Freitag, 29. März 2024

Archiv

Ex-SPD-Chef Sigmar Gabriel
"Die USA werden mit ihrem Präsidenten gleichgesetzt"

Der ehemalige SPD-Chef Sigmar Gabriel zeigt sich nicht verwundert darüber, dass einer neuen Studie zufolge, die Deutschen ein distanziertes Verhältnis zu den USA haben. Er warnte aber im Dlf davor, aus Befragungen Rückschlüsse auf die Frage zu ziehen, wie sich Außenpolitik verhalten solle.

Sigmar Gabriel im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 26.11.2019
Sigmar Gabriel, ehemaliger SPD-Vorsitzender und Außenminister
Sigmar Gabriel plädiert dafür, die europäische Verteidigungsfähigkeit auszubauen, aber nicht im Gegensatz zur NATO. (imago / Florian Gärtner)
Jürgen Zurheide: Die Körber-Stiftung fragt einmal im Jahr, wie sieht es denn aus um das deutsch-amerikanische Verhältnis, wie ist es da bestellt. Das Ergebnis, was wir hier gleich präsentieren, ist wenig überraschend. Die Amerikaner denken eher positiv über die Deutschen. Bei den Deutschen ist das, nun ja, nach Trump kein Wunder, deutlich gebremst.
Über all das wollen wir reden mit Sigmar Gabriel, dem Chef der Atlantik-Brücke und früheren Außenminister, der jetzt am Telefon ist. Guten Morgen, Herr Gabriel!
Sigmar Gabriel: Guten Morgen, Herr Zurheide.
Zurheide: Herr Gabriel, unabhängiger von den USA, selbst wenn das heißt, mehr Geld für Militär ausgeben. 52 Prozent sagen, das wollen wir so. Überrascht Sie die Zahl?
Gabriel: Nein, nicht wirklich. Wie sollte es nach der Debatte zwischen den Vereinigten Staaten und Europa und speziell Deutschland anders aussehen. Es wäre ja ein Wunder, wenn nach diesen schweren Auseinandersetzungen zwischen Europa und den USA in vielen Fragen die Distanz zu den USA nicht größer geworden wäre. Das Bedauerliche daran ist eigentlich, dass die USA mit ihrem Präsidenten gleichgesetzt werden. Das passiert übrigens auch in der Frage, wie geht man mit Frankreich um oder mit China oder mit Russland. Es wird eigentlich das Staatsoberhaupt angeschaut. So ist vielleicht auch der ganz normale menschliche Zugang. Und dann wird auf das ganze Land und auf die außenpolitischen Interessen geschlossen.
Ich versuche mal, an einem Beispiel deutlich zu machen, wo das problematisch sein kann. Bei den Umfragen kommt der türkische Staatspräsident Erdogan nicht besonders gut weg.
Zurheide: Kann man ja auch nachvollziehen.
Gabriel: Ja, genau. Heißt das jetzt, dass, weil wir mit ihm und seiner Politik und seinem autokratischen System unzufrieden sind, wir außenpolitisch möglichst auf große Distanz zur Türkei gehen sollen? Ist das das außenpolitische Interesse Deutschlands? Ich würde sagen, nein, denn wenn wir den möglichst noch aus der NATO rausdrängen, wird die Türkei als nächstes den Versuch unternehmen, zu einem neuen Atomstaat zu werden und sich atomar bewaffnen. Nur die Mitgliedschaft in der NATO, nur die Mitgliedschaft im westlichen Bündnis hindert sie daran.
Das heißt, man muss ein bisschen aufpassen, dass wir nicht aus solchen Befragungen Rückschlüsse automatisch ziehen auf die Frage, wie soll sich Außenpolitik verhalten. Das, glaube ich, kann man so einfach nicht machen.
"Bedauere die Reduktion auf den Einsatz militärischer Mittel"
Zurheide: Die Frage, die für mich entsteht, ist ja: Heißt das, die militärischen Antworten werden wieder üblicher, die werden eher angenommen als möglicherweise andere Antworten? Sozialdemokratische Außenpolitik hatte mal einen anderen Ansatz, oder?
Gabriel: Na ja. Es ist leider so, dass in der Tat unter größerem Engagement in der Welt vielfach militärisches Engagement verstanden wird. Das ist natürlich eine Verkürzung. Ich meine, wir haben Mittel der Diplomatie, wir haben die Möglichkeit Krisenprävention. Wir haben übrigens die Finanzmittel in der Krisenvorbeugung in den letzten Jahren drastisch gesteigert. Wir haben die Möglichkeiten der Entwicklungshilfe. Wir haben die Möglichkeit, in vielfältiger Weise einzugreifen. Man darf militärisches Engagement nicht ausschließen. Das wäre auch dumm. Es gibt auf der Welt Gangster, auch in Staatsämtern, die ihre Menschen schinden und notfalls sogar umbringen und Völkermord vorbereiten, und denen muss man in den Arm fallen – nicht Deutschland alleine, aber in gemeinsamen Aktivitäten zum Beispiel unter dem Dach der UN oder mit der Europäischen Union. Deswegen darf man Militär nicht einfach ausgrenzen aus den Möglichkeiten, die man hat.
