Dienstag, 23. April 2024

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Ex-Kanzlerkandidat Steinbrück über die SPD
"Ich zweifele, ob wir auf der Höhe der Zeit sind"

Nach Ansicht des früheren SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück muss seine Partei stärker auf die pluraler gewordene Gesellschaft eingehen. Er stelle sich die Frage, welche historische Mission die Sozialdemokraten im 21. Jahrhundert hätten, sagte er im DLF. Zudem sprach er über seine Zeit als Kanzlerkandidat und seine neue Tätigkeit als Berater für die Ukraine.

Peer Steinbrück im Gespräch mit Friedbert Meurer | 10.03.2015
    Der frühere SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück.
    Steinbrück: "Aber ich denke, dass die SPD gut beraten ist, sich zu fragen, was bedeutet Freiheit im 21. Jahrhundert angesichts der Globalisierung und auch der Digitalisierung." (Imago / Müller-Stauffenberg)
    Friedbert Meurer: Peer Steinbrück, der ehemalige Kanzlerkandidat der SPD, hat ein Buch geschrieben mit dem Titel "Vertagte Zukunft: Die selbstzufriedene Republik", erscheint morgen, am Mittwoch, wird heute Abend in Berlin vorgestellt. Mit Peer Steinbrück bin ich jetzt verbunden. Guten Morgen, Herr Steinbrück!
    Peer Steinbrück: Guten Morgen, Herr Meurer.
    Meurer: Sie gelten ja als anglophil und zitieren vielleicht deswegen Agatha Christie: "Ich habe Journalisten nie gemocht. Ich habe sie alle in meinen Büchern sterben lassen." Spricht die britische Autorin Ihre geheimsten Wünsche aus?
    Steinbrück: Nein. Das ist erkennbar Ironie und das ist erkennbar auch der Teil eines Kapitels zur Mediendemokratie, wo, wie ich hoffe, selbst humorlose Journalisten merken, dass das nicht ernst gemeint ist.
    "Sie sind ganz gut im Austeilen, aber ganz schwach im Einstecken"
    Meurer: Aber Sie üben in dem Buch ja schon Kritik an uns Journalisten, dass wir zu oberflächlich geworden seien, dass viele nicht bereit seien, sich auf komplexe Themen einzulassen. Steckt da doch Frust dahinter, dass Sie sich ärgern über die persönlichen Angriffe auch heute noch?
    Steinbrück: Nein, überhaupt nicht, sondern Journalisten sind dazu da, Politiker zu kontrollieren, zu begleiten, auch zu prüfen. Aber umgekehrt, denke ich, müssen sich Journalisten auch umgekehrt die Kritik gefallen lassen, und manchmal habe ich den Eindruck, sie sind ganz gut im Austeilen, aber ganz schwach im Einstecken. Wir haben in Deutschland nach wie vor, wie ich finde und sehr erfreulich, einen Qualitätsjournalismus. Das fällt mir auf, wenn immer ich im Ausland bin. Aber die Frage ist, ob in der Informationsflut und den Sumpfgebieten, die diese Informationsflut inzwischen längst erreicht hat, der Qualitätsjournalismus sich selbst nicht auch gefährdet, durch Skandalisierung, Banalisierung, auch durch seine Bereitschaft, der Zerstreuungsindustrie zu folgen und damit zur Entpolitisierung beizutragen.
    Meurer: Was fanden Sie denn in Ihrem Fall ausgesprochen unfair?
    Steinbrück: Es kommt nicht auf mich an. Das Buch ist auch nicht irgendein larmoyanter Blick auf mich selbst, oder dass ich meine Wunden lecke. Ich nehme den Wahlkampf natürlich zum Anlass, die Frage zu stellen, ob dieser Wahlkampf nicht doch etwas zu inhaltsleer gewesen ist und ob um die Ecke herum nicht auf Deutschland und unsere Gesellschaft eine ganze Reihe von Herausforderungen warten. Und dazu gehört auch die Frage, wie die Medien dabei mit der Politik umgehen und die Politik auch kritisieren, aber vielleicht auch manchmal befördern, die entscheidenden Zukunftsfragen sehr viel stärker in den Mittelpunkt zu stellen.
    "Kandidatur ja eher zufällig"
    Meurer: Über Inhalte ist in der Tat wenig geredet worden. Das ging schon direkt los: Kaum waren Sie Kanzlerkandidat, da prasselten Vorwürfe auf Sie hernieder wegen bezahlter Redetätigkeiten. Aber hätten Sie das nicht besser antizipieren können, dass diese Lawine auf Sie zurollt?
