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Experiment
Gänse schlachten in der City

Ein Landwirt aus Essen hat mitten in einer belebten Kölner Fußgängerzone einen Stand aufgebaut und Gänsefleisch an Passanten verkauft. Das Fleisch war aber nicht fertig verpackt wie im Supermarkt oder Hofladen. Wer eine Gans wollte, musste die Schlachtung mit ansehen - alles im Auftrag der WDR-Wissenschaftsredaktion.

Von Tobias Jobke | 11.12.2017
    Die Gänse in der Kölner Innenstadt
    Experiment in der Kölner Innenstadt: Kurzes Geschnatter, die Gans wird betäubt und gemäß den gesetzlichen Vorschriften getötet, dann gerupft und gekühlt (Deutschlandradio/T. Jobke)
    Ein ungewöhnlicher Verkaufsstand auf der Breiten Straße in Köln, mitten im Weihnachtsgetümmel. In einem kleinen Gehege mit Stroh sitzen zehn Gänse eng beieinander. Daneben ein Stand, an dem ein Transparent hängt mit der Aufschrift: "Deutschlands frischeste Weihnachtsgans direkt vom Hof aus eigener Schlachtung". Noch traut sich niemand, eine der Gänse zu kaufen. Viele Passanten bleiben am Gehege stehen, fotografieren die Tiere, leise ahnend, was ihnen bevorsteht.
    Mann: "Ich esse selber Gänsefleisch oder Enten oder sonst was, aber ich muss doch nicht sehen, wie die geschlachtet werden!"
    Frau: "Jetzt wird mir das mal bewusst, wenn ich die sehe, die Tiere tun mir total leid. Ich würde sie gerne kaufen und mit nach Hause nehmen."
    "Frische Weihnachtsgänse! Erste Gans für die Hälfte! Wer braucht noch eine Weihnachtsgans?"
    Der Käufer ist zufrieden
    Was klingt wie an einem normalen Markstand, ist in Wirklichkeit ein Sozialexperiment der WDR-Wissenschaftsredaktion. Wer kauft sich eine der Gänse, um mitten in der Fußgängerzone bei der Schlachtung zuzusehen? Schließlich findet sich jemand. Landwirt Nikolas Weber aus Essen schreitet zur Tat. Er packt eine der zehn Gänse vorsichtig, kurzes Geschnatter. Die Gans wird betäubt und gemäß den gesetzlichen Vorschriften getötet, dann gerupft und gekühlt. Der Käufer ist zufrieden.
    "Ich finde das schön, dass man weiß, was man gekauft hat und man sieht auch, wie das geschlachtet ist sauber, das finde ich schön."
    Anders die Reaktionen vieler Passanten, die zufällig Zeuge der Schlachtung werden. Eine Mischung aus Innehalten, Neugier und Entsetzen – mitten in der Einkaufsstraße. Eine junge Frau hält sich die Hände vor den Mund, kann nicht glauben, was sie da gerade mit eigenen Augen gesehen hat.
    "Ich finde das unfassbar, dass Sie sowas hier machen. Das finde ich so unfassbar asozial und schrecklich! Wieso erlauben sie sowas? Wieso machen sie das?"
    Viele verdrängen, dass Tiere geschlachtet werden müssen
    Viele andere Passanten finden die Aktion gut, sprechen auf einmal selbstkritisch über ihren Fleischkonsum oder fordern mehr Bewusstsein beim Kauf von Fleischprodukten – so wie diese Frau.
    "Keiner macht sich Gedanken darüber, dass die Tiere, die auf dem Teller haben, ja auch nicht dahingeflogen kommen und fertig gebraten vom Himmel fallen! Das passiert ja jeden Tag! Aber jeder regt sich auf, mein Gott, da wird eine Gans gerupft!"
    Landwirt Nikolas Weber, der den Betrieb seiner Eltern übernommen hat, sieht das genauso. Er stand mit seinen Gänsen sofort für das WDR-Experiment zur Verfügung. Den 35-Jährigen stört, dass viele Verbraucher verdrängen, dass für die Fleischproduktion Tiere geschlachtet werden müssen.
    "Die Menschen denken mehr über nachhaltige Haltung nach und mehr über Tierwohl nach, aber blenden immer noch den Bereich der Schlachtung einfach aus. Keiner will drüber reden, aber alle wollen Fleisch essen."
    Zu Diskussionen über den Fleischkonsum anregen, das war das Ziel des WDR-Experiments. Fleischkonsum nicht generell verteufeln, aber Bewusstsein schaffen. Denn immerhin ist die getötete Gans eins von 750 Millionen Tieren, die hierzulande jährlich geschlachtet werden.