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"Fahrplan in das Zeitalter der erneuerbaren Energien"

Noch nie zuvor habe es ein Programm gegeben, das so anspruchsvoll, klimaverträglich und effizient sei, sagt Bundesumweltminister Norbert Röttgen über den Energiekompromiss.

Norbert Röttgen im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 08.09.2010
    Tobias Armbrüster: Die Bundesregierung hat am vergangenen Sonntag ihr Energiekonzept auf den Weg gebracht. Ende September soll es offiziell beschlossen werden. Aber es vergeht kein Tag ohne Kritik, jetzt schon. Gegner werfen der Regierung vor, sie begünstige die Atomwirtschaft und schade dem Ausbau erneuerbarer Energien sowie Solar- und Windkraftanlagen. In der Kritik steht vor allem der Bundesumweltminister, Norbert Röttgen, denn er hatte sich ursprünglich für eine andere Lösung stark gemacht.

    Am Telefon begrüße ich den Bundesumweltminister. Schönen guten Morgen, Norbert Röttgen.

    Norbert Röttgen: Guten Morgen, Herr Armbrüster.

    Armbrüster: Herr Röttgen, wieso haben Sie so wenig Rückhalt in der Koalition?

    Röttgen: Ich habe sehr viel Rückhalt, denn mir alleine wäre es nicht gelungen, so viel an konkreten Maßnahmen, so langfristig auch so viel an Geld für erneuerbare Energien und Energieeffizienz rauszuholen. Das ist noch keinem Umweltminister gelungen und mir ist es nicht allein gelungen, sondern das ist der gesamten Regierung gelungen, nicht zuletzt auch mit der Unterstützung des Bundesfinanzministers.

    Armbrüster: Warum gelten Sie dann als der große politische Verlierer in diesem Kompromiss?

    Röttgen: Ich glaube, dass das schlicht falsch ist. Diejenigen, die das behaupten mögen, haben dann das Entscheidende, das Herzstück des energiepolitischen Programms offensichtlich nicht zur Kenntnis genommen. Das ist das anspruchsvollste, klimaverträglichste, effizienteste, langfristigste Energieprogramm, das es je gegeben hat. Und noch mal: Es hat noch nie einen Umweltminister gegeben, der Vergleichbares in einer Regierung durchgesetzt hat.

    Armbrüster: Aber wenn wir jetzt mal über die AKW-Laufzeiten sprechen, da hat Ihre Amtskollegin in Baden-Württemberg, Tanja Gönner, mit Zufriedenheit gesagt, dass Sie, Herr Röttgen, sich nicht durchgesetzt haben.

    Röttgen: Das Thema macht zehn Prozent von Energie aus, aber es gehört dazu mit zehn Prozent. Ich habe im Vorfeld eine Position bezogen, die klar gemacht hat: Brückentechnologie. Acht bis zehn Jahre war so mein Korridor als Laufzeit. Andere haben 20, 28 Jahre, unbefristete Laufzeiten vorgeschlagen. Nun muss ich erstens sagen, die ältesten sieben bleiben noch acht Jahre am Netz. Das ist also exakt das, was ich auch als Vorstellung hatte. Wir haben einen Durchschnittswert von zwölf Jahren. Ich finde eigentlich, dass zwölf Jahre deutlich näher an acht bis zehn liegt als an 20 bis 28. Dass am Ende ein Kompromiss kommt, dass leider nicht alle 100 Prozent meiner Auffassung in Reinform sind, davon musste ich ausgehen und darum ist es auch, gerade was meine Ursprungsposition anbelangt, ein Ergebnis, das sehr, sehr nahe bei mir liegt und sehr, sehr weit von dem weg liegt, was andere über Monate gefordert haben.

    Armbrüster: Hätten Sie sich nicht von Angela Merkel etwas mehr Unterstützung gewünscht?

    Röttgen: Ich habe sehr viel Unterstützung erhalten und wir haben ja jetzt über die beiden Komponenten gesprochen. Es hat ein solches Energieprogramm, Energieeffizienzprogramm, CO2-Reduzierungsprogramm noch nicht gegeben, mit derartigen seriösen, langfristigen Finanzierungszusagen. Die kompletten Zusatzerlöse ab 2013 aus dem CO2-Zertifikatehandel – das sind 2,5 Milliarden Euro – werden für die Zwecke Energiepolitik, Klimaschutz verwendet. Da gab es ganz andere Begehrlichkeiten. Wir haben es zu 100 Prozent für diese Zwecke verwendet, und das ist ein Riesenerfolg. Und zu den Laufzeiten habe ich ja eben was gesagt. Also zwölf im Schnitt liegt deutlich näher an meinen Vorstellungen als an den Vorstellungen, die andere mit Vehemenz über Monate vertreten haben. Darum, glaube ich, kann gerade ich mit diesem Ergebnis sehr zufrieden sein.

