Weisheiten oder Wahrheiten oder Klugheiten beachtet.

    Engels: Und wahrscheinlich auch Ihr Projekt für die nächsten Jahre?

    Blüm: Ja.

    Engels: Norbert Blüm, er wird heute 75. Wir gratulierten mit ein paar Stimmen und einem Interview. Herzlichen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben, und Ihnen einen besonders schönen Tag!

    Blüm: Ja, danke schön!