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Fachkräfte ohne Abschlüsse
Anerkennung von Qualifikationen muss einfacher werden

Laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung arbeitet in Deutschland jeder Fünfte in einem Job, für den er formal nicht ausgebildet ist. Das bedeute im Schnitt zehn Prozent weniger Lohn, sagte der Arbeitsmarktforscher Frank Frick im Dlf. Die Anerkennung der Fähigkeiten dieser Menschen müsse einfacher werden.

Frank Frick im Gespräch mit Stephanie Gebert | 25.01.2018
    Ausbildungsmeister Karl Schomaker (r) erklärt dem Spanier Daniel Marín Carmona am Donnerstag (19.04.2012) in einer Werkshalle der Firma Hermann Paus Maschinenfabrik GmbH in Emsbüren (Landkreis Emsland) die Funktionen eines Bergfahrzeugs. Im Kampf gegen den Fachkräftemangel startet das Wirtschaftsbündnis Ems-Achse eine internationale Ausbildungsinitiative.
    Vielfach arbeiten Menschen ohne formale Qualifikationen tatsächlich als Fachkräfte. (picture alliance / dpa)
    Stephanie Gebert: Quereinsteiger sind ein Beispiel, also etwa die Buchhändlerin, die jetzt ein eigenes Café aufmacht, oder der Pfleger, der Medizinprodukte verkauft – beides Beispiele dafür, dass viele Arbeitskräfte mal etwas gelernt haben, was nicht zu den formalen Anforderungen ihres aktuellen Jobs passt. Eine Studie der Bertelsmann Stiftung hat untersucht, dass in Deutschland überraschend viele Arbeitnehmer unterqualifiziert sind: Mehr als jeder Fünfte, heißt es da, hat einen Job, für den er formal nicht die richtigen Voraussetzungen mitbringt. Frank Frick ist Arbeitsmarktforscher bei der Bertelsmann Stiftung. Ich grüße Sie!
    Frank Frick: Guten Tag, Frau Gebert!
    "Manch ein hochkompetenter Mensch hat einen sehr guten Karriereweg gefunden"
    Gebert: Ihre Untersuchung hat ein noch größeres Ungleichgewicht ans Tageslicht gebracht. Eine Zahl habe ich jetzt genannt, aber es geht auch um Arbeitnehmer, die ungelernt sind, also keine Ausbildung haben.
    Frick: Ja, das ist ganz interessant, weil wir haben festgestellt, dass 54 Prozent derer, die formal keine Berufs- oder Hochschulausbildung abgeschlossen haben, trotzdem in Tätigkeiten arbeiten, die man als Fachkrafttätigkeit bezeichnen kann. Das heißt, da sind Menschen, die zwar nicht das Bildungszertifikat, aber eine Menge Kompetenzen besitzen.
    Gebert: Gibt es einen typischen Weg, wie diese Arbeitskräfte in diese Situation sozusagen hineinkommen, hineinrutschen?
    Frick: Also die Wege, warum Menschen keine Zertifikate haben, sind vielfältig, aber Sie haben eben den Pfleger genannt, der heute Regionalleiter bei dem Vertrieb von Medizinprodukten ist, der hatte Prüfungsangst und konnte deswegen sein Medizinstudium gar nicht aufnehmen beziehungsweise gar nicht abschließen, ist aber ein hochkompetenter Mensch und hat einen sehr guten Karriereweg gefunden. Das ist eine Möglichkeit, es gibt aber auch manchmal Schicksalsschläge, warum Menschen ihre Ausbildung abbrechen müssen, oder aber - ein ganz anderer Fall - man hat einen Abschluss, muss aber, aus welchen Gründen auch immer, in ein anderes Metier wechseln, und dann bringt man natürlich auch nicht die erforderliche Qualifikation mit.
    Gebert: Die sind aber trotzdem nicht ungeeignet diese Kräfte, weil sie sich ihre Fertigkeiten, ihre Fähigkeiten beim training on the job sozusagen holen.
    Frick: Genau, das passiert. Offensichtlich können diese Menschen dann im betrieblichen Einsatz zeigen, dass sie nicht nur lernwillig und lernbereit sind, sondern sie punkten eben einerseits mit hohem Engagement, aber eben auch - und das zeigen die Untersuchungen, die wir darüber hinaus gemacht haben -, dass sie sehr, sehr hohe Kompetenzwerte haben, die zum Beispiel bei Lesen, IT-Kenntnisse, Mathematik höher sind als die der gelernten Fachkräfte, neben denen sie arbeiten.
