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EZB-Anleiheprogramm
"Draghi ist der Erfüllungsgehilfe reformfauler Europolitiker"

EZB-Präsident Mario Draghi werde beim Programm zum Ankauf von Staatsanleihen nachlegen müssen, sagte Robert Halver, Leiter Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank AG, im DLF. Im Vergleich zu den USA habe die Eurozone es versäumt, Reformen anzuschieben. Klarer Verlierer der EZB-Geldpolitik seien die Sparer.

Robert Halver im Gespräch mit Christoph Heinemann | 06.03.2015
    Robert Halver, Leiter Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank AG.
    Robert Halver, Leiter Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank AG. (imago/Hoffmann)
    Christoph Heinemann: Die Europäische Zentralbank hat gestern frisch eingerammte Pflöcke noch einmal befestigt. Es bleibt dabei: Der EZB-Rat lässt den Leitzins im Euroraum auf dem Rekordtief von 0,05 Prozent und in diesem März beginnt die EZB damit, Staatsanleihen und andere Wertpapiere im Umfang von monatlich 60 Milliarden Euro zu kaufen. Am nächsten Montag geht es los, das hat EZB-Chef Draghi gestern angekündigt. Ziel der Bemühungen ist Wachstum und Inflation, denn das Gegenteil von Inflation ist Deflation, also auf breiter Front sinkende Preise. Die könnten die Konjunktur abwürgen, weil, wie ein Bundesminister das vor Jahrzehnten einmal ausgedrückt hat, die Pferde dann nicht mehr saufen. Die Pferde, das sind Sie, das bin ich und das ist auch unser Gesprächspartner: Das ist Robert Halver, der die Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank leitet. Guten Morgen!
    Robert Halver: Guten Morgen!
    Heinemann: Herr Halver, wie funktioniert das technisch? Wie und vom wem kauft die EZB Staatsanleihen?
    Halver: Ja man könnte sagen, wenn die EZB dreimal klingelt. Sie telefoniert die Banken ab und fragt, ob die Banken bereit sind, deren Staatspapiere an die EZB zu verkaufen. Dann wird man überlegen, wie ist der faire Preis, und dann wird die EZB sagen, dann lege ich noch etwas drauf, damit die Banken überhaupt bereit sind, ihre Staatspapiere, zum Beispiel deutsche Staatspapiere, an die EZB zu verkaufen. Ob das funktioniert, ob man die Papiere abgibt, das bleibt abzuwarten.
    Heinemann: Klingt nach einem guten Geschäft für die Banken.
    Halver: Ja. Die Banken wollen aber auch sicherlich die letzten Hochprozenter, die sie haben im Depot, nicht abgeben. Was nutzt es ihnen, jetzt Liquidität zu bekommen, Geld zu bekommen und mit dem Geld dann neue Staatspapiere zu kaufen, die sich aber nicht mehr so hoch rentieren? Ich bezweifele, dass man so viele Staatspapiere aufkaufen kann.
    Heinemann: Aber 60 Milliarden müssten zusammenkommen?
    Banken haben "zu viele schlechte Kredite"
    Halver: Das warten wir mal ab. Die EZB hat ja gesagt, sie will nicht nur Staatspapiere kaufen, sondern auch Unternehmensanleihen, also diese typischen Bankkredite. Nur das Problem wird natürlich sein, erst wenn ich diese Komponente aufkaufe, werden die Banken auch neue Kredite geben, denn sie haben ja kein Problem, dass die Zinsen zu niedrig sind oder dass sie zu viele gute Staatspapiere im Depot haben. Das Problem ist, sie haben zu viele schlechte Kredite. Die würden sie am liebsten der EZB verkaufen, damit die EZB das Ausfallrisiko aufnimmt.
    Heinemann: Kann die EZB denn auswählen, die einen Schuldscheine nehmen wir, die anderen nicht?
    Halver: Die EZB hat einen gewissen Schlüssel. Sie muss vor allen Dingen deutsche Papiere kaufen, weil Deutschland der größte Partner der EZB ist, der größte Beteiligungspartner der EZB ist. Aber andere Länder werden auch gekauft, Portugal, Italien, Spanien. Aber der Schlüssel muss eingehalten werden, dass man einigermaßen auch dann die Marktmacht an den Rentenmärkten gewährleisten kann.
    Heinemann: Herr Halver, Sie haben die Politik der EZB in einer Kolumne so beschrieben: "Mit einem tropenähnlichen Liquiditätsregen sollen die konjunkturellen Trockengebiete der Eurozone in blühende Landschaften verwandelt werden." Das ist gemeißelte Prosa, herzlichen Glückwunsch! Das wichtigste Wort ist, glaube ich, das Wort "sollen". Wird das funktionieren?
