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Exile Media Forum Hamburg
"Was ich hier schreibe, könnte Leben gefährden"

Beim Exile Media Forum haben sich in Deutschland lebende Exiljournalistinnen und -journalisten über ihre Erfahrungen ausgetauscht, darunter Can Dündar. Ein Fazit: Sie fühlen sich zwar sicher vor Verfolgung, aber trotzdem oft unfrei. Und auch die Zusammenarbeit mit Redaktionen funktioniert nur mäßig.

Von Axel Schröder | 30.10.2018
    Der türkische Journalist Can Dündar bei der Eröffnung des Online-Magazins Özgürüz
    Can Dündar ist einer der bekanntesten Journalisten, die im deutschen Exil leben. (dpa / picture alliance / Maurizio Gambarini)
    Agata Klaus betreut als Programmmanagerin das heute eröffnete "Exile Media Forum" der Hamburger Körber-Stiftung. Ziel der Konferenz, auf der Journalisten aus ganz Europa diskutieren, ist, die Arbeit der geflüchteten Medienmacher und ihre Erfahrungen in den jeweiligen Exil-Ländern in den Fokus zu rücken, so Agata Klaus:
    "Exil-Journalismus, so wie wir ihn betrachten auf der Konferenz, ist der Journalismus, der sich an die deutsche Leserschaft richtet von exilierten Journalisten, die eine Vielfalt in den Medienbetrieb reinbringen, die aufzeigen, dass es andere Sichtweisen gibt und dadurch dann die Medienlandschaft bereichern. Die zweite Perspektive ist diejenige der Exiljournalisten, die hier in Deutschland sind und suchen und finden und die in ihre Heimatländer hineinfunken sozusagen."
    Geflüchtete Medienmacher teilen ihre Erfahrungen
    Zum Auftakt der Konferenz hielt der einstige Chefredakteur der Cumhürriet, Can Dündar, im Kleinen Saal der Elbphilharmonie schon gestern Abend seine "Rede zum Exil". Natürlich freue er sich, in Deutschland leben und arbeiten zu können. Aber das Gefühl des Fremdseins, das er kurz vor seiner Ausreise aus der Türkei hatte, würde ihn auch ihn in Deutschland weiter begleiten:
    "Das Erste, was Du hörst, ist: 'Du gehörst hier nicht her!' Und tragischerweise wartet dann im Zielland genau das Gleiche auf Dich. Und ganz bald denkst Du, Du wärst ein ewiger Außenseiter. Und dann fällt Dir Stefan Zweigs Satz ein: 'Ich gehöre nirgends mehr hin.'"
    Can Dündar erzählt von den türkischen Filmemachern, Musikern und Schriftstellern, die das Leben im Exil nicht ausgehalten haben. Sie wurden "homesick", krank vor Heimweh. Viele nahmen sich das Leben. Heute ging es im ersten Podium um die Frage, wie die Migrationsgesellschaft auch die Medienlandschaft verändert, welche Möglichkeiten ein Journalismus aus dem Exil in Deutschland eröffnet. Can Dündar machte noch einmal klar, dass er auch von Deutschland aus, beispielsweise mit seinem Projekt "Özgürüz", übersetzt: "Wir sind frei!", nicht ganz frei in seiner Berichterstattung sei, dass er noch immer Rücksicht nehmen muss auf die Folgen von Veröffentlichungen für Kollegen, die noch in der Türkei leben:
    Zahl der Redakteure mit Migrationshintergrund gering
    "Alles, was hier von hier aus geschrieben habe und schreibe, könnte ihr Leben in Gefahr bringen. Das ist Erdogans Logik, Menschen als Geiseln zu nehmen: Familien oder Kollegen ins Gefängnis zu stecken. Wenn man Chefredakteur einer Zeitung ist, kann man mutige Texte in türkischen Zeitungen schreiben, aber es gefährdet andere Menschen."
    Einigkeit herrsche unter den Diskutanten darüber, dass es zwar einzelne Projekte gibt, in denen Exiljournalisten gut mit hiesigen Redaktionen zusammenarbeiten. Nach wie vor seien aber Journalistinnen und Journalisten mit Migrationshintergrund in der deutschen Medienlandschaft unterrepräsentiert. Aus oft banalen Gründen, findet Sheila Mysoreka von der Initiative "Neue deutsche Medienmacher":
    "Ich denke, in Deutschland herrscht eine sehr starke Fixierung auf die Sprache. Wie man ja auch an der gesamten Migrationsdebatte sieht: immer das Allererste und das Allerwichtigste ist die deutsche Sprache. Sonst funktioniert hier gar nichts. Dass auch Menschen, die nicht so gut Deutsch sprechen, eine Menge zu sagen haben. Das wird so nicht gesehen. Und ich kenne aus der BBC, da gibt es genügend Reporter, Kommentatoren, die mit Akzent sprechen. Stört sich keiner dran. Hier ist das eine Katastrophe. Schon Bayerisch ist zuviel."
    Redaktionen können von Exiljournalisten profitieren
    Und ohnehin, so Sheila Mysoreka, seien auch in Deutschland aufgewachsene Menschen mit Migrationshintergrund, mit deutschen Studienabschlüssen und akzentfreier Sprache viel zu selten Teil von Redaktionen. Klaus Brinkbäumer, bis vor Kurzem noch Chefredakteur des Spiegel, betonte die Bedeutung von Exiljournalisten für die Recherche. Von ihrem Erfahrungsschatz, ihren Innensichten fremder Länder würden die Spiegel-Autoren profitieren. Projekte, die auf eine engere Zusammenarbeit setzen, seien aber eine Seltenheit:
    "Ich kenne die deutsche Verlagswelt ganz gut. Und die Bereitschaft, neue Dinge aufzulegen, neue Projekte einzugehen, die Geld kosten, ist eingeschränkt."
    Am Ende, darin waren sich die Gäste auf dem Podium einig, wird es noch dauern, bis in die oft noch von weißen Männern dominierten Redaktionen die Vielfalt Einzug hält, die die Gesellschaft heute schon bietet.