    Armbrüster: Aber das Echo, das Sie bekommen, ist ja sehr eindeutig. Die Atomindustrie freut sich über diesen Kompromiss, die Anbieter erneuerbarer Energiequellen, die sehen ihr Geschäftsmodell bedroht. Ist das in Ihrem, in Herr Röttgens Sinn?

    Röttgen: Ja. Ich habe aber eben ja nur über die Fakten gesprochen. Sie sprechen jetzt von Interessenvertretern der unterschiedlichen Art. Deren Position habe ich auch vorher gehört.

    Armbrüster: Das heißt, können wir dann sagen, dass Sie, Herr Röttgen, ein Minister der Atomindustrie sind?

    Röttgen: Nein, ich sagte doch - - Sie haben eben beide genannt. Sie haben über die Atomindustrie gesprochen und über die erneuerbaren Industrien gesprochen. Ich habe jetzt versucht, ganz nüchtern darzulegen, dass wir etwas erreicht haben gerade für die erneuerbaren Energien an konkreten Maßnahmen. Das sind 50, 60 konkrete Maßnahmen, mit Geld unterlegt, langfristig. Das Ziel ist nach Zehn-Jahres-Schritten festgelegt. Wir wollen 80 Prozent erneuerbare Energien an der Stromversorgung erreichen in jeweils Zehn-Jahres-Schritten. Wir haben einen Überwachungsmechanismus installiert. Das heißt, das sind jetzt nicht handlungsentlastende Langfristziele, sondern wir werden das immer überprüfen. Wir haben von der Offshore-Finanzierungshilfe bis zum Netzausbau alles das festgelegt.

    Ich glaube einfach, dass es vielleicht auch noch ein bisschen, auch angesichts der Vielzahl der Maßnahmen, der Komplexität, vielleicht noch ein, zwei Tage braucht, bis man von dem öffentlichen Thema Laufzeitverlängerung – und ich sage noch mal: Zehn Prozent der Energie sind Kernkraftstrom – dann zu den anderen konkreten Dingen kommt. Das ist der Fahrplan in das Zeitalter der erneuerbaren Energien, gar keine Frage.

    Armbrüster: Aber der ist verbunden mit riesigen Gewinnen für die Bereitsteller von Atomenergie. Noch mal die Frage: Ist das in Ihrem Sinn?

    Röttgen: Ja. Ich habe mich immer für die Brückentechnologie ausgesprochen. Die gesamte Koalition tut das. Das hat übrigens auch der rot-grüne Ausstieg ja getan. Der hat ja im Jahre 2002 nicht beschlossen, wir steigen jetzt aus, sondern der hat gesagt, wir brauchen dafür noch 20 Jahre. Das ist aber niemals seriös berechnet worden. Es war die Opportunität einer Regierungskoalition, die da Fristen gesetzt hat. So kann man aber nicht Energiepolitik machen. Wir haben das jetzt seriös berechnet. Wir brauchen eine Brückentechnologie. Wir haben im Moment erfreulich 16 Prozent Anteil der erneuerbaren Energien am Strom, das ist sehr gut. Vor zehn Jahren waren es vier, fünf Prozent. Aber 16 Prozent sind nicht 80 Prozent und dafür brauchen wir eine Brücke, eine Brücke so kurz wie möglich, so lange wie nötig, und ich glaube, dass wir es auch so konstruiert haben. Das ist - darum der konkrete Weg über eine Brücke – das Ziel und das andere Ufer ist klar: Energieeffizienz und erneuerbare Energien. Das sind die Fakten.

    Armbrüster: Herr Röttgen, die kommunalen Energieversorger, die befürchten jetzt Milliardenverluste, weil sie mit dem Atomausstieg im Jahr 2020 kalkuliert hatten. Zahlt die Bundesregierung diesen Versorgern jetzt eine Entschädigung?

    Röttgen: Auch die kommunalen Energieversorger – deren Engagement begrüße ich sehr -, die bringen Wettbewerb in den Markt hinein. Die engagieren sich übrigens auch in den erneuerbaren Energien, und darum ist das, was wir dort tun, Netzausbau, Entwicklung von Speicherkapazitäten, Förderung auch von Investitionsbereitschaft in diesen Bereichen, darum sind auch die kommunalen Betriebe, die Stadtwerke Adressaten gerade dieser Konzeption. Ich begrüße deren Engagement sehr. Alles was mehr Wettbewerb bringt, was mehr Markt bringt, tut gut. Sowohl die Branche der erneuerbaren Energien ist eine mittelständische Branche, innovationsfreundlich, technologiebasiert, aber auch die kommunalen Betriebe, die Stadtwerke, bringen dort Innovation und Wettbewerb in den Markt, und darum unterstützen wir sie sehr und sie werden auch weiter ihren zunehmenden Platz auch in der Energiebranche in Deutschland haben.