    Halver: Das ist zu bezweifeln. Das Problem ist: Die Banken haben ein Problem mit den schlechten Krediten: alte Immobilienkredite, Kredite aus der hohen Zeit der Immobilienblase bis zur Lehman-Pleite. Die würde man gerne los werden. Dann ist man bereit, neue Kredite zu geben. Warum sollte man neue Kredite geben, wenn man schon randvoll ist mit alten schlechten. Und ich befürchte, dass die EZB im Laufe des Jahres immer stärker sich auch daran macht, die alten Kredite aufzukaufen. Nur dann wird die EZB früher oder später zur Mülldeponie dieser alten Kredite. Das ist nicht ihre Aufgabe. Da nimmt sie den Banken das Ausfallrisiko ab. Aber wenn es sein soll, was kostet es was wolle, dass die Banken mehr Kredite geben, wird sie an diesem Weg früher oder später nicht vorbei kommen. Nur weil ich mehr Geld habe, gebe ich nicht mehr Kredite, wenn ich weiß, dass mein Gegenüber, das Unternehmen oder die Privatperson, nicht von der Bonität her okay ist.
    Heinemann: Nebenbei bleibt noch die juristische Gretchenfrage: Wie hält es Mario Draghi mit dem Verbot der Staatsfinanzierung? Oder einfacher gefragt: Darf der das?
    "Was nicht passt, wird passend gemacht."
    Halver: Ach wissen Sie, wir wissen ja alle, wie es in der Europäischen Union läuft: Was nicht passt, wird passend gemacht. Das hat man immer so geregelt. Und die Gerichte haben ja eigentlich grünes Licht gegeben, weil sie genau wissen, wenn die EZB übersetzt mit einer Zahl bestimmt nicht eingreift, dann hat die Eurozone ein Problem. Wir leben ja in einer Welt, die von der Zentralbank, der EZB gesteuert ist. Wenn sie nicht steuern würde, würde sich die Existenzfrage der Eurozone stellen. Also lieber dann diesen Rechtsbruch als einen Bruch der Eurozone.
    Heinemann: Herr Halver, die Zinsen - das liest man immer wieder oder das wissen wir - sind im Keller, und man liest immer wieder, billiges Geld ist reichlich vorhanden. Wieso pumpt die EZB jetzt noch mehr Geld in den Markt?
    Halver: Weil die Banken bis jetzt nicht neue Kredite gegeben haben. Wir brauchen noch mehr Stoff, um es so auszudrücken, noch mehr Geld, noch mehr Liquidität, um dann doch vielleicht einen Gedanken, eine gedankliche Leistung zu vollbringen bei den Banken, wir geben mehr Kredite. Aber Sie haben vollkommen Recht: Die Zinsen können noch so niedrig sein, warum sollte ich einen Kredit geben, wenn ich die Angst habe, dass ich mein Geld im Sinne einer Darlehensausgabe nicht zurück bekomme. Das ist das Problem. Wir machen in der Eurozone ja keine Reformen mehr. Das ist ja das Problem. Wir hatten Reformen gemacht in Deutschland, aber die Euro-Südzone macht keine Reformen, und ohne Reformen wird es nicht funktionieren, dass die Banken mehr Kredite geben.
    Heinemann: Und wenn sie jetzt mehr Kredite gäben, wenn sie das Geld um jeden Preis hinaushauen, das könnte ja Begehrlichkeiten wecken. Baut sich zurzeit dann mit freundlicher Unterstützung der EZB die nächste Blase auf?
    Halver: Ja. Wir haben auf jeden Fall den Weg in die Blase. Wir haben heute schon die größte Blase aller Zeiten: Das ist die Anleihenblase, also die Blase am Rentenmarkt, alles was mit Zinsvermögen zu tun hat. Wir haben Zinsen, die ultra niedrig sind, viel zu hohe Kurse. Man könnte es auch ganz plastisch sagen: Die EZB hat uns Deutschen eine gesamte Anlageklasse geklaut, weil die Zinsen immer weiter sinken, und ich könnte mir vorstellen, dass wir noch in Deutschland auch bis zehn Jahre Laufzeit deutscher Staatspapiere negative Renditen bekommen. Das sind Zeiten, da hätte ich vor sieben Jahren nie dran gedacht.
    Heinemann: Und wer steht am Ende im Regen?