Aber die Konzentration auf das Militärische alleine ist manchmal in Deutschland sehr ausgeprägt und ich glaube, das verkürzt unsere Möglichkeiten, zumal wahrscheinlich die Militärs uns als erstes sagen würden, wir können manchmal Konflikte stoppen, lösen kann man sie mit militärischen Mitteln nicht. Deswegen bedauere ich manchmal die Reduktion auf den Einsatz militärischer Mittel, so wichtig sie manchmal sein können.
Zurheide: Ist die NATO hirntot? Sie haben ein gutes Verhältnis zu Herrn Macron. Oder war das ein Satz, der natürlich medial so rezipiert wird, dass wir jetzt auch wieder darüber reden? Wie haben Sie den gewertet?
Gabriel: Er hat erst mal mit einer sehr, sehr harten Formulierung deutlich gemacht, dass die NATO natürlich Probleme hat. In der Zeit des Kalten Krieges war zum Beispiel klar, wo verlaufen die Grenzen der NATO, wo ist ihr Einflussgebiet, was ist ihr Auftrag. Das ist heute viel unklarer geworden. Es ist nicht klar, geht uns eigentlich die Entwicklung in Südostasien etwas an, wie ist unser Verhältnis zu Russland, was sind unsere Möglichkeiten bei der Cyber-Abwehr. Die Konfliktlagen sind vielfältiger geworden als zur Zeit des Kalten Krieges und die NATO hat bis heute keine einheitliche Antwort darauf. Wir wissen ja noch nicht mal mehr, ob die bisherige Führungsnation, die Vereinigten Staaten von Amerika, so zu ihren Verabredungen steht innerhalb der NATO wie in der Vergangenheit. Manches, was der amerikanische Präsident gesagt hat, hat dagegen gewirkt. Gleichzeitig sehen wir, dass es eine breite, breite Mehrheit innerhalb der USA gibt, die die NATO unterstützen. Nur sie für hirntot zu erklären, das ist ja in Deutschland der Moment, in dem man einem Körper Organe entnehmen kann. Wenn der Hirntod festgestellt wird, dann beginnt der Punkt der Organtransplantation, und das ist eine ganz alte gaullistische Position, die Macron hier einnimmt.
Frankreich hat immer die Tendenz gehabt, möglichst die USA und auch Großbritannien in der Sicherheitspolitik ein bisschen auf Distanz zu halten, und sieht jetzt die Chance, zurückzukehren als die große militärische, strategische Führungsmacht Europas. Weil die USA Europa ein Stück weit verlassen, weil die Briten gehen, weil das nicht das Feld der Deutschen ist, sucht Macron jetzt über den Umweg der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik die Führerschaft Europas zu übernehmen. Das fällt den Franzosen einfacher als uns. Sie sind in der Frage weniger belastet. Sie sind übrigens eine Nuklearmacht, darf man nicht vergessen. Ich glaube nur, dass das am Ende Europa eher spalten wird, denn Länder wie Polen, das Baltikum, deren historische Erfahrung ist nicht, dass, wenn es bei ihnen schwierig wird, Deutschland und Frankreich für ihre Sicherheit eintreten, sondern an deren historische Erfahrung ist, dass sie nur einen einzigen Partner haben an ihrer Seite, und das sind die Vereinigten Staaten.
"Wir haben immer in Europa auf zwei Schultern getragen"
Zurheide: Was heißt das aber für Deutschland? Wie sollten wir darauf reagieren? Oder was heißt das für eine europäische Verteidigungspolitik? Oder ist das alles Illusion?
Gabriel: Nein, es ist keine Illusion. Ich würde sie jedenfalls nicht im Gegensatz zur NATO organisieren, sondern als Ergänzung. Wenn man über die zwei Prozent des Verteidigungsbudgets, die zwei Prozent vom Bruttoinlandsprodukt redet, kann man sich in Deutschland doch vorstellen zu sagen, 1,5 Prozent investieren wir in die deutsche Bundeswehr und 0,5 Prozent investieren wir in die NATO-Fonds zur Verteidigungsfähigkeit Osteuropas. Das machen nämlich bisher nur die Amerikaner. Wir würden unseren Nachbarn in Polen und im Baltikum mal zeigen, dass wir bereit sind, Verantwortung für ihre Sicherheit in größerem Umfang zu übernehmen, als das bisher nur die USA tun.
Was Macron macht hat die Gefahr, dass, wenn er die NATO für erledigt erklärt, diese Länder, weil sie der Sicherheitspolitik der Europäer nicht über den Weg trauen – das hat was mit Geschichte und Geographie zu tun; Geschichte und Geographie bestimmen immer noch den Blick in die Gegenwart und die Zukunft, werden sie sich möglicherweise noch enger an die USA binden, und das spaltet Europa eher, als es es eint. Deswegen ist mein Rat, natürlich die europäische Verteidigungsfähigkeit auszubauen, aber sie nicht im Gegensatz zur NATO aufzubauen. Das ist ein bisschen das Schicksal Deutschlands. Wir sind die Zentralmacht in Europa. Wir sind das stärkste Land, die stärkste Volkswirtschaft. Wir haben immer in Europa auf zwei Schultern getragen, der europäischen und französischen Schulter und der transatlantischen, und das sollte Deutschland auch weiter tun.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.