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Exquisit, aber kompliziert

Mit Manuel Vázquez Montalbáns Krimi Der letzte Bolero verhält es sich wie mit den Gourmet-Gerichten, die sich Privatdetektiv Pepe Carvalho so gerne gönnt: exquisite Zutaten, aber komplizierte Zubereitung. Die Zutaten: Satanische Sekten, katalonische Separatisten, tödliche Leidenschaften. Und dann wird’s kompliziert. So kompliziert, dass Leser, die mit den Menüs Montalbán’scher Prägung nicht vertraut sind, vermutlich der Appetit vergeht, bevor der Spaß zu Ende ist.

Von Sacha Verna | 31.08.2004
    Es fängt damit an, dass der Spaß nicht wirklich einer ist. Manuel Vázquez Montalbán verstarb im Oktober letzten Jahres, erst 64-jährig. Und obgleich man nur zu gern bereit ist, in posthum erscheinende Bücher alles Mögliche hinein zu interpretieren: In diesem Roman stehen die Zeichen zweifellos auf Abschied. Pepe Carvalho, der genussfreudige Melancholiker mit Sinn für Leibliches und Weibliches ist seines Lebens überdrüssig. Er verbringt seine Tage damit, über Enttäuschungen von gestern nachzugrübeln und sich die Trübsal von morgen auszumalen – namentlich seine Existenz als vereinsamter Pensionär ohne Pension. Nicht einmal Barcelona, die Stadt seines Herzens, vermag ihn mehr zu verzaubern:

    Die Stadt hat den lasterhaften Geruch nach Schiesspulver, Achselschweiß und Lenden gegen eine Mischung aus künstlichem Pinienduft und fettigen Garnelen ausgetauscht. Alle Metaphern der Stadt waren unbrauchbar geworden: Sie war nicht mehr die verwitwete, der Macht beraubte Stadt, denn sie besaß sie seit den Autonomiebestimmungen; sie war auch nicht mehr die Feuerrose der Anarchisten, denn das Bürgertum hatte sich endgültig dazu überwunden, den Namen zu wechseln; nun nannte es sich ‘aufstrebender Sektor’, und wie soll man gegen den ‘aufstrebenden Sektor’ eine Bombe zünden oder eine Barrikade errichten?

    Pinienduft und ungezündete Bomben sind das Eine. Erst recht zu schaffen macht Carvalho jedoch der Umstand, dass sich offenbar einige Schatten seiner Vergangenheit nicht mehr mit ihrem Schattendasein begnügen, sondern als Menschen aus Fleisch und Blut beim überrumpelten Pepe anklopfen. Zunächst ist da Charo, eine verschollen geglaubte Gespielin aus wilderen Zeiten, die Carvalho in einem dramatischen Auftritt ihrer nie erloschenen Liebe versichert und ihn im gleichen Atemzug dazu drängt, den Verfechtern eines autonomen Katalonien seine Dienste als Spion zu Verfügung zu stellen. Die nie erloschene Liebe führt zu mehreren dîners à deux mit entsprechenden Nachspielen. Charos dringende Bitte hat zur Folge, dass Carvalho wieder die Schulbank drückt und lernt, wie man für Kataloniens Identität und gegen das kämpft, was die mysteriösen Auftraggeber hinter Charo den "staatenlosen Ökonomismus"nennen.

    Dann ist da Yes. Auch sie eine einstige Bettgenossin Carvalhos, die aus dem Nichts wieder auftaucht und ihn mit Faxen ebenso lyrischen wie heißblütigen Inhalts überhäuft. Im Gegensatz zu Charo und den katalonischen Nationalisten bringt Yes Carvalho ziemlich aus dem Konzept. Plötzlich sehnt er sich nach dieser Frau, die er zwanzig Jahre zuvor in den Armen gehalten hat. Doch als sie ihn vor die Wahl stellt, sie entweder ganz und für immer zu nehmen oder gar nicht, verkriecht er sich hinter männlicher Unverbindlichkeit und lehnt ab. Was er später bitter, bitter bereuen wird.

    Als wären dies der Altlasten nicht genug, schlägt sich Carvalho auch noch mit einem ungelösten Mordfall herum, in den Spaniens einflussreichste Familien und die Glaubensgemeinschaft der Zeugen Luzifers verwickelt sind.

