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EZB-Niedrigzinspolitik
Risikokredite für Schuldenländer

Spanien, Italien, Portugal, Griechenland und Frankreich haben Schuldenquoten von über 90 Prozent und eine Stimmenmehrheit im EZB-Rat. Ein sehr hohes Risiko, warnte der Ökonom Thomas Mayer im Dlf. Denn die Bundesbank habe 860 Milliarden Euro Kredite eingeräumt, um dort Zahlungsbilanzdefizite zu finanzieren.

Thomas Mayer im Gespräch mit Dirk Müller | 07.09.2017
    Italien: Blick vom Piazzale Michelangelo auf die Altstadt von Florenz.
    Krise? Welche Krise? Südeuropäische Zentralbanken haben rund 860 Milliarden Euro erhalten, um Zahlungsbilanzdefizite zu finanzieren. Diese Kredite seien mit hohem Risiko behaftet, mahnt Finanzexperte Thomas Mayer. (Daniel Kalker / dpa)
    Dirk Müller: Mario Draghi und die null Zinsen, die Null-Zins-Politik - unser Thema nun mit Thomas Mayer, viele Jahre lang Chefökonom der Deutschen Bank. Jetzt leitet er das Forschungsinstitut der Investmentgesellschaft Flossbach von Storch. Guten Tag!
    Thomas Mayer: Guten Tag.
    Müller: Herr Mayer, ist Mario Draghi inzwischen die Krise?
    Mayer: Ja. Er hat uns natürlich Nebeneffekte beschert, mit denen wir ziemlich zu kämpfen haben. Die Banken leiden unter der Null-Zins-Politik. Die Vermögenspreise steigen, Immobilienpreise klettern in die Höhe, die Aktien sind hoch bewertet. Wir berechnen in unserem Institut einen Vermögenspreis-Index für Deutschland und kommen zu dem Schluss, dass die Vermögenspreis-Inflation in Deutschland bei 7,7 Prozent liegt, also deutlich über der Konsumentenpreis-Inflation, auf die die EZB schaut.
    "Wer jetzt etwas mit Ersparnissen kaufen will, schaut in die Röhre"
    Müller: Da muss ich als Laie jetzt noch einmal nachfragen. Vermögenspreis-Indikatoren oder Indikation. Das heißt, das ist alles etwas zu hoch bewertet?
    Mayer: Die Preise sind sehr stark gestiegen, Immobilien sind sehr hoch bewertet. Das kann man nachvollziehen, wenn man den Immobilienpreis in Bezug zu den Mieten setzt. Die Aktien sind hoch bewertet. Bei anderen Dingen, die wir auch in unserem Preisindex haben, Kunstgegenstände, Oldtimer und so weiter, gutem Wein, die Bewertung können Sie da nicht feststellen. Aber was wir feststellen können und sehen ist, dass die Preise all dieser Objekte enorm steigen.
    Müller: Jetzt gibt es ja viele, die Draghi nach wie vor verteidigen, Aktienbesitzer zum Beispiel, die jetzt gute Geschäfte gemacht haben, Investmentfonds vielleicht ja auch, weil sehr, sehr viel Geld dann in die Aktienmärkte gegangen ist. Es gibt auch viele Gewinner?
    Mayer: Es gibt diejenigen, die Besitz haben. Diejenigen aber, die Besitz erwerben wollen, die mit ihren Geldersparnissen etwas kaufen wollen, um dann in der Zukunft davon profitieren zu können, die schauen in die Röhre.
    Müller: Die Sparer ebenfalls?
    Mayer: Ja, richtig. Die Leute, die Geldersparnisse haben, die sind benachteiligt. Unsere Untersuchungen haben auch gezeigt, dass die Politik der EZB, die Niedrigzins-Politik insbesondere denen gibt, die schon was haben. Da ist das natürlich schön. Ich sehe, dass mein Haus im Preis steigt. Da kann ich vielleicht noch mal eine zweite Hypothek drauf aufnehmen und mir was anderes kaufen. Ich sehe, dass mein Aktienportfolio steigt. Wenn ich jetzt aber jung bin und jetzt anfange zu sparen für die Altersversorgung, wenn ich anfange zu sparen für eine Wohnung, für ein Haus, das läuft mir alles davon.
    "Auch eine Politik für diejenigen, die viel Schulden haben"
    Müller: Aber würden Sie sagen, Herr Mayer, Mario Draghi macht demnach, wenn ich Sie richtig verstanden habe, Politik für die Besitzenden?
    Mayer: Ja, es ist ein starker Umverteilungseffekt da zu sehen bei der EZB-Politik.
    Müller: Und warum machen da alle im Vorstand mit?
    Mayer: Er macht auch eine Politik für diejenigen, die viel Schulden haben. Das darf man auch nicht übersehen. Und viele Schulden haben die Südländer, Spanien, Italien, Portugal, Griechenland sowieso. Die haben alle Schuldenquoten über 90 Prozent - übrigens Frankreich auch. Und die profitieren natürlich davon, dass sie diese Staatsschulden jetzt sehr, sehr billig finanzieren können. Ohne Draghi wäre das nicht möglich. Die südlichen Länder haben eine Stimmenmehrheit im EZB-Rat. Deshalb ist es sehr schwierig für die EZB, aus dieser Situation herauszukommen.
    Starke Politisierung des Zentralbankrats seit der Eurokrise
    Müller: Aber damit macht er Interessenpolitik?
    Mayer: Der EZB-Rat hat sich leider stark politisiert. Es war ja ursprünglich mal gedacht, dass da Leute hinkommen, die nur im Blick auf das große Ganze, auf die Eurozone entscheiden würden. Man hat aber da auch schon in der Zusammensetzung im Grunde genommen die Politik hineingebracht. Jeder nationale Zentralbank-Präsident hat natürlich auch sein Umfeld im Blick. Und seit der Eurokrise ist es natürlich stark politisiert im Zentralbankrat.
