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Fachkräftemangel
Ablöse für Auszubildende?

Lehrlinge sind begehrt. Viele haben nach der Ausbildung gute Chancen, übernommen zu werden. Sie werden aber auch von anderen Unternehmen umworben, was für den auszubildenden Betrieb bedeutet: Er hat viel Geld in den Sand gesetzt. Könnte hier ein Ausgleich durch eine Entschädigungszahlung helfen?

Von Niklas Potthoff | 19.06.2019
Eine Tischlerin schneidet ein Stück Holz zu.
Eine Tischerlin bei der Arbeit (picture alliance / dpa / Horst Ossinger)
Die Tischler-Azubis fräsen fleißig. 10 von ihnen werden bei einem Lehrgang in Köln tagelang geschult, wie Jan Kohl. Er ist im letzten Jahr seiner Ausbildung. Es sei hart, mache aber Spaß, sagt er. Langsam muss er sich Gedanken über seine Zukunft machen. Eine häufige Frage dabei: Den Ausbildungsbetrieb wechseln – oder bleiben?
"Ich bin jetzt in einem kleinen Betrieb, deswegen würde ich wahrscheinlich wechseln, um bei einem größeren Arbeitgeber arbeiten zu können. Aber wenn mein Arbeitgeber mir das schmackhaft macht, dann würde ich auch da bleiben."
Headhunter für Azubis
Mehr als 1,3 Millionen Menschen in Deutschland absolvieren derzeit eine Ausbildung. Die einen sind am Ende froh, beim Betrieb bleiben zu können. Andere wollen weg - etwa, weil es zwischenmenschlich hakt, oder, weil ihnen lukrative Angebote vorliegen. Handwerksauszubildende sind stark begehrt, werden immer häufiger abgeworben. Für Hans-Peter Wollseifer, Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, eine bedenkenswerte Entwicklung:
"Wenn Auszubildende mittlerweile sogar über Headhunter abgeworben werden, sollten wir uns letztlich auch mal darüber Gedanken machen, wie wir ausbildende Betriebe unterstützen können."
Investieren, um dann mit leeren Händen dazustehen?
Während einer dreijährigen Ausbildung zahlen Betriebe nämlich laut dem Bundesinstitut für Berufsbildung im Schnitt mehr als 15.000 Euro drauf – auch wenn die Azubis mit der Zeit immer mehr Aufgaben übernehmen können.
Deshalb schlug Wollseifer kürzlich Entschädigungszahlungen für Betriebe vor, die ihre Azubis direkt nach der Ausbildung verlieren. Zahlen könnte diese Entschädigung beispielsweise das Unternehmen, welches den Azubi abwirbt.
Schnell war in den Medien von einer Ablösesumme für Azubis die Rede. Der Vorschlag stieß auf Kritik – zum Beispiel beim Deutschen Gewerkschaftsbund. Vorstandsmitglied Stefan Körzell:
"Es geht nach dem Berufsbildungsgesetz nicht und wir haben die Berufswahlfreiheit nach dem Grundgesetz."
Lehrlinge befürchten, dass man dann auf Jahre an den Ausbildungsbetrieb gebunden wäre. Hans-Peter Wollseifer betont, dass das nicht so sein soll:
"Es geht nicht darum, Auszubildende zu binden, dass sie also mehrere Jahre nach der Ausbildung im Betrieb bleiben müssen. Es geht darum, dass ausbildende Betriebe entlastet werden. Dass man sie entlastet von Regulatorik und Bürokratie, aber vor allem von den hohen Kosten, die sie eingehen und aufwenden."
Ein solidarisches Prinzip als Alternative
Auch der deutsche Gewerkschaftsbund will grundsätzlich eine Entlastung der Betriebe. Körzell präferiert jedoch ein anderes Modell: Die Ausbildungsumlage, bei der alle Betriebe in einen Topf zahlen.
"Dort wird die Ausbildung der jungen Menschen solidarisch finanziert, und da sind dann alle Betriebe beteiligt egal ob sie ausbilden ja oder nein, in den Umlagetopf muss jeder Betrieb zahlen."
Für Wollseifer ist das nicht zielführend:
"Wir wollen keine Ausbildungsumlage weil da die ausbildenden Betriebe ja nochmal bestraft werden, weil sie dann nochmal in den Topf einzahlen müssten, das wollen wir auf gar keinen Fall."
Nachdem die Zahl der Auszubildenden im Handwerk jahrelang im Sinkflug war, gab es zuletzt wieder einen leichten Anstieg. Jetzt müssen Wege gefunden werden, die Ausbildung attraktiv zu machen – sowohl für Lehrlinge, als auch für Betriebe.
Azubis selbst geht es nicht nur um Geld
Wollseifer hält es für möglich, noch in diesem Jahr gemeinsam mit der Politik konkrete Vorschläge zu erarbeiten. Dann soll auch erläutert werden, wer für eine mögliche Entlastung der Betriebe aufkommt.
Jan Kohl wird das nicht mehr betreffen. Im Januar beendet er seine Ausbildung als Tischler. Viele Lehrlingskollegen erzählen von Schwierigkeiten bei der Ausbildung. Oft herrsche im Handwerk auch ein rauer Umgangston. Damit mehr Azubis bei ihren Betrieben bleiben, brauche es Jan zufolge gar nicht mal unbedingt finanzielle Anreize, sondern lieber grundlegende soziale Aspekte:
"Vielleicht mehr Teambuilding, mehr Aktivitäten die auch außerhalb der Arbeit stattfinden, dass man sich auch mal auf einem normalen Level und nicht immer nur unter Druck und Zeitstress begegnet."