    So ordentlich aufgelistet wirken Carvalhos diverse Betätigungsfelder nicht allzu verwirrend – halbherziger Patriotismus, selbstverschuldetes Liebesleid und Teufel mit üppigen Bankkonten. Doch wird bald deutlich, dass hier alles mit allem zusammenhängt: die Patrioten mit den Teufeln, die Bankkonten mit dem Liebesleib, ganz abgesehen von gedungenen Killern, verzweifelten Müttern und Polizisten mit chronischem Informationsdefizit. Mit anderen Worten: In diesen Topf hat der Meisterkoch alles geworfen, was er schon immer mal probieren wollte.

    Das Ergebnis ist selbst für Leser mit robustem Magen schwer verdaulich. Dabei ist an den Ingredienzien, wie schon eingangs gesagt, gar nichts auszusetzen. Montalbàn, der liebevolle und zugleich gnadenlose Porträtist spanischer Sitten und Gebräuche, gerät nach wie vor nie auch nur in die Nähe von Torero-Flamenco-Paella-Klischees. Denn Montalbàn hat sich stets für menschliche Panoramen im großen Stil interessiert, nicht für pittoreske Landschaftsbilder.

    Carvalho ist so gallig wie eh und je, wenn auch sein Galgenhumor mehr und mehr der Verbitterung und seine sentimentalen Anwandlungen dem puren Selbstmitleid Platz machen. Er findet noch immer Gelegenheit, sich über die kapitalistische Seelenlosigkeit zu verbreiten. Seine Ausführungen zu den Themen Gott, Staat und Finanzen sind zwar nicht besonders originell, aber bestimmt unterhaltsamer als Litaneien alibilinker Herkunft. Hübsch ist auch der folgende Dialog über Definition und Wesen der Nation, in dem Carvalho seine patriotische Gesinnung unter Beweis stellen soll:

    "Was denken Sie über Katalonien?”
    "Worauf beziehen Sie sich?”
    "Auf Katalonien.”
    "Ich habe Ihre Frage noch immer nicht ganz verstanden. Was ist Katalonien? Eine geographische, administrative, emblematische, symbolische Größe…?”
    "Eine nationale. Katalonien ist eine Nation.”
    "Das bezweifle ich nicht. Ein kollektives Subjekt, oder sagen wir, kollektiv und virtuell. Sie sind auch eine Nation. Alle sind wir eine Nation. Mir hingegen ist ganz klar, dass ich keine Nation bin. Es fällt mir schon schwer genug, ein Individuum zu sein, und ich traue den Völkern nicht. Die Individuen können Mitleid habe, die Völker nicht. Eine Nation zu sein würde mir das Leben zu sehr verkomplizieren. Aber ich verehre die Nationen der anderen.”


    An Stellen wie diesen präsentiert sich der alte Zyniker Carvalho in Bestform. Und natürlich fehlen in diesem Abenteuer auch Sympathieträger wie Carvalhos treuer Gehilfe Biscuter nicht, der sich in der Küche wieder einmal selbst übertrifft:

    Zuerst gart man die Leber im Entenfett, auf ganz kleiner Flamme, etwa zehn Minuten, und lässt sie auskühlen(…)ich werde Spargel, Lauch Blumenkohl und Shiitakepilze schmoren. Ausserdem muss man Gewürzkräuter wie Schnittlauch, Petersilie, Thymian und Minze vorbereiten. Man macht eine Marinade aus Lauchzwiebeln, Olivenöl, Koriander, schwarzem Pfeffer, Weisswein, Zitronensaft, Champignons, Rosinen, gehackten Tomaten. Alles muss zusammen aufkochen, ausser den Rosinen, die man zum Schluss hinzufügt…

    …so Biscuters Erläuterungen während er seinen Chef für Entenleberterrine mit Wintergemüse, Most und Joghurt zu begeistern versucht.

    Nein, dass Der letzte Bolero einen schalen Nachgeschmack hinterlässt, liegt nicht an mangelnder Qualität. Es liegt am merkwürdigen Unvermögen dieses erfahrenen Autors, die disparaten Teile dieses Mal in eine elegante Form zu bringen. Ein Roman wie ein verflutschter Hefekuchen.

    Manuel Vázquez Montalbán
    Der letzte Bolero
    Piper, 285 S., EUR 18.90