    Steinbrück: Na ja, das Buch hat natürlich auch ein Kapitel, wo ich mich selber beschäftige mit dieser Kandidatur, auch mit den eigenen Stockfehlern, auch der Tatsache, wie diese Kandidatur ja eher zufällig, jedenfalls nicht gesteuert, nicht einer Strategie der SPD folgend wie eine Lawine nachher ins Tal raste, und dabei ging es auch darum, dass wir und ich selber zu wenig vorbereitet gewesen bin. Dazu gehörten auch Sprachregelungen, denn es war natürlich erkennbar, dass manche Ereignisse aus meinem Vorleben selbstverständlich politischer oder medialer Gegenstand sein würden.
    Meurer: Wie hätten Sie da kontern können, wenn Sie da eine Strategie entwickelt hätten?
    Steinbrück: Man muss sich da mit Freunden und auch mit Leuten, die, sagen wir mal, Sparringspartner sind, zusammensetzen und sagen, was ist eine glaubwürdige Erklärung dafür, wie bringe ich die vor, wie kommuniziere ich das. Denn die Tatsache, dass ich Vorträge gehalten habe bei Unternehmen, ist ja per se nichts Unanständiges. Und nach wie vor gilt auch in unserer Marktwirtschaft die Tatsache, dass man Geld verdient, auch nicht als unanständig.
    "Der Ukraine behilflich werden"
    Meurer: Aber der Vorwurf klebt regelrecht immer noch an Ihnen, Herr Steinbrück. Wir haben jetzt erfahren, dass Sie für eine ukrainische Agentur eine Beratertätigkeit übernehmen werden, eine bezahlte Tätigkeit, zusammen mit einer ganzen Reihe bekannter internationaler Persönlichkeiten. Was genau werden Sie da tun?
    Steinbrück: Gar nichts, sondern stellen Sie doch dieselbe Frage gegenüber dem früheren EU-Kommissar Herrn Verheugen, oder einem britischen EU-Kommissar Lord Peter Mandelson, oder einem französischen Außenminister Kouchner. Es kommt doch auch auf Sie an, wie Sie das transportieren, ob Sie sich das, was da teilweise an den Rändern des Journalismus skandalisierend weitergetragen wird, zu eigen machen ja oder nein - Entschuldigen Sie, nur noch den Satz -, oder ob Sie auf die Inhalte eingehen und sagen, was ist das eigentlich für eine Gruppe, die sich bestimmter Themen annehmen soll, um der Ukraine behilflich zu werden. Ist das wichtig, oder ist die Frage wichtig, dass da eventuell eine Vergütung fließt.
    Meurer: Ich glaube, das war gerade ein Missverständnis. Meine Frage, was genau werden Sie da tun, das war eben die Frage, was werden Sie in dieser Beratertätigkeit in der Ukraine und für die Ukraine tun.
    Steinbrück: Das habe ich versucht, mehrfach deutlich zu machen. Wir haben acht hochwohlmögende Persönlichkeiten zusammengetrommelt in einem sogenannten Beratungsgremium. Einige Namen habe ich eben genannt. Und die teilen sich bestimmte Aufgabengebiete. Der polnische ehemalige Ministerpräsident Cimoszewicz zum Beispiel kümmert sich um Antikorruption. Peter Mandelson aus Großbritannien kümmert sich um Handelsfragen. Ein früherer Generalstaatsanwalt aus Großbritannien, Lord Macdonald, kümmert sich um Fragen Justiz und Polizeiwesen. Rupert Scholz ist angefragt worden, ob er nicht sich in Verfassungsfragen, Kommunalverfassung, Dezentralisierung mit seinem Sachverstand einmischen kann. Und ich bin gefragt worden, ob ich von meinem Hintergrund als Finanzminister in mehreren Kabinetten nicht etwas zu Banken und auch zur Steuerverwaltung beitragen kann.
    "Ein völlig normaler Vorgang"
    Meurer: Sie haben gerade gesagt, so etwas, da stimmt man am besten sich mit Freunden ab, wie man das präsentieren kann. Haben Sie das diesmal besser getan? Haben Sie sich abgestimmt mit der Fraktion oder Partei?
