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Fake News
"Einstellungsänderungen durch Desinformationen sehr selten"

Es gebe in Deutschland eine Sensibilisierung gegenüber dem Thema Fake News, sagte der Digitalisierungsexperte Alexander Sängerlaub im Dlf. Desinformationen hätten nur sehr selten Einfluss auf die politische Einstellung. Trotzdem müsse man die Plattformen stärker in die Pflicht nehmen.

Alexander Sängerlaub im Gespräch mit Sandra Schulz | 14.05.2019
Display eines Mobilgerätes mit den Logos der Social-Media-Apps Facebook, Messenger, Twitter, Instagram, WhatsApp, Snapchat and Pinterest.
Digitalisierungsexperte Sängerlaub: Geringes Vertrauen in Informationen aus sozialen Netzwerken bei den Deutschen (Nick Ansell / PA Wire)
Sandra Schulz: In knapp zwei Wochen wählen die Menschen in den 28 EU-Mitgliedsstaaten -anders als lange geplant auch die Briten - ein neues Europäisches Parlament. Nach dem Skandal um Cambridge Analytica vor der US-Wahl mit massenhaften missbrauchten Daten, nach den Erkenntnissen aus dem Mueller-Report und nach dem groß angelegten Cyber-Angriff, der uns hier in Deutschland Anfang des Jahres beschäftigt hat, sorgt die Frage für viel Verunsicherung, wie verwundbar ist die Demokratie durch Angriffe im Netz, leidet die Demokratie Schaden durch gezielte Desinformationskampagnen. Gestern warnte EU-Justizkommissarin Vera Jourova vor Wahlmanipulationen insbesondere durch Russland.
Am Telefon ist Alexander Sängerlaub von der Stiftung Neue Verantwortung, ein unabhängiger Think Tank in Berlin, der sich vor allem mit Digitalisierungsthemen beschäftigt. Alexander Sängerlaub leitet dort das Projekt Desinformation in der digitalen Öffentlichkeit und ist jetzt am Telefon. Schönen guten Morgen!
Alexander Sängerlaub: Schönen guten Morgen.
Schulz: Von einem digitalen Wettrüsten spricht die EU-Justizkommissarin Jourova. Sehen Sie das auch?
Sängerlaub: Ich wäre tatsächlich ein wenig vorsichtiger in der Analyse. Wir hatten nach den Wahlen in Amerika auch viele Sorgen in Europa. Wir hatten viele Wahlen im Jahr 2017. Viele Befürchtungen, die dort geäußert wurden, sind am Ende so gar nicht eingetreten. Es gab Desinformationskampagnen, die haben wir in Deutschland vor allem aus dem rechten Raum gesehen. Die hatten aber wahrscheinlich nicht die Größe, um die Wahl nachhaltig zu beeinflussen.
Schulz: Kann es sein, dass wir darüber so wenig wissen, einfach weil wir da verhältnismäßig wenig Ressourcen und Kapazitäten reinstecken?
Sängerlaub: Auch das ist, Tatsache, ein kleines Problem. Wir haben einerseits Schwierigkeiten, soziale Netzwerke sinnvoll zu beobachten, weil die Datenzugänge fehlen. Wir haben aber auch bei den Fact-Checking-Organisationen zum Beispiel noch nicht so viele Leute aufgestellt, wie man eigentlich bräuchte, um tatsächlich das ganze Ausmaß an Desinformationen auch sinnvoll abdecken zu können in sozialen Netzwerken.
Schulz: Wir wissen nicht viel Definitives über die Dimension der Trollfabriken in Russland. Wir wissen aber gesichert, dass es sie gibt. Es gibt Berichte von Hunderten von Mitarbeitern, die da gezielt in sozialen Netzwerken Falschinformationen streuen. Kann man damit angehen, mit 16 Leuten, die jetzt bei der EU-Kommission in dieser Task Force Stratcom sitzen?
Sängerlaub: Ich glaube, was viel wichtiger ist, ist die Bevölkerung resilient zu machen und darauf hinzuweisen, dass es solche Desinformationskampagnen gibt.
"Vorsicht bei Informationen aus sozialen Netzwerken"
Schulz: Was heißt resilient?
