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Existenzielle Erfahrungen in Form von Thrillern

Am 4. März 1987 starb in Barcelona der Schriftsteller und Journalist Henri Girard alias Georges Arnaud. Sein erster Roman machte ihn schlagartig berühmt: "Lohn der Angst", ein Thriller über die zynischen Arbeitsbedingungen im lateinamerikanischen Ölgeschäft. Zugleich verarbeitete Arnaud aber auch eigene Angsterfahrung.

Von Kersten Knipp | 04.03.2012
    O-Ton aus "Lohn der Angst": "Zurück, zurück, los, los! Hast viel Platz." – Motorengeräusche, Gesang des Beifahrers – "Haaalt!" – leiseres Motorengeräusch – "Ist nichts: eine durchgefaulte Bohle." – Motorengeräusche."

    Der Mensch am Abgrund, der Technik ebenso ausgeliefert, wie seinen Mitmenschen und dem Glück. Ob die hölzerne Brücke hält, auf die der mit Sprengstoff beladene LKW ausweichen muss, wird sich erst noch zeigen. Sie hält, aber nur, um den Weg zu weiteren Gefahren freizugeben – Gefahren, die am Ende keiner der vier Fahrer überleben wird. "Le Salaire de la Peur", "Lohn der Angst" heißt der erste, 1950 veröffentlichte Roman des französischen Schriftstellers Henri Girard alias Georges Arnaud, den der Regisseur Henri-Georges Clouzot 1953 verfilmte, und der bis heute als ein Klassiker des Spannungskinos gilt. Der Film greift ein Thema auf, das auch für Arnaud selbst zu einer zentralen Lebenserfahrung wurde. Einer der Protagonisten in "Lohn der Angst" erklärt es so:

    O-Ton aus "Lohn der Angst": ""Ich stamme aus Texas. Als ich ein Kind war, habe ich erlebt, wie die Männer abfuhren und nicht wiederkamen. Oder wenn, dann waren sie fertig und hatten über Nacht schneeweißes Haar bekommen. Ihr wisst nicht, was Angst ist. Die Angst überfällt einen, wie die Pocken. Und wer sie kriegt, behält sie fürs Leben. Macht, was ihr wollt. Und viel Glück!"

    Georges Arnaud, 1917 in Montpellier in eine wohlhabende Familie geboren, hatte einige Jahre, bevor er den Roman schrieb, selbst allen Grund, Angst zu haben: Im Herbst 1941 wurden sein Vater, ein Bediensteter der mit den Nazis zusammenarbeitenden Vichy-Regierung, Arnauds Tante und eine Hausangestellte auf dem Familienschloss im Périgord mit Sichelhieben ermordet. Einziger Überlebender war Georges Arnaud. Er informierte die Polizei, wurde aber selbst des Mordes verdächtigt. Schließlich wurde Arnaud, der im Falle eines Schuldspruchs mit der Todesstrafe hätte rechnen müssen, aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Für Arnaud bedeutete es einen tiefgreifenden Bruch in seinem bisherigen Leben. Der sorglose, vom väterlichen Vermögen lebende Dandy wandelte sich zum Abenteurer, den es in die Ferne, genauer, nach Südamerika zog. Dort schlug er sich als Goldsucher, Barkeeper, Taxichauffeur und Lastwagenfahrer durch.

    O-Ton aus "Lohn der Angst": "Eine Bande von Tagedieben." – "Eine Bande von Tagedieben. Irgendwie stimmts. Keiner von denen hat 'nen Job. Leben von der Hand in den Mund. Es reicht gerade zum Fressen und hin und wieder 'nen Schnaps. Das ist alles."

    Unmittelbar nach seinem Gerichtsprozess nahm Henri Girard ein Pseudonym an. Unter dem Geburtsnamen wurde er immer wieder mit dem Verbrechen an seiner Familie in Verbindung gebracht und so nannte er sich fortan Georges Arnaud - nach dem Vornamen seines Vaters und dem Mädchennamen seiner Mutter. Unter diesem Pseudonym schrieb er 1950, nach der Rückkehr nach Frankreich, seinen ersten Roman "Lohn der Angst", der unmittelbar nach seinem Erscheinen zum Bestseller wurde.

    Arnaud veröffentlichte weitere Romane, die existenzielle Erfahrungen oft in der Form von Thrillern erzählen: "Le voyage du mauvais larron", "Die Reise des schlechten Diebes", etwa spielt an Bord eines internationalen Frachtdampfers. "Schtibilem 41" erzählt hingegen von den zähen Tagen eines Untersuchungshäftlings im Gefängnis. Immer wieder schlägt Arnaud in seinen Büchern einen eigentümlichen, zwischen Technikbegeisterung und -skepsis changierenden Ton an.

    "Die Ingenieure, die aus Europa kamen, um hierhin in aller Schnelle und auf große Distanz ihre Werkzeuge zu bringen, nachdem sie sie entworfen hatten – sie waren Dichter. Jawohl, Dichter der mechanischen Zivilisation und der tragischen Leichtigkeit, mit der sie sich ausbreitet. Sie waren Dichter all jener Maschinen, mit denen man vor sich selbst fliehen kann."

    Heißt es in "Le voyage du mauvais larron".

    In den frühen 60er-Jahren berichtete Arnaud als Journalist auch über die französischen Kriegsgräuel in Algerien. Als er sich weigerte, seine Informanten preiszugeben, wurde er für zwei Monate in Haft genommen. 1962, im Jahr der algerischen Unabhängigkeit, verlegte er seinen Wohnsitz in das nordafrikanische Land, wo er bis 1974 lebte. Danach drehte er für das französische Fernsehen zahlreiche Dokumentarfilme – nicht zuletzt über Justizirrtümer.

    [Die O-Töne stammen von der DVD "Lohn der Angst", Concorde Home Entertainment]