    Müller: Aber wie kann das denn sein, Herr Mayer, dass gerade die Deutschen, die das ja anders sehen, auch Jens Weidmann ja offenbar als Chef der Bundesbank, das Ganze dann mittragen und nicht sagen, jetzt ist Schluss?
    Mayer: Na ja. Ich meine, er trägt es mit, aber er stimmt ja dagegen. Insofern trägt er es bedingt mit. Er bringt seine Stimme ein und sagt, er ist nicht für die Fortsetzung dieser Niedrigzins-Politik. Die Alternative wäre ja für ihn zurückzutreten. Das hat ja der Jürgen Stark gemacht, ehemaliger Chefvolkswirt der EZB, in gewisser Weise Axel Weber, der nicht den Chefposten angetreten hat, weil sie dachten, die beiden, vermute ich mal, sie können diese Politik nicht tragen. Weidmann hat sich entschieden, drin zu bleiben und aber seine Stimme dagegen einzusetzen. Das ist wahrscheinlich produktiver, als einfach wegzugehen.
    "Die langsamsten Schiffe im Geleitzug zu unterstützen"
    Müller: Sie haben eben ja im Grunde dieses Gewicht der Südeuropäer im Rat der Europäischen Zentralbank ja charakterisiert. Könnte man so weit gehen, in der Interpretation zu sagen, dass die Südeuropäer die Mehrheit dort haben, ist fatal für die Entwicklung der europäischen Finanzstabilität?
    Mayer: Na ja, es hat halt der Politik der EZB eine bestimmte Ausrichtung gegeben. Die EZB-Politik ist ausgerichtet darauf, die langsamsten Schiffe im Geleitzug zu unterstützen. Das bedeutet momentan die hoch verschuldeten und im Falle Italiens natürlich immer noch schwach wachsenden Länder.
    "Gut gemeinte Unterstützung führt dazu, dass man sich zurücklehnt"
    Müller: Die deswegen weniger Reformen machen, weil sie alles abgekauft bekommen, was sie anbieten?
    Mayer: Genau das ist das Problem. Die gut gemeinte Unterstützung führt aber auch dazu, dass man sich dann zurücklehnt. Nehmen Sie den früheren italienischen Premierminister Renzi, der jetzt will, dass Italien ein Defizit fährt, das knapp bei drei Prozent des BIP liegt. Damit wäre er eigentlich innerhalb des Stabilitäts- und Wachstumspakts. Aber diese drei Prozent des BIP sind natürlich sehr schön gerechnet durch die niedrigen Zinskosten, die entstehen, dadurch, dass die italienischen Staatsanleihen in der Rendite durch die EZB gedrückt werden. So wird Verschuldung möglich gemacht und die hohe Verschuldung macht aber wieder den Ausstieg aus dem Zinstal schwierig, weil die hoch verschuldeten Staaten dann drohen zu kippen, wenn die Zinsen steigen.
    "Man ist Franzose und ist deshalb etwas Besonderes"
    Müller: Oder man ist Franzose und hat ohnehin nicht den Anspruch, die drei Prozent in irgendeiner Form zu unterschreiten.
    Mayer: Oder man ist Franzose und ist deshalb etwas Besonderes, wie der Kommissionspräsident Juncker mal sagte.
    Müller: Hat er wirklich gesagt, haben wir auch alle gehört. Viele haben sich darüber gewundert. Wie kann das sein? Das heißt ja, dass die ganzen Kontrollverfahren, auch der Maastricht-Vertrag ja gar nicht funktioniert.
    Mayer: Das ist ein großes Problem, das wir in unterschiedlicher Weise auf die Regeln schauen, die wir vereinbart haben. Aus deutscher Sicht neigen wir dazu, die Regeln als verbindlich zu halten. Das hat man so auch hier im Alltagsleben bei Verträgen gelernt. Aus französischer Sicht sind diese Regeln aber auch anpassungsfähig - dahin, um politische Ziele zu erreichen. Und diese unterschiedliche Sichtweise führt immer wieder zu Missverständnissen. Das hat übrigens auch dazu geführt, dass die Verträge auch schwammig formuliert sind, sodass man auch die unterschiedlich auslegen kann. Es ist sogar schwierig, die von einer Sprache in die andere zu übersetzen, weil da auch unterschiedliche Bedeutungen dabei sind. Da ist sehr viel sozusagen im Graubereich.
    "Wir stehen sehr hoch im Risiko"
    Müller: Wir haben jetzt nur noch eine gute halbe Minute. Ich möchte das trotzdem noch fragen. Das heißt, das alles, was Sie jetzt beschrieben haben, ist dennoch auch unser geteiltes Risiko?
    Mayer: Ja, klar! Wir stehen sehr hoch im Risiko, insbesondere dadurch, dass wir über die Bundesbank durch das TARGET2-System den südeuropäischen Zentralbanken Kredite von ungefähr 860 Milliarden Euro eingeräumt haben, um dort Zahlungsbilanzdefizite zu finanzieren. Das ist momentan eigentlich unser größtes Finanzrisiko, viel größer als das, was wir über den ESM, den Europäischen Stabilitätsmechanismus an Griechenland geliehen haben.
    Müller: Thomas Mayer bei uns im Deutschlandfunk, viele Jahre Chefökonom der Deutschen Bank, jetzt Leiter des Forschungsinstituts bei der Investmentgesellschaft Flossbach von Storch. Danke, dass Sie für uns Zeit gefunden haben.
    Mayer: Danke!
    Müller: Ihnen einen schönen Tag.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.