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Expertenanhörung in Berlin
Lob und Kritik für Anti-Mobbing-Maßnahmen

Nach dem Tod einer Grundschülerin beschäftigte sich in Berlin eine Expertenanhörung mit Mobbing in der Schule. Wobei noch immer unklar ist, ob der Fall etwas mit Mobbing zu tun hat. Neben heftigen Vorwürfen gab es aber auch Lob für die Maßnahmen des Berliner Senats.

Von Manfred Götzke | 01.03.2019
Zwei Mädchen mobben, lästern über ein anderes Mädchen, das im Hintergrund sitzend, mit Händen vorm Gesicht zu sehen ist
Eine Expertenanhörung beschäftigte sich mit Mobbing in der Schule. (imago/photothek)
Nach über einer Stunde hitziger Debatte mit Vorwürfen und Gegenvorwürfen wurde es auf einmal ziemlich still im Berliner Bildungsausschuss. Als Daniela Walter das Wort bekam, die Leiterin der Hausotter-Grundschule in Berlin-Reinickendorf.
"Ich möchte zu Beginn ganz klar sagen, dass die Schülerin, die verstorben ist, kein Mobbing-Opfer war. Wir sind bis heute und vom ersten Tag an mit der Familie im engen Kontakt."
Nach dem mutmaßlichen Freitod des elfjährigen Mädchens wurde in vielen Medien über die Motive der Grundschülerin spekuliert, Elternvertreter berichteten von einem Mobbing-Problem. Die Eltern der Schülerin hatten sich dagegen nie entsprechend geäußert – und auch die Staatsanwaltschaft hat noch nicht abschließend ermittelt, ob es überhaupt einen Zusammenhang zu Mobbing gibt.
"Bis zum ersten Februar wusste ich nicht, dass meine Schule eine Mobbingschule ist. An dieser Schule sind viele Dinge auf den Weg gebracht in Sachen Prävention - und was mich unglaublich wütend macht, ist, dass Menschen von außen sich über diese Schule hinweg setzten, und irgendwelche Dinge in die Welt bringen."
Heftige Kritik an Schulleitern
Die Schulleiterin meint damit auch den Anti-Mobbing-Coach Carsten Stahl. Der hatte Schulverwaltung und Schulleiterin nach dem Tod der Schülerin massiv kritisiert – ohne aber mit deren Eltern zu sprechen. Die oppositionelle CDU, die den Fall zum Fall zum Anlass genommen hatte, um grundsätzlich über Mobbing zu debattieren, hatte den umstrittenen Coach gestern dennoch als Experten einberufen. Wo er erneut gegen Verwaltung und Schulleiter austeilte.
"Unser größtes Problem ist es, dass wir eine Vielzahl der Schulleiter in Deutschland haben – auch in Berlin – die sagen, wir haben kein Problem mit Mobbing. Die schützen den Ruf der Schule und ihre eigene Position und das wird von oben durch die Schulämter und noch weiter oben nicht richtig begutachtet."
Auch die CDU wirft Bildungssenatorin Sandra Scheres Untätigkeit vor. Sie kritisiert vor allem, dass es keine Meldepflicht für Mobbingfälle gibt – obwohl die schon in der letzten Legislaturperiode beschlossen wurde.
Die Senatorin konterte mit einem ganzen Paket neuer Maßnahmen: Scheres will eine Anti-Mobbing-Stelle schaffen, ein neues Meldeverfahren für Gewalt-und Mobbingvorfälle einführen. Außerdem will sie Schüler als Anti-Mobbing-Beauftragte in die Bildungsverwaltung holen. Der direkte Draht von Schülern zu Schülern solle die Hemmschwellen senken.
Lob für die Anti-Mobbing-Politik des Senats
Alles durchaus sinnvoll, meint Herbert Scheithauer. Der Entwicklungspsychologe von der FU Berlin war der einzige Wissenschaftler bei der Anhörung. Scheithauer forscht zu Schulgewalt und Mobbing, seit Jahren evaluiert er, was gegen Mobbing hilft und was nicht. Der Psychologe berät Schulen in Deutschland und Europa zum Thema und findet durchaus Lob für die Anti-Mobbing-Politik des Senats. Berlin sei da viel weiter als viele andere Bundesländer.
"Man kann gar nicht genug tun gegen Mobbing. In Berlin wird aber sehr viel schon getan."
Allerdings meint Scheithauer: Es ist kompliziert: Die eine Maßnahme gegen Mobbing, gibt es nicht, vor allem kann man das Problem nicht kurzfristig lösen.
Nicht eine spezielle Anti-Mobbing-Maßnahme
"Wir selber haben zwei Programme entwickelt, von denen wir auch wissen, dass sie wirken: Das heißt, wir haben hinterher weniger Mobbing oder Cybermobbing. Das eine ist das Fair Player Manual zur Förderung sozialer Kompetenzen, das andere ist das Programm Medienhelden zur Förderung von Medienkompetenz. Dieses Programm umfasst eine Vielzahl an Maßnahmen weil Mobbing sehr unterschiedlich ist und die Hintergründe die zu Mobbing führen sehr unterschiedlich sind, sodass wir bestimmte Maßnahmen in einer Reihenfolge durchführen müssen – um wirklich nachhaltig gegen Mobbing vorzugehen."
Doch genau das ist an den Schulen in Deutschland zu selten der Fall, sagt Scheithauer. Das zeige letztlich auch die Debatte nach dem tragischen Tod der Grundschülerin – die möglicherweise gar nicht gemobbt wurde.
"Ich finde es schade, dass meist schlimme Ereignisse dazu führen, dass es einen Aufschrei in unserer Gesellschaft gibt und dann kurzfristig mit einem enormen medialen Hype begleitet das Thema im Mittelpunkt steht – und ein halbes Jahr später kann sich keiner mehr dran erinnern."