    Armbrüster: Herr Röttgen, meine Frage war aber, ob Sie denen, die mit dem Atomausstieg 2020 kalkuliert hatten, ob Sie denen jetzt eine Entschädigung zahlen?

    Röttgen: Meine Antwort war, dass die kommunalen Unternehmen weiter Marktanteile haben werden, dass sie auf dem Weg, den die Politik vorzeichnet, in die erneuerbare Energien-Zeit weitere Chancen haben werden. Sie werden also auch weitere Gewinne haben, weil sie sich in die richtige Richtung bewegt haben und weiter bewegen werden.

    Armbrüster: Aber sie sind zunächst mal auf sich allein gestellt?

    Röttgen: Sie sind nicht auf sich allein gestellt, sondern sie sind Marktteilnehmer und das ist auch unsere Vorstellung, dass in den Markt, in den Strommarkt, in den Energiemarkt mehr Wettbewerb hineinkommt. Das ist immer noch übrigens der beste Preisbildungsmechanismus, zunehmender Wettbewerb und Markt, und da sind die kommunalen Unternehmen ein jüngerer, aber zunehmend stärker werdender, engagierter, im Grunde mittelständisch geprägter Teil des Wettbewerbs, den sie aus eigenen Kräften bislang mit Erfolg gehen und auch weiter gehen werden. Ich bin in einem dauernden Dialog mit den kommunalen Unternehmen, mit ihrem Verband, und habe auch Unternehmen von ihnen besucht. Die werden weiter ihren Platz haben und das begrüße ich sehr und unterstütze es, so weit ich es kann.

    Armbrüster: Ist das denn auch freier Markt, wenn die Atomindustrie jetzt durch diesen Kompromiss zusätzliche Milliardengewinne bekommt, mit denen sie vorher nicht rechnen konnte?

    Röttgen: Die Laufzeitverlängerung ist eine politische Entscheidung, wenn sie so kommt, auch eine gesetzgeberische Entscheidung, die zusätzliche wirtschaftliche Tätigkeit ermöglicht. Damit sind dann auch zusätzliche neue Gewinne verbunden, und das ist ja gerade die Grundlage dafür, dass die Kernkraftwerksunternehmen dann auch einen Beitrag leisten, auch einen in zweistelliger Milliardenhöhe zu beziffernden Beitrag für den Ausbau der erneuerbaren Energien. Das heißt, die Verbindung von Kernenergie und erneuerbaren Energien im Sinne einer Brücke, die zeigt sich gerade auch darin, dass von Gewinnen, die durch Laufzeitverlängerungen entstehen, auch ein Teil für die erneuerbaren Energien verwendet werden, und das ist auch ja immer so verabredet worden und wird auch darum so realisiert. Diese Verbindung halte ich für ganz wichtig und die haben wir auch sichergestellt.

    Armbrüster: Herr Röttgen, das sind nun alles Botschaften, die wahrscheinlich schwer zu verkaufen sind. Welche Chancen rechnen Sie sich denn noch aus auf den CDU-Landesvorsitz in Nordrhein-Westfalen?

    Röttgen: Ich glaube, dass wir in unserem Gespräch auch vielleicht die Gelegenheit wahrgenommen haben, diese Fakten mitzuteilen. Ich glaube, dass unsere Anhänger, unsere Mitglieder froh darüber sind, dass uns hier ein wirklich gutes, weitreichendes Stück mit klarer Orientierung, klaren Strukturen, seriöser Finanzierung gelungen ist. Ich stelle jedenfalls da eigentlich große Erleichterung und Freude fest und ich glaube, wenn wir das nächste Stück nun auch noch schaffen, denken wir etwa an die Bundeswehr- und Wehrpflichtreform, dann zeigt sich, hier werden richtig Weichen für die Zukunft gestellt, und das ist die Erwartung, die die Bürger und unsere Mitglieder zurecht haben.

    Armbrüster: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk der Bundesumweltminister Norbert Röttgen. Herr Röttgen, vielen Dank für das Gespräch.

    Röttgen: Ich danke Ihnen, Herr Armbrüster.


    Hinweis

    Verlängerung der Laufzeiten von Kernkraftwerken, Ausbau der erneuerbaren Energien und CO2-Reduzierung, die Diskussion um die Zukunft der Energie findet im Programm einen breiten Niederschlag.
    Themenportal Zukunft der Energie