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EZB-Anleihekäufe
Spielraum der Europäischen Notenbanker auf dem Prüfstand

Betreibt die EZB nicht nur Währungs-, sondern auch gezielt Wirtschaftspolitik und Staatsfinanzierung? Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts prüft heute und morgen, inwieweit sich die Zentralbank innerhalb ihrer vertraglich zugestandenen Kompetenzen bewegt - und hat vor allem die Anleihekäufe im Visier.

Von Gudula Geuther | 30.07.2019
Die Europäische Zentralbank in Frankfurt am Main.
Kritiker werfen der EZB vor, keine regelbasierte Institution mehr zu sein (DANIEL ROLAND / AFP)
Es geht um viel Geld. Und es geht wieder einmal um die Frage, wer das letzte Wort hat unter den Gerichten in Europa. Wie aktuell die Verhandlung über die Anleihekäufe der Europäischen Zentralbank werden würde, dürften auch die Verfassungsrichter nicht geahnt haben. Just bevor heute und morgen der Zweite Senat erneut prüft, wie weit die Europäischen Notenbanker gehen dürfen, hat Mario Draghi eine Neuauflage des Kaufprogramms in den Raum gestellt, das – zumindest, was Neuankäufe betrifft – seit Anfang des Jahres ausgesetzt war. Es geht um das Programm, das Draghi im März 2015 so angekündigt hatte.
"Staats- und Unternehmensanleihen sollen im Volumen von monatlich 60 Milliarden Euro gekauft werden. Das soll bis Ende September 2016 geschehen, soll aber so lange fortgeführt werden, bis wir eine nachhaltige Anpassung der Inflation sehen, die mit unserem Ziel von unter, aber nahe zwei Prozent übereinstimmt."
Verfassungsrichter wollen wirksame gerichtliche Kontrolle
Das Programm wurde fortgesetzt, in unterschiedlicher Höhe. Insgesamt nahm die EZB 2,6 Billionen Euro in die Hand – von Anfang an kritisch begleitet von den Karlsruher Richtern. Die wollen schon länger erreichen, dass die EZB einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle unterliegt. Denn so sehr die europäischen Notenbanker unabhängig sind, so sehr müssen sie sich auch an die Grenzen halten, die ihnen die Europäischen Verträge ziehen, meinen die Verfassungsrichter. Die hatten dem EuGH in Luxemburg schon früher die Versicherung abgerungen, dass die EZB unter seiner rechtlichen Aufsicht steht.
Damals aber konnte offen bleiben, was das genau in der Praxis heißt. Beim Programm PSPP, über das nun verhandelt wird, kommt es dagegen zum Schwur. Auch das hat eine juristische Vorgeschichte. Denn wie schon früher, so sprachen die Karlsruher Verfassungsrichter auch diesmal bei den europäischen Kollegen in Luxemburg vor. Und machten deutlich: Sie wollen der EZB strengere Zügel anlegen.
Der Vorwurf: In Wahrheit betreibe man in Frankfurt nicht nur Währungs-, sondern auch gezielt Wirtschaftspolitik und Staatsfinanzierung. Die deutschen Richter fürchten die Einladung zum Schuldenmachen, wenn sich Staaten darauf verlassen könnten, dass ihre Anleihen alsbald von der EZB auf dem Sekundärmarkt übernommen werden und so in jedem Fall einen sicheren Käufer finden. Um das zu verhindern, so die Forderung aus Karlsruhe, müssten zum Beispiel Mindestfristen zwischen der Ausgabe und dem Ankauf vergehen. Wie lang diese Fristen in der Praxis sind, wollte die EZB auch dem Europäischen Gerichtshof nicht sagen.
Oder, so fragten die Verfassungsrichter: Dürfen Schuldtitel bis zur Endfälligkeit gehalten werden? Derzeit ist das der Fall. Der EuGH hingegen sah die EZB im Recht. Trotz einiger Fragezeichen entschieden die Richter: Die Zentralbanker haben einen großen Spielraum, der wird durch das Programm nicht überschritten.
Kläger werfen EZB Alleingänge vor
Auf diesen Standpunkt – gegen das Votum der deutschen Verfassungsrichter – hatte sich in dem Verfahren auch die Bundesregierung gestellt. Das sehen andere ganz anders, darunter die Kläger. Schon 2015 hatte etwa der Berliner Jurist und Finanzwissenschaftler Markus C. Kerber in einem Interview geschimpft:
"Die EZB ist längst nicht mehr eine regelbasierte Institution. Sie entscheidet, wann eine Krise vorliegt, sie entscheidet, wie lange diese Krise dauert, sie entscheidet über die Maßnahmen zur Bekämpfung der Krise."
Bundesbank könnte Teilnahme am Programm untersagt werden
Die Karlsruher Verfassungsrichter müssen nun also nicht nur über die EZB entscheiden, sondern auch über ihren Umgang mit dem EuGH. Dabei ist klar: Für die Auslegung des Europarechts sind die Luxemburger Richter zuständig. Den deutschen Verfassungsrichtern bliebe ein äußerstes Mittel: Sie könnten befinden, dass sich die EU-Organe weit außerhalb der ihnen vertraglich zugestandenen Kompetenzen bewegen - und damit der Bundesbank die Teilnahme am Programm untersagen. Das wäre schweres Geschütz, das noch nie eingesetzt wurde.
Weniger konfrontativ dürfte es dagegen am Vormittag zugehen. Da entscheidet ebenfalls der Zweite Verfassungsgerichts-Senat über die Europäische Bankenunion, die seit 2014 eine europäische Aufsicht über die größten Banken durch die EZB selbst vorsieht und einen Abwicklungsmechanismus. Auch hier hatten die Richter in der Verhandlung kritische Fragen gestellt. Auch hier gilt aber: Über eine Verletzung von Europarecht kann nur der EuGH entscheiden. Und das strebt das Bundesverfassungsgericht offenbar nicht an.