Samstag, 20. April 2024

Archiv


Fakten, Fakten, Fakten

In der Medienbranche wurde das Projekt nur milde belächelt, und selbst im eigenen Verlag befürchteten nicht wenige eine finanzielle Katastrophe. Aber der Journalist Helmut Markwort hielt an der Idee fest: Das Nachrichtenmagazin "Focus" erschien vor 15 Jahren zum ersten Mal und wurde, trotz aller Unkenrufe, ein wirtschaftlicher Erfolg.

Von Christian Berndt | 18.01.2008
    "Fakten, Fakten, Fakten. Und an den Leser denken!"

    Als das Nachrichtenmagazin "Focus" auf den Markt kommt, nimmt es kaum einer ernst. Der umtriebige Journalist Helmut Markwort hat zusammen mit dem Verleger Hubert Burda das Konzept für ein Magazin entwickelt, das dem "Spiegel" Konkurrenz machen soll. Für politischen Journalismus ist Markwort, langjähriger Chefredakteur der Fernsehzeitschrift "Gong", bisher nicht bekannt. Und Misstrauen erwecken auch seine Vorstellungen von modernem Journalismus.

    "Ich hab ja nicht versucht, den 'Spiegel' zu imitieren oder gesagt, gegen den linken 'Spiegel' mache ich einen rechten 'Focus'. Wir machen mehr Nutzwertnachrichten zum danach richten, beispielsweise unsere Ärztelisten und so was. Also, das sind nicht nur Nachrichten über die Hinterbänkler im Parlament."

    Solche Ideen klingen Anfang der Neunzigerjahre für viele nach reinem Kommerz-Journalismus und treffen auf reichlich Spott. Selbst im Burda-Verlag fürchten viele ein Desaster, aber mit einer Auflage von knapp 480.000 Exemplaren und ungeheurem Werbeaufwand startet das Magazin am 18. Januar 1993 wie geplant. Und vollmundig wird es zum wichtigsten Montags-Magazin erklärt:

    "Montag ist 'Focus'-Tag."

    "Fastfood-Journalismus" heißt es über "Focus" wegen der vielen Bilder, Schaukästen und Servicegeschichten. Es herrscht ein regelrechter Kulturkampf um das Magazin. Die "Zeit" kommentiert:

    "Bei 'Focus' geht es bunt zu. Wichtiger als der Inhalt ist die Aufmachung. Mehr Design als Sein. Analysen werden zu Hitparaden. Im Vordergrund steht der Verkauf, nicht der Inhalt. Mit einem Nachrichtenmagazin hat das wenig zu tun."

    Wirtschaftlich aber wird das neue Magazin ein sensationeller Erfolg: Im Anzeigenverkauf überholt "Focus" bereits 1994 die Konkurrenz "Spiegel" und "Stern". Markworts Auffassung vom leserfreundlichen Nutzwertjournalismus trifft den Zeitgeist, dazu Wolfgang Mühl-Benninghaus, Medienwissenschaftler an der Humboldt-Universität Berlin.

    "Wir können seit Ende der Achtzigerjahre, zu Beginn der Neunzigerjahre feststellen, dass ein neuer Trend im Sinne von Nutzwert angesagt war. Also, was kann der Leser für sich aus dem Bericht herausziehen, und diesen Nutzwertjournalismus hat Markwort als Grundlage für seinen 'Focus’ genommen."

    Zum Markenzeichen von "Focus" werden Service-Titelgeschichten wie "Die 100 besten Ärzte". Statt auf beißende Kritik und historische Themen wie der "Spiegel", setzt Chefredakteur Markwort eher auf einen wirtschaftsfreundlichen Kurs.

    "Es ist nicht nur interessant, Erfolge runter zu schreiben. Wir beschäftigen uns auch mit Erfolgen und Leuten, die Deutschland voranbringen, in der Wirtschaft, in der Wissenschaft, Unternehmer, die dazu beitragen, dass Deutschland Exportweltmeister ist."

    "Lesen auch Sie Nachrichten ohne Umwege. Focus kommt schneller auf den Punkt."

    Mit Fakten statt Meinung soll der Leser neutral informiert werden. Tatsächlich tritt der "Focus" in seiner Berichterstattung sachlicher auf als der "Spiegel". Dafür gibt es weniger und oberflächlichere Hintergrundinformation. Aber die Berichterstattung von "Focus" gerät mehrfach wegen des Vorwurfs nachlässiger Recherche ins Zwielicht und zieht Klagen nach sich.

    Die Serie über "Die 500 besten Anwälte" etwa darf nach einem Gerichtsurteil nicht fortgesetzt werden, weil die sachliche Berichterstattung zurückstehe hinter dem Motiv, Leser anzulocken. Doch der Erfolgsgeschichte des "Focus" tut das keinen Abbruch. Erst die gegenwärtige Krise auf dem Zeitschriftenmarkt lässt den "Focus" zum finanziellen Sorgenkind von Burda werden:

    "Die Frage ist, erreiche ich überhaupt noch durch die klassischen Medien Themen, die die ganze Gesellschaft erreichen. Einfach, weil durch Internet und so weiter jeder auf die Information zurückgreifen kann, die ihm wichtig ist. Und von daher ist von vorneherein klar, dass die Meinungsbildung über diese Magazine immer kleiner wird."
    Der "Kulturkampf" um "Focus", den man 1993 noch gedrucktes Fernsehen genannt hat, ist vorbei. Auch der "Spiegel" hat seit langem bunte Grafiken und kürzere Sätze. Markworts Gebot, immer auf den Leser zu schauen, hat sich allgemein durchgesetzt. Verbraucherthemen bringt heute sogar die "Zeit" auf dem Titelblatt.

    Der "Focus" selbst aber sieht noch aus wie früher. Dass sich die Medienwelt in den letzten 15 Jahren radikal gewandelt hat, sieht man dem "Focus" kaum an - da ist das moderne Nachrichtenmagazin, wie sich der "Focus" nennt, seiner Gründerzeit erstaunlich treu geblieben.