    Halver: Der Sparer verliert. Er verliert jeden Tag, weil er feststellt, er bekommt keine vernünftigen Zinsen mehr. Bei Inflation bleibt nicht nur nichts mehr übrig; er verliert sogar in seiner Substanz. Das heißt: Wer spart, ist heute der Dumme.
    Heinemann: Eine Begründung dieser Politik lautet ja: Was die US-Notenbank kann, das können wir auch. Hat das geklappt in den USA?
    "Die EZB wird nachlegen müssen."
    Halver: In den USA hat es lange, lange Zeit gebraucht, bis es geklappt hat, über drei Jahre, und die haben auch zweimal ihr Liquiditätsaufkaufprogramm, ihr Anleiheprogramm verlängert. Ich denke, auch die EZB wird nachlegen müssen. Aber die Amerikaner haben eins gemacht, was die Eurozone insgesamt nicht gemacht hat: Reformen. Sie haben dafür gesorgt, dass sie wieder etwas mehr Industrienation werden, dass sie in Logistik, in Brücken, in Straßen investieren. Das macht die Eurozone leider nicht. Man denkt, ohne Reformen sich durchschummeln zu können. Von daher ist Herr Draghi der Erfüllungsgehilfe reformfauler Europolitiker. Und wenn hier keine Reformen gemacht werden, wenn also auch Verwaltungswesen, Arbeitsmärkte nicht dereguliert werden, wenn sich auch die Bürokratie weiter fortsetzt, dann werden wir ein Problem haben.
    Man muss zwei Dinge machen: Geld reinpumpen, die Zinsen niedrig halten, ist in Ordnung. Aber die Basis, auch der Nährboden muss dafür da sein, und der Nährboden heißt, Reformen vor allen Dingen in die Wettbewerbsfähigkeit. Wettbewerbsfähigkeit hat Deutschland groß gemacht. Wir können nicht jetzt davon ausgehen, dass wir einfach mit billigem Geld und neuen Schulden die Eurowelt retten. Das wird nicht funktionieren.
    Heinemann: Verwandelt Draghi den Euro in eine Weichwährung?
    Halver: Definitiv! Das würde er niemals zugeben. Aber je billiger der Euro ist, desto besser haben es unsere europäischen Exportkonzerne. Das ist ganz klar. Und wir haben ja jetzt schon einen weltweiten Währungsabwertungswettlauf. Die Japaner machen es vor, die Chinesen werden mittlerweile immer unruhiger, weil ihre Währung zu stark wird. Wenn jedes Land der Welt versucht, seine eigene Währung irgendwo zu drücken, dann bekommen wir noch mehr Liquidität in die Märkte, und die von Ihnen angesprochenen Blasen werden noch mehr zunehmen. Und das heißt für mich, die Notenbanken werden nie mehr restriktiv werden können, denn würden sie restriktiv werden, wäre das so, als würden Sie auf der Autobahn einbahnstraßenorientiert auf einmal umkehren. Es kommt zum Crash und den können wir uns nicht mehr erlauben.
    Heinemann: Das klingt nicht gut, genau. - Wenn es ums Geld geht, dann spielt die Musik am lautesten nach wie vor in den USA. Heute werden die monatlichen Arbeitsmarktzahlen veröffentlicht. Mit welchem Ergebnis rechnen Sie?
    Halver: Ich glaube schon, dass der Arbeitsmarkt sich weiter gefestigt hat. Aber man sollte daraus nicht herleiten, dass die US-amerikanische Notenbankpräsidentin Yellen dann über die Zinswende jetzt konkret nachdenkt, weil Amerika hat auch Angst davor, dass der Dollar zu stark wird, wenn die Zinsen zu stark ansteigen. Dann wäre Amerika der Leidtragende der Währungsabwertungswettläufe der anderen Notenbanken.
    Heinemann: Wie werden die Börsen darauf reagieren?
    Halver: Die Börsen werden darauf gemischt reagieren, aber die Börsen werden längerfristig jetzt in den nächsten Tagen sagen, Frau Yellen als Schlangenfrau, die sich dreht und wendet, um auch ja dann doch nicht die Zinsen zu erhöhen, obwohl sie es ja vor anderthalb Jahren gesagt hat. Ich glaube, die Börsen werden sich immer mehr darauf fokussieren zu sagen, dass auch Amerika keine Zinswende macht, sondern nur ein Zinswändchen.
    Heinemann: Robert Halver, der Leiter der Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank. Danke schön für das Gespräch zur frühen Stunde und Ihnen einen guten Tag.
    Halver: Das wünsche ich Ihnen auch. Herzlichen Dank.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.