Sängerlaub: Resilient heißt, dass man sicher ist oder stark genug ist, um quasi auch mit solchen Desinformationskampagnen als Bürger umzugehen. Das heißt, dass man selber vielleicht Quellen checkt, dass man Sachen, die einem spanisch vorkommen, noch mal prüft, dass man selber einfach vorsichtig mit Informationen umgeht, die einen in sozialen Netzwerken erreichen. Wenn wir das hinkriegen und medienkompetent handeln, hilft das uns allen sehr für die Europawahl.
Schulz: Wie bekommen wir das hin in Zeiten, in denen Medien den einen als Lügenpresse gelten, die dann über Social Media gehen, die anderen auch Fragezeichen machen an die Medienlandschaft? Wie bekommen wir das hin, diese Resilienz?
Sängerlaub: Einerseits geht es natürlich auch um die Wertschätzung von Qualitätsjournalismus, dass man natürlich versteht: ich kann gar nicht all die Informationen, die mich erreichen, selber jetzt einordnen oder selber hier die Kontextualisierung herstellen. Dafür braucht es natürlich Journalismus, der einem hilft, das zu übernehmen, und das verantwortungsvoll einordnet.
Auf der anderen Seite geht es natürlich auch darum, dass ich Informationen, die einen erreichen, prüfen kann. Ich kann zum Beispiel bei Google eine Bilder-Rückwärtssuche, heißt das, machen, um zu gucken, wo kommt das Bild genau her und was war der Ursprung eines Bildes. Oder ich kann natürlich eine Quelle noch einmal googlen und checken, ob ich vielleicht eine zweite seriöse andere Quelle noch finde, die das gleiche behauptet. Ich habe hier viele Möglichkeiten, oder ich kann auch die Fact-Checking-Seiten ansteuern wie den "Faktenfinder" von der Tagesschau, um zu gucken, ob bestimmte Informationen stimmen oder nicht.
"Fake News verbreiten sich schneller als wichtige Nachrichten"
Schulz: Heißt das im Umkehrschluss, auf Social Media und gegen die Falschmeldungen, die da zu Tausenden, zu Zehntausenden, teilweise zu Millionen geschaltet werden oder gepostet werden, dagegen muss man dann gar nicht so viel machen?
Sängerlaub: Man sollte auf jeden Fall die Plattformen trotzdem in die Pflicht nehmen, weil die Plattformen stellen diese Räume zur Verfügung und sind aber auch so gebaut, dass sich tatsächlich Fake News - das wissen wir aus Studien - schneller und besser verbreiten als wichtige Nachrichten. Das hat viel damit zu tun, wie die Plattformen im Grunde genommen sehr emotionale, aber auch sehr sensationalistische Beiträge fördert.
Hier können die Plattformen noch viel stärker auch in ihren eigenen Bauplan reingehen und überdenken, ob zum Beispiel die Algorithmen, die quasi steuern, welche Nachrichten wir sehen, so gebaut sein müssen, dass sich Nachrichten mit Faktizität oder die wirklich eine hohe Güte in der Information haben besser durchsetzen. Hier ist noch eine Menge zu tun, damit tatsächlich die Anzahl an Desinformationen auch zurückgeht.
Schulz: Mit diesem Wissen, das Sie gerade schildern, dass gerade sich Lügen besonders schnell verbreiten - wieso ist Ihre Sorge dann nicht größer, dass über Desinformationskampagnen auch die Demokratie Schaden nimmt?
Sängerlaub: Das hängt ein bisschen mit der Mediennutzung der Menschen zusammen. Wir wissen, in Deutschland sind wir Letzter in Europa. Soziale Netzwerke als Informationsquelle werden vergleichsweise eher selten genutzt. Auf der anderen Seite gibt es ein relativ hohes Vertrauen in Qualitätsmedien. Wir wissen, dass das Vertrauen in Boulevard-Zeitungen schon sehr gering ist, wenn man die Deutschen repräsentativ fragt. Das Vertrauen in Informationen aus sozialen Netzwerken ist noch geringer.