    "Keinen Nachweis für das Gelernte"
    Gebert: Aber Sie zeigen auch auf, was das für die Arbeitnehmer für Nachteile mit sich bringt.
    Frick: Ja, wenn man nämlich auf den Geldbeutel guckt. Im Durchschnitt sind es fast zehn Prozent Lohnabschlag, die diese Menschen in Kauf nehmen gegenüber Menschen, die dieselbe Tätigkeit neben ihnen machen, aber eben das formale Bildungszertifikat, also beispielsweise den Gesellenbrief haben. Was aber noch viel schlimmer ist: Wenn es dann mal zu Arbeitgeberwechseln beispielsweise wegen Konkurs einer Firma kommt, haben die eben kein Bildungszertifikat, um sich mit dem bewerben zu können. Das heißt, sie haben zwar viel gelernt, aber sie haben keinen Nachweis dessen. Das führt zum Beispiel dazu, dass Bewerbungen von diesen Kandidaten schon mal im Bewerbungsverfahren sofort aussortiert werden, weil sie eben den formalen Bildungsabschluss gar nicht mitbringen.
    Gebert: Das klingt jetzt für die Arbeitgeber vielleicht erst mal nach einer guten Nachricht. Ich habe da sehr erfahrene, sehr motivierte Arbeitnehmer, denen ich aber weniger zahlen muss. Sie sagen in Ihrer Studie und als Folge dieser Untersuchung auch, eigentlich sollten die Arbeitgeber aber ein Interesse daran haben, dass es da eine Änderung, eine Anerkennung der Fähigkeiten gibt. Warum?
    Frick: Erst mal kann das erste Interesse von Arbeitgebern ja nicht sein, weniger zu zahlen, auch wenn das vielleicht kurzfristig interessant sein kann. Das Wichtigste in Zeiten von Fachkräftemangel ist, die richtigen Menschen mit den entsprechenden Kompetenzen zu finden, und den beruflichen Abschluss formal vorzeigen zu können, ist ja nur ein Indiz dafür, dass Leute das können, und da ist es dann interessant für Arbeitgeber, diese Menschen auch entdecken zu können. Jetzt muss man sich in dem Bildungssystem Deutschland natürlich fragen, wie finde ich die denn, wenn ich eben nicht reinschreiben kann, ich suche den Gesellen Y, weil es ja viel schwerer ist, solche Leute dann überhaupt zu entdecken. Aus Sicht der Arbeitgeber müsste es die Möglichkeit geben, dass diese Menschen ihre informell erworbenen Kompetenzen, also das, was sie on the job, privat, in Weiterbildungen gelernt haben, auch formal zertifizieren können als Teilqualifikation eines Berufs, aber das muss man irgendwie transparent machen, das muss man zertifizieren, und dann können solche Leute beim Jobwechsel sich genau mit diesen Zertifikaten eben auch bewerben, und Arbeitgeber können dann auch sehen, was die Menschen können.
    "Vieles gelernt, aber keine formalen Zertifikate"
    Gebert: Wie könnte denn so eine Anerkennungskultur von Fähigkeiten und Qualifikationen ganz konkret aussehen?
    Frick: Also stellen Sie sich vor, wir hatten vor wenigen Jahren den Fall in Bochum, da machte ein großes Automobilwerk zu, da sind viele Menschen, die haben vielleicht mal das eine oder andere gelernt, aber haben dann in Kfz-Gewerbe und in der Industrie ganz andere Dinge gemacht. Die haben da 20 Jahre gearbeitet, haben eine Menge Dinge gelernt, aber haben keine formalen Zertifikate. Jetzt wäre der erste Schritt doch, dass man denen die Möglichkeit gibt, Prüfungen abzulegen, über die Teile beispielsweise in einem bestimmten Kfz-Mechatronikberuf, die sie können und ihnen dann zu zertifizieren, dass von einem bestimmten Beruf sie 60 Prozent schon können, und ihnen dann in der Übergangsphase, also bei einer Transfergesellschaft, die Möglichkeit geben, in sechs Monaten die anderen Teile zu lernen, eine Prüfung zu machen, und dann haben sie den Gesellenbrief in der Tasche. Solche Wege gibt es bis heute noch nicht, tut aber absolut not, damit Arbeitnehmer heutzutage eben auch die Chance haben, in der flexiblen Arbeitswelt auch andere berufliche Karrieren einschlagen zu können.
    Gebert: Frank Frick von der Bertelsmann Stiftung über die Qualifizierung von Arbeitnehmern und die Anerkennung ihrer informell erworbenen Fähigkeiten. Danke für das Gespräch!
    Frick: Gerne, Frau Gebert!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.