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Expedition vor 125 Jahren
Die ersten Menschen auf dem antarktischen Festland

Im Januar 1895 entdeckte die norwegische "Antarktik"-Expedition eine eisfreie Insel am Kap Adare - und der Polarforscher Carsten Egeberg Borchgrevink betrat als Erster das antarktische Festland. Die Expedition wurde zum Startsignal für die tiefere Erforschung der Region am Südpol.

Von Irene Meichsner | 23.01.2020
    Ein Bild aus "The Strand Magazine", veröffentlicht im Jahr 1897, zeigt Carsten Egeberg Borchgrevink und Mitglieder der Expedition auf 'Possession Island' in der Antarktis
    Erster Mensch auf dem antarktischen Festland: Carsten Egeberg Borchgrevink und Mitglieder der "Antarktik"-Expedition (www.imago-images.de / Ken Welsh)
    "Es war eine böse Nacht, die erste auf dem alten Seehundfänger. Die einzige freie Koje war geschlossen wie ein Sarg und lag gerade über einem Behälter mit Speck. Der Geruch des in der Hitze verderbenden Specks mischte sich in dem engen Raum mit den Ausdünstungen der schlafenden Matrosen. Beinahe wäre ich wieder an Land zurückgekehrt. Von den Reisevorbereitungen der letzten Tage ermüdet schlief ich indessen bald ein. In meinen Träumen war ich schon im fernen Süden und sah die Vulkane Erebus und Terror und die große Eisbarriere, die ich in meinen nebelhaften Plänen erreichen wollte."
    Start der "Antarktik"-Mission im Herbst 1894
    Carsten Egebert Borchgrevink wollte schon als Kind Polarfahrer werden. Er war in Oslo groß geworden und 1888 nach Australien ausgewandert, wo er als Lehrer und Landvermesser Arbeit fand. Als ihm eines Tages zu Ohren kam, dass der norwegische Reeder und Walfang-Veteran Svend Foyn ein Schiff in die Antarktis entsenden wollte, bewarb er sich um eine Mitfahrgelegenheit. Am 20. September 1894 stach Borchgrevink als Matrose an Bord der "Antarktik" von Melbourne aus in See.
    "Der eigentliche Reisezweck der 'Antarktik' war, den Grönlandswal im südlichen Polarmeer zu suchen. Insofern war das Ziel der Expedition verfehlt. Es glückte nämlich nur, zu konstatieren, daß der wertvolle Walfisch der grönländischen Gewässer in diesen Gegenden nicht vorkommt."
    Kapitän Leonard Christensen steuerte die "Antarktik" durch den Packeisgürtel und gelangte bis zum 74. Breitengrad.
    "Als wir Kehrt machten, um nicht Gefahr zu laufen, vom Eis eingesperrt zu werden, und auf dem Heimwege das Kap 'Adare' passierten, bemerkte ich zu meiner größten Freude oben von der Ausguckstonne durch das Fernglas einen kleinen eisfreien Strand. Mein Eifer, das unbekannte Land zu betreten, steckte Kapitän Christensen an und bewirkte, daß er ein Boot aussetzen ließ, mit dem wir versuchten, durch das Landeis bis zur Küste vorzudringen, während die 'Antarktik' unter Dampf draußen in See lag und auf uns wartete."
    Borchgrevink vor dem Kapitän an Land
    Es war die Nacht vom 23. auf den 24. Januar 1895. Die Eisberge und Eisschollen am Kap Adare glitzerten im Licht der Mitternachtssonne. Sechs Männer saßen in dem kleinen Boot, darunter Borchgrevink, der später steif und fest behauptete, er habe als Erster seinen Fuß auf das antarktische Festland gesetzt - was bis heute unklar geblieben ist. In einem Reisebericht aus dem Jahre 1905 drückte er sich etwas vorsichtiger aus.
    "Es läßt sich schwer sagen, wer zuerst auf dem Lande stand. In meinem jugendlichen Eifer sprang ich in das Wasser, bevor der Bootskiel den Grund berührte, und watete ans Land. Kapitän Christensen sprang, als das Boot nahe genug war, trockenen Fußes auf den Strand. Beide hatten wir festen Boden unter den Füßen. Kapitän Christensen wählte, glaube ich, den vernünftigsten Weg, jedenfalls den trockensten. Sicher ist, daß es Norweger waren, die zum erstenmal den neuen Weltteil betraten."
    Einem Logbuch zufolge, das in den 50er Jahren in einem US-Archiv auftauchte, könnte es sogar sein, dass der amerikanische Robbenjäger John Davis schon 1821 seinen Fuß auf antarktisches Festland setzte. Aber davon konnte Borchgrevink noch nichts wissen. Im März 1895 kehrte er nach Melbourne zurück. Im Oktober fand in London der 6. Internationale Geographen-Kongress statt.
    "Für mein letztes Geld kaufte ich ein Billett 3. Klasse nach London auf dem Orientdampfer 'Oruba' und machte mich auf den Weg."
    Wegbereiter der "Antarktis-Resolution"
    Wissenschaftlich habe seine Fahrt zwar nicht allzu viel erbracht, räumte Borchgrevink vor dem Kongress ein.
    "Aber der kleine Beitrag, den ich geleistet habe, vermittelt mir doch das befriedigende Gefühl, meinen Teil zu der Erkenntnis beigetragen zu haben, dass ein weiterer Aufschub einer wissenschaftlichen Expedition in die Südpolarregion kaum zu rechtfertigen wäre."
    Tatsächlich lieferte Borchgrevinks Vortrag den letzten Impuls für die Verabschiedung der "Antarktis-Resolution", die dazu aufrief, die Erforschung der Polregion massiv voranzutreiben - der Startschuss für zahlreiche Aktivitäten im "Goldenen Zeitalter" der Antarktis-Expeditionen. Trotzdem blieb Borchgrevink ein Außenseiter. Seine eigenen Pläne für eine Antarktis-Überwinterung konnte er nur mit Hilfe eines britischen Buchverlegers verwirklichen. Die Fachwelt nahm davon kaum Notiz.