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"Faith No More"-Comeback
Gerockter Mittelfinger statt "seelenloser Cupcake"

Falls eine Reunion bevorstünde, möge man ihn unbedingt erschießen, sagte "Faith No More"-Sänger Mike Patton 1997, als die Band völlig zerstritten mit dem vielgelobten "Album of the year" abtraten. 18 Jahre später sind die US-Crossover-Pioniere wieder auf Tour mit ihrem neuen Album "Sol Invictus".

Von Marcel Anders | 30.05.2015
    Mike Patton, Sänger der US-amerikanischen Crossoverband Faith No More, steht am 29.05.2015 in der Veltins-Arena in Gelsenkirchen (Nordrhein-Westfalen) beim Musikfestival «Rock im Revier» auf der Bühne.
    Konfrontationsfreudige Herren in stilvollen Priesterroben: Die US-amerikanischen Crossoverband "Faith No More" ist wieder auf Tour. (picture alliance / dpa / Friso Gentsch)
    "Es ist nicht so, als hätte ich Angst gehabt, dass wir unser Ansehen ruinieren könnten. Wir haben es vielmehr geheim gehalten, weil es doch so ist: Wenn du den Leuten erst mal erzählst, was du tust, will jeder involviert sein, jeder will Klatsch und Tratsch darüber hören. Und dieser Mist ist nicht nur wahnsinnig ermüdend – er verhindert auch, dass du dich auf dein Ding konzentrieren kannst. Und uns war es wichtig, einfach Musik um der Musik Willen zu machen, ohne dabei den Rest der Welt zu involvieren."
    Also zogen sich "Faith No More" in einen Teil der Bay Area zurück, in den sich niemand freiwillig verläuft. Nämlich nach Downtown Oakland, eine heruntergekommene und extrem gefährliche Gegend, in der vor allem Menschen leben, die sich das schicke San Francisco nicht mehr leisten können, die Drogenprobleme haben oder eine der vielen, verwaisten Fabrikhallen auf kreative Weise nutzen. Wie Billy Gould, der hier eine Mischung aus Proberaum und Studio unterhält - und "Sol Invictus" als Reaktion auf eine Gegenwart versteht, mit deren Sound er wenig anzufangen weiß:
    Düstere Stimmung aus Jazz, Punk und Avantgarde
    "Wenn ich mir die aktuelle Musik so anhöre, ist da nichts, was mir gefällt oder zu dem ich eine engere Beziehung aufbauen könnte. Sie spricht mich nicht an und hat nichts mit meinen Erfahrungen und meinem Leben zu tun. Deshalb mache ich lieber etwas, das meinen eigenen Erfahrungen ein bisschen näher kommt."
    Was Billy Gould unter etwas Eigenem versteht, ist ein typisches "Faith No More"-Album – ein Brocken aus Jazz, Punk und Avantgarde, der seinem Hörer einiges abverlangt, und eine ähnlich düstere Stimmung aufweist wie ihr Debüt "We Care A Lot". Mit dem sind "Faith No More" vor 30 Jahren in der Musikwelt aufgetaucht, haben für weitreichende Irritation gesorgt, und im Grunde dieselbe Unzufriedenheit zum Ausdruck gebracht, wie heute:
    "Faith No More" bleiben sich treu
    "Was ich mittlerweile in San Francisco erlebe, ist eine technische Explosion, bei der alles Apple-freundlich ist und auf irgendwelchen Apps basiert – während die Musik völlig überproduziert und banal anmutet. Sie hat etwas von einem seelenlosen Cupcake, und deshalb ist es mir wichtig, da wieder etwas Düsteres einfließen zu lassen. Einfach, weil die Musik das braucht – und es als Mensch wichtig ist, in Kontakt mit seiner animalischen und dunklen Seite zu sein."
    Mit dem Wunsch nach etwas Dunklem bleiben "Faith No More" sich und ihrer Tradition treu. Wie Ende der 80er, Anfang der 90er, als sie die Opposition zu Glam-Metal und Grunge bildeten, hat auch ihr siebtes Album etwas von einem gerockten Mittelfinger und einem Anti-Statement. Folgerichtig erscheint es nicht bei einer großen Plattenfirma, sondern auf ihrem eigenen Indie-Label. Und es besitzt denselben subtilen Humor wie in der Vergangenheit. Damals haben Billy Gould und Co. die Commodores gecovert oder sich an bayerischer Volksmusik vergangen. Jetzt parodieren sie den Flower Power der 60er – unter dem Titel "Black Friday":
    "Wir machen uns tatsächlich darüber lustig. Aber gleichzeitig hat das Folkloristische durchaus eine Magie. Als ich noch klein war, hat meine Mutter ständig 'Solitary Man' von Neil Diamond gehört, den ich so gar nicht mochte. Aber mittlerweile muss ich zugeben: Diese akustischen Gitarren haben etwas, das einfach cool ist. Und wir haben nie zuvor damit geflirtet, dabei ist das eine richtig nette Sache."
    Von Spiegeleiern und Superhelden
    Der Flirt mit den Sechzigern ist nicht die einzige Überraschung auf "Sol Invictus". Das Hauptinstrument der zehn Songs ist ein Klavier, die Texte von Frontmann Mike Patton handeln von Spiegeleiern und Superhelden und bei der Live-Präsentation, die ab diesem Wochenende auch in Deutschland zu bewundern ist, tragen die konfrontationsfreudigen Herren stilvolle Priesterroben:
    "Wir hatten lange Zeit farbige Anzüge - bevor wir zu weißen gewechselt sind. Und letztes Jahr haben wir ein Konzert im Londoner Hyde Park gespielt. Da sagten wir uns: 'Lasst uns nicht dasselbe machen, wie immer, sondern einen Gang hochschalten.' Wofür das Priester-Ding geradezu perfekt schien. Wir brauchen keine große Bühnenshow mit explodierenden Drachen oder etwas in der Art: Diese Outfits machen das komplett überflüssig, weil sie die Fantasie der Leute auch so beflügeln."