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Ex-Piraten im Berliner Abgeordnetenhaus
Volle Kraft für Linke und FDP

Eigentlich sind die Piraten längst weg vom Fenster, zwei von ihnen haben den Sprung ins Berliner Abgeordnetenhaus dennoch geschafft: Anne Helm, 30, für die Linke, und Bernd Schlömer, 45, für die FDP. Ihre politischen Erfahrungen werden sie nun für die Mitbewerber einbringen. Aus den Kommunikationsfehlern der Piraten wollen sie lernen.

Von Wolf-Sören Treusch | 27.10.2016
    Blick in das Abgeordnetenhaus von Berlin - der Plenarsaal des Abgeordnetenhaus von Berlin.
    Blick in das Abgeordnetenhaus von Berlin - der Plenarsaal. (imago)
    Anne Helms erster Auftritt im Berliner Parlament heute Morgen beginnt etwas holprig: "Ich werde es mir merken, entschuldigen Sie bitte, wir haben noch Gelegenheit."
    Tröstlich: Auch eine erfahrene Synchronsprecherin wie Anne Helm verspürt noch Lampenfieber. Als eine der Jüngsten unter den Neulingen hat sie die ehrenvolle Aufgabe, die Parlamentarier des neuen Berliner Abgeordnetenhauses namentlich aufzurufen. Anne Helm ist 30 Jahre alt und gehört der Linkspartei an. "Herr Bernd Schlömer", sagt sie.
    Mächtig auf Trab gehalten
    Dabei kennt sie die neue Umgebung. Sie hat zwar noch kein Abgeordnetenbüro, aber die rot-rot-grünen Koalitionsverhandlungen halten sie schon mächtig auf Trab:
    "Ein bisschen kommt mir das im Moment so vor. Ja, es ist tatsächlich so, dass ich als neue Abgeordnete schon ziemlich viel Verantwortung gerade tragen muss und sehr viel darüber diskutiere, was in den nächsten fünf Jahren passieren soll in Berlin. Also das heißt: Ein bisschen muss ich mich hier noch eingewöhnen, und ich verlaufe mich im Haus noch ab und zu, aber ich lerne es direkt schon zu Anfang sehr intensiv kennen."
    In zwei Verhandlungsgruppen sitzt sie für die Linkspartei mit am Tisch. Über den Stand der Dinge verrät sie selbstverständlich nichts:
    "Also Regieren wird natürlich sehr, sehr spannend. Ich freue mich darauf, dass wir möglicherweise Gestaltungsmöglichkeiten haben, die dafür sorgen, dass wir Fachkompetenz, die es auch aus der Zivilgesellschaft gibt, direkter aufnehmen können als in der Opposition vielleicht. Das ist zum Beispiel etwas, was ich mir vorgenommen habe."
    Was bei Piraten schwierig war, scheint nun zu funktionieren
    Beispiel: die zahlreichen ehrenamtlichen Initiativen, die den Flüchtenden helfen. Deren Erfahrungen würde sie gern für die künftige Politik der Stadt nutzen. Endlich gestalten: Was bei den Piraten immer schwieriger wurde, scheint nun zu funktionieren.
    Seit Beginn dieses Jahres ist Anne Helm Mitglied der Linkspartei, davor war sie viele Jahre für die Piraten aktiv, unter anderem auch im Bezirksparlament Neukölln. Für Aufsehen sorgte sie 2014, als sie sich in Dresden mit entblößter Brust fotografieren ließ. Darauf die Botschaft "Thanks Bomber Harris". Ein unverhohlener Dank an die britische Luftwaffe, deutsche Städte im Zweiten Weltkrieg bombardiert zu haben. Eine Provokation, die einen ungeheuren Shitstorm auslöste und für die sich Anne Helm heute noch entschuldigt. Die ihr aber auch die Augen öffnete, wie katastrophal es um die Kommunikationsstrukturen der Piraten stand:
    "Weil sie nicht besonders erfolgreich waren, und weil sie auch unfassbar kraftraubend waren." Ende 2014 trat sie aus der Partei aus.
    Schlömer: "Ich glaube, dass es eine Etikette gibt"
    "Ja genau. Die Umgangsformen wurden sehr intensiv diskutiert …" Ergänzt Bernd Schlömer, eineinhalb Jahre Bundesvorsitzender der Piraten. Er weiß, wovon die ehemalige Parteikollegin spricht und sieht Änderungsbedarf:
    "Ich glaube, dass es eine Etikette gibt, im Internet auch geben muss, und das gilt auch für die parlamentarisch-politische Debatte mit Kontrahenten. Und das will ich dann auch mit gutem Vorbild machen."
    Nun aber nicht mehr für die Piraten, sondern für die FDP. Sein zentrales Thema: die Bürgerrechte. Deshalb trat er für die Liberalen im Wahlkampf an. Als zwölfter von zwölf Abgeordneten schaffte er den Einzug ins Parlament. Von Beruf ist er Regierungsdirektor im Bundesverteidigungsministerium, an die Oppositionsarbeit will er unvoreingenommen herangehen:
    "Na, ich freue mich erst mal darauf, Politik zu machen. Ich komme ja quasi als Regierungsbeamter, kenne die Exekutive ganz gut, und jetzt lerne ich die Legislative kennen. Ich freue mich auch ein bisschen darauf, Rot-Rot-Grün ein bisschen herauszufordern, und da freue ich mich schon lebhaft auf die Debatten mit den Angehörigen anderer Fraktionen."
    Vertreter der netzpolitischen Angelegenheiten
    Wie es sich für einen ehemaligen Piraten gehört, wird Bernd Schlömer die FDP-Fraktion künftig in netzpolitischen Angelegenheiten vertreten. Ob noch weitere Themengebiete dazukommen, entscheiden die Liberalen auf ihrer Fraktionsklausur Ende November:
    "Mich interessieren alle Themen der Digitalisierung, mich interessiert auch Innovation, mich interessiert die funktionierende Stadt, digitale Verwaltung, mich interessieren Bürgerrechte Aber das muss auch angepasst werden an die Anliegen und persönlichen Interessen meiner Fraktionskollegen, und daran werde ich mich auch ein bisschen orientieren."
    Fraktionsdisziplin heißt das, in der Piratenpartei war das damals ein Fremdwort.
    So unterschiedlich die Politikfelder der beiden Ex-Piraten im neuen Berliner Abgeordnetenhaus auch sein werden, eines wird Bernd Schlömer und Anne Helm bestimmt einen: die fehlende Freizeit. Schlömer:
    "Das kenne ich aber noch aus meiner Vergangenheit als Bundesvorstand der Piratenpartei. Ich möchte allerdings jetzt viele Dinge gelassener angehen, auch ruhiger, nicht mich von der Hektik anstecken lassen und fühle mich ganz gut gewappnet. Die Familie auch, die fühlt sich auch gut gewappnet, hoffe ich zumindest."
    "Und möglicherweise werde ich weniger Gelegenheit haben, mit meinen Katzen zu schmusen", meint Anne Helm.