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Existenznöte in deutschen Kommunen
Großstädter öfter von Armut betroffen

Nach einer Bertelsmann-Studie ist Armut in Deutschland vor allem ein Problem in Großstädten. Während deutschlandweit zehn Prozent der Menschen Sozialleistungen empfangen, sind es in Ballungsgebieten 14 Prozent. Große Städte haben förmlich eine Sog-Wirkung auf Bedürftige.

Von Mischa Dallmann | 02.04.2019
Ein Mann sucht in Berlin in einem Papierkorb nach Pfandflaschen oder Pfanddosen (Symbolbild)
Arme Menschen gehören sichtbar mittlerweile zum Alltag in Großstädten (picture alliance/ dpa/ Wolfram Steinberg)
Für ihre Studie hat sich die Bertelsmann Stiftung die Entwicklung der Armutsquote in den vergangenen zehn Jahren angeschaut. Dabei zeigte sich, dass Armut eher ein Problem von Großstädten ist - besonders im Ruhrgebiet. Ausnahmslos in allen 13 Ruhrgebiets-Großstädten hat sich die Armutsquote erhöht. Anders als in Ostdeutschland. Hier hat sich die Situation in den zehn Großstädten verbessert, erklärt Kirsten Witte von der Bertelsmann Stiftung:
"Zu erklären ist das in erster Linie dadurch, dass im Ruhrgebiet nach wie vor große strukturelle Probleme existieren und dass die Bevölkerungsgruppen dort unter einer sehr verfestigten Armut leiden, während in Ostdeutschland - natürlich zum Teil muss man sagen - wir durch Migration, zum Teil aber auch durch die Wirtschaft, die anzieht, bessere Einkommensmöglichkeiten haben inzwischen."
Von Jahr zu Jahr steigt die Zahl der Bedürftigen
Den Studienmachern ging es aber auch um Einstellungen und Meinungen. Bei einer Umfrage durch das Institut Kantar Emnid kam heraus, dass Bewohner einer Großstadt Armut als Phänomen der Gesellschaft viel stärker wahrnehmen und als wachsendes Problem empfinden als Kleinstädter.
Dieses Gefühl kann Josefine Georgie von der Bahnhofsmission Bielefeld nachvollziehen. Von Jahr zu Jahr steige die Zahl der bedürftigen Menschen, die bei ihr um Hilfe bitten:
"Von den 110 bis 120 Menschen am Tag, die kommen, sind viele Menschen wirklich sehr arm, im Sinne, dass sie wirklich keine eigene Wohnung mehr haben. Es sind aber auch viele Menschen, die zum Beispiel schon älter sind, im Rentenbezug stehen, eine sehr, sehr kleine Rente haben und hierher kommen für das Butterbrot oder für die Süßigkeit für den Enkel."
Ein Schlafsack und eine Jacke liegen vor einer Wand und einem Rolladen mit Graffitis.
Schlafplatz eines Obdachlosen in Hamburg (picture alliance / Arco Images)
Immer mehr Jugendliche betroffen
Und auch immer mehr Jugendliche nähmen das Angebot der Bahnhofsmission wahr.
Dass besonders in Großstädten anteilig mehr arme Menschen leben als etwa auf dem Land, erklärt sich Josefine Georgie auch mit der besseren Infrastruktur. Große Städte hätten eine Art Sog-Wirkung auf Bedürftige, weil es mehr Angebote und Anlaufstellen gibt, um die Not zu lindern. Verstärkt werde dadurch aber die Wohnungsnot:
"Das führt natürlich auch in so eine Abwärtsspirale. Wir haben viele Menschen, die kurz davor stehen, ihre Wohnung zu verlieren, die sie verloren haben und einfach keine neue mehr finden, die sehr verzweifelt sind und deren ganze Lebenssituation natürlich davon auch abhängt."
Deutscher Städtetag fordert mehr Bildungsmöglichkeiten, um Armut zu vermeiden
So sieht es auch der Deutsche Städtetag. Dessen Präsident Markus Lewe bestätigt, dass sich hohe Wohnkosten und Langzeitarbeitslosigkeit gerade in großen Städten konzentrieren. Außerdem fehle es oft an beruflichen Qualifikationen, um einen Job machen zu können, von dem man leben könne. Lewe fordert deshalb einen breiten Ansatz in Deutschland, mit guter Bildung und einer intensiven Arbeitsmarkt- und Wohnungspolitik. Die Probleme seien den Kommunen bekannt - alleine könnten sie diese aber nicht lösen.