Es gibt hier eine Art Sensibilisierung der Bevölkerung zu dem Thema, weil wir natürlich seit Trump, seit zwei Jahren sehr intensiv darüber sprechen. Insofern wäre ich vorsichtig, weil die Frage ist, kann eine einzelne Nachricht jemand beeinflussen. Wahrscheinlich eher nicht. Auch die Summe aus verschiedenen Nachrichten kann wahrscheinlich am Ende eher mobilisieren oder demobilisieren. Aber Einstellungsänderungen durch Desinformationen sind wahrscheinlich sehr, sehr selten.
"Aufklärungsarbeit leisten"
Schulz: Jetzt komme ich noch mal auf diese russischen Trollfabriken und dasjenige, was wir darüber wissen, was Russland in diese Desinformationskampagnen steckt. Wie plausibel ist es, dass ein russischer Präsident Putin nach allem, was wir wissen, da richtig viel Geld reinsteckt, wenn das alles überhaupt nichts bringt?
Sängerlaub: Das ist schwierig zu beurteilen. Was da ist, sind russische Medien in Deutschland oder russisch finanzierte Staatsmedien. Wir haben RT Deutsch, wir haben Sputnik, wir haben WapTV. Das sind schon Medien, wenn Sie die konsumieren, werden Sie feststellen, dass das keine unabhängige Presse ist, sondern dass hier die Dinge, die propagiert werden, interessanterweise auch sehr nahe an dem sind, was aus dem Rechtspopulismus kommt. Das Ziel ist schon, in unseren demokratischen Gesellschaften die Bevölkerung zu verunsichern, gegen die Institutionen zu arbeiten, Elitenkritik zu äußern. Solche Sachen finden Sie dort und auch immer mal wieder angereichert mit Desinformationen.
Das ist schon das erklärte Ziel, hier innerhalb der Europäischen Union für Verunsicherung zu sorgen. Die Frage ist nur, klappt das auch auf der anderen Seite, nehmen wir das alle an. Wir wissen, dass gerade Menschen mit geringem Medienvertrauen in klassische Medien sich diesen Medien verstärkt widmen. Da hilft es aber, Aufklärungsarbeit zu leisten und zu sagen: Mensch, guck doch mal, ist das wirklich so eine gute Informationsquelle, oder gibt es nicht bessere.
Regulierung von Wahlwerbung bei Facebook und Co.
Schulz: Ist das ein Akt der Verzweiflung, dass man sagt, na ja, die US-Digitalkonzerne, die kriegt man ohnehin nicht so richtig gepackt, im Moment setzt die EU-Kommission auf eine Selbstverpflichtung, dass man dann sagt, na ja, mit Bildung und Ausbildung ist sowieso das Thema im Griff zu behalten?
Sängerlaub: Es wäre schöner, wenn wir nicht nur Selbstverpflichtungen hätten. Das ist natürlich eine Schwierigkeit. Was ist jetzt im Fall, wenn die Werbevideotheken, die jetzt die großen Konzerne anbieten, von Facebook bis Google, nicht funktionieren, wenn nicht die richtigen Werbeanzeigen dort auftauchen, die quasi als politische Werbung deklariert sind? Hier wäre es doch schöner, wenn es bessere Sanktionsmechanismen am Ende auch gibt.
Denken Sie daran, wie wir politische Werbung im analogen Raum reguliert haben. Wenn man im Fernsehen politische Werbeanzeigen sieht, dann ist da so ein Abbinder vorneweg, dass für den Inhalt des Spots allein die Parteien verantwortlich sind. Man könnte ein bisschen aus dem analogen Raum mehr lernen und hier versuchen, auch die Wahlen im Digitalen und vor allen Dingen auch die Wahlwerbung besser zu regulieren, damit es einfach für den Bürger am Ende transparent ist: was sieht man dort, wer hat das geschaltet, was ist der Inhalt und wieviel wurde überhaupt ausgegeben für Werbespots.
Schulz: Und sehen Sie die EU in der Lage, das durchzusetzen?
Sängerlaub: Da ist ein bisschen die Frage, wer zuständig ist. Die Europawahlen werden ja national organisiert. Wahrscheinlich sind die Nationalstaaten in der Verpflichtung, wenn es hier um die Organisation von Wahlen geht, auch klassisch mit Wahlgesetzgebung, hier für Transparenz zu sorgen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.