    Steinbrück: Ja da gab es nicht viel abzustimmen, weil ich es für einen völlig normalen Vorgang halte. So wie Sie als Journalisten gelegentlich als Moderatoren oder bei Veranstaltungen auftreten und Ihren Sachverstand bereitstellen, so gibt es viele in Deutschland, die für ihre Beratungsleistung, für die Bereitstellung ihrer Expertise eine Vergütung bekommen. So ist das in diesem Fall auch. Dabei ist noch nicht mal über die Höhe gesprochen worden und sie wird auch angemessen sein. Sie wird nicht irgendwie unanständig sein. Es ist das Normalste der Welt und die Tatsache, dass einige darüber Funken schlagen wollen und können, die empfinde ich eher als merkwürdig.
    Meurer: In Ihrem Buch widmen Sie sich natürlich auch den Perspektiven, die Ihre Partei im Moment hat und für die nächste Bundestagswahl. Sie raten da ja Ihrer Partei, Herr Steinbrück, sich nicht vornehmlich auf sozialpolitische Maßnahmen zu konzentrieren. Was soll sie denn tun?
    Steinbrück: Ich stelle mir die Frage, welche historische Mission hat die SPD im 21. Jahrhundert, und da der soziale Wohlfahrtsstaat inzwischen fast von allen demokratischen Parteien ja nicht nur akzeptiert ist, sondern auch befördert wird, glaube ich, dass die SPD dort kein Alleinstellungsmerkmal mehr hat. Selbstverständlich gibt es in unserer Gesellschaft, wie ich es beschreibe, Fliehkräfte, viele, die an der Wohlstandsentwicklung nicht teilhaben. Die Schere von Reichtum und Armut geht eher weiter auseinander. Aber ich denke, dass die SPD gut beraten ist, sich zu fragen, was bedeutet Freiheit im 21. Jahrhundert angesichts der Globalisierung und auch der Digitalisierung. Was ist mit Europa? Welche Rückwirkung hat die digitale Revolution auf unsere Wirtschaft und auf unser Leben? Was ist mit der Integration? Welchen Stellenwert hat Bildung, auch mit Blick auf die Fähigkeit von Menschen, ihr Leben selbstverantwortet zu führen? Welche Rolle spielt Liberalität? Soll die SPD sich nicht den Begriff des Liberalismus stärker zu eigen machen, zumal die FDP nicht mehr politisch so vertreten ist wie früher? Also versuche ich, die Perspektive zu öffnen für die SPD auch auf eine Reihe von anderen wichtigen, wie ich glaube, Zukunftsfragen.
    Eine "Frage der Generationsgerechtigkeit"
    Meurer: Denken Sie, dass die SPD zu rückwärts orientiert tickt?
    Steinbrück: Nein! Ich zweifele als jemand, der nun seit fast 45 oder noch länger Jahren Mitglied der SPD ist, ob wir auf der Höhe der Zeit sind, wie sich diese Gesellschaft entwickelt hat. Sie ist pluraler geworden, sie ist individualistischer geworden, sie besteht nicht mehr aus so feststehenden Blöcken von Wählern, wie das früher in den 60er-, 70er-, 80er-Jahren vielleicht noch der Fall war. Ich habe die Befürchtung manchmal, dass die SPD zwar im Bereich der sozialen Politik ein hohes Kompetenzprofil hat, aber dass sie daneben auch um eine kulturelle Mehrheit und um eine wirtschaftliche Mehrheit für ihre Angebote sehr viel stärker etwas anbieten muss.
    Meurer: Dann wäre die Rente mit 63 sozusagen voll in die falsche Richtung geschossen, eben in die Vergangenheit?
    Steinbrück: Ja, man kann darüber streiten. Nun werde ich mich selber nicht distanzieren können von dem Wahlprogramm, das ich selber vertreten habe, und werde da anschließend auch nicht mit Steinen schmeißen können. Aber in der Kombination der Mütterrente, die übrigens teurer ist als die Rente mit 63, stellt sich natürlich die Frage der Generationsgerechtigkeit, ob unsere Kinder und Enkelkinder eines Tages für solche Maßnahmen zu bezahlen haben, ohne selber in den Genuss einer zwingend gewährleisteten Altersversorgung zu kommen.
    Meurer: Peer Steinbrück, der ehemalige Kanzlerkandidat der SPD, stellt heute Abend sein neues Buch vor. "Vertagte Zukunft", so lautet der Titel. Herr Steinbrück, schönen Dank für die Zeit, die Sie sich genommen haben. Auf Wiederhören!
    Steinbrück: Ich danke Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.