Donnerstag, 25. April 2024

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Fall al-Bakr
"Vor Fehleinschätzungen ist niemand sicher"

Der Spagat zwischen einer menschenwürdigen Unterbringung und besonderen Sicherungsmaßnahmen sei alltäglich, sagte Joe Bausch, Arzt in der JVA Werl, im DLF. Es gebe Hunderte Insassen, die als selbstmordgefährdet gälten. Es sei jedoch "etwas verwunderlich", dass man al-Bakr in seiner Zelle gelassen habe.

Joe Bausch im Gespräch mit Sarah Zerback | 13.10.2016
    Der Mediziner und Schauspieler Joe Bausch.
    Gefängnisarzt Joe Bausch will im Fall al-Bakr nicht von einem "Justizversagen" sprechen. (imago / future Image)
    Sarah Zerback: Die Kritik ist massiv. Einen Rücktritt lehnt Sachsens Justizminister aber weiterhin ab. Das hat Sebastian Gemkow am Abend noch mal im ZDF bekräftigt. Und über diese Gemengelage habe ich vor der Sendung gesprochen mit Joe Bausch. Er ist Leitender Arzt im Hochsicherheitsgefängnis in Werl. Ihn habe ich zunächst gefragt, ob sich, wenn nun ein mutmaßlicher Terrorist in Untersuchungshaft kommt, der sich und viele Unschuldige in die Luft sprengen wollte, dann ernsthaft die Frage stellt, ob er suizidgefährdet ist.
    Joe Bausch: Die Frage stellt sich bei jedem, der in den Knast kommt, und bei so einem Menschen natürlich umso mehr.
    Zerback: Und in diesem Fall hat die Richterin ja, die den Haftbefehl verhängt hat, auf diese Suizidgefahr hingewiesen. Die Psychologin aber ist offenbar da zu einer anderen Einschätzung gekommen. Müsste es jetzt hier nicht geheißen haben, im Zweifel dann auf Nummer sicher gehen?
    Im Zweifelsfall weiteren Psychiater hinzuziehen
    Bausch: Na ja. Es ist in der Regel so: Wenn es zwei verschiedene Meinungen gibt, gerade wenn es diese Ansicht der Untersuchungsrichterin gibt, dann ist das ernst zu nehmen, wird in der Regel auch ernst genommen. Und wenn ich mir da nicht sicher bin und habe zwei Meinungen, die so divergieren, dann muss ich mir halt eine dritte holen, im Zweifelsfalle noch einen Psychiater hinzuziehen oder einen Arzt oder sonst jemanden, der Erfahrung in der Beurteilung hat.
    Zerback: Wie erklären Sie sich das denn, dass das ausgerechnet in diesem Fall, der wichtigste Gefangene Deutschlands, nicht passiert ist?
    Bausch: Die dritte Meinung ist ja noch der zuständige Jurist, der Abteilungsleiter oder der Anstaltsleiter, der natürlich sagen kann, okay, ich höre mir beide Seiten an und komme zu der Entscheidung, mich der einen Seite anzuschließen, dem erfahrenen Personal seiner Anstalt. Das ist ja nichts Ungewöhnliches.
    Zerback: Sie haben jetzt gerade davon gesprochen, dass man darauf achten muss, ob es da Hinweise gibt. Jetzt haben wir gehört, der Terrorverdächtige hat unter anderem die Deckenlampe in seiner Zelle rausgerissen, hat eine Steckdose manipuliert. Sind das nicht Indizien für eine solche Gefährdung?
    Hinterher ist man immer schlauer
    Bausch: Das ist sicherlich so. Wenn man es im Nachhinein vernünftig bewertet, kann man sagen, er hat entweder dort seinen Unmut kundgetan, das ist ja auch nicht ganz selten, oder die Alternative jetzt, hinterher ist man schlauer, kann man sagen, es gab vielleicht schon Versuche, untaugliche Versuche, sich umzubringen.
    Zerback: War im Vorfeld nicht unbedingt eindeutig zu erkennen?
    Bausch: Nein! Ich denke, das ist immer auch eine Frage, wie ist er untergebracht, wie sicher fühlt man sich, was sagt er, wenn man ihn anspricht. Das ist natürlich ein Mensch, der sich nicht so deutlich mitteilen kann, wie man das wünschen würde. Das ist ja ein Mensch, der möglicherweise der deutschen Sprache nicht so mächtig ist, dass man wirklich auch den Subtext versteht. Es ist schon, sage ich mal, etwas verwunderlich, dass man ihn in dieser Zelle dann möglicherweise gelassen hat.
    Zerback: Welche Möglichkeiten der Überwachung, der Unterbringung hätte es denn noch gegeben?
    Bausch: Na ja, gut. Es gibt natürlich die Steigerungsform: Kann sein, dass man jemand, den man für akut suizidgefährdet hält, in einem besonders gesicherten Haftraum unterbringt. Das ist ein Haftraum, der ist vandalensicher, da kommt man an nichts heran. In der Regel ist der gefliest und gepolstert. Es gibt dort ein im Boden eingelassenes Abort, es gibt dort nur eine Matte auf dem Boden aus Schaumstoff, mit der man sich nicht verletzen kann, und es läuft Tag und Nacht eine Kamera. Allerdings wird so eine Unterbringung erst dann vorgenommen, wenn es Hinweise auf ernst zu nehmende Suizidabsichten gibt, oder sogar, wenn es Hinweise gegeben hat, dass bereits suizidale Handlungen erfolgt sind, Selbstbeschädigungshandlungen.
    Zerback: Und um jetzt auf Nummer sicher zu gehen, was spricht dagegen, jemanden auf Verdacht in eine solche Unterbringung zu stecken?
    Besondere Sicherung nur nach Hinweisen für akute Suizidalität
    Bausch: Auf Verdacht ist das immer ein bisschen schwierig. Man sollte schon irgendwie nachvollziehbare Verdachtsmomente haben, um so eine Entscheidung zu treffen. So machen wir es jedenfalls. Es braucht schon Hinweise für eine akute Suizidalität, um jemanden dort unterzubringen, und nicht ohne Grund ist es so, dass die Unterbringung eines Insassen in so einem besonders gesicherten Haftraum spätestens nach drei Tagen an das Ministerium gemeldet werden muss, weil das ist in gewisser Weise ein Ausnahmetatbestand. Sie können sich erinnern, dass noch Thomas Middelhoff vor einigen Monaten an die Presse ging und gesagt hat, ich bin hier wochenlang irgendwo immer wieder nachts über den Spion betrachtet worden, das war menschenunwürdig, das war Folter. Da gab es auch viele, die gesagt haben, das darf doch nicht sein, das ist doch nicht möglich. Und dieser Spagat zwischen einer menschenwürdigen Unterbringung, einer menschenwürdigen Behandlung und der Sicherheit, das ist ein täglicher Spagat, den wir dort machen, und das ist ein Spagat über eine Rasierklinge manchmal, gar keine Frage.
    Zerback: Nun wurde ja anders entschieden, unter anderem auch, weil die Psychologin, die ihn begutachtet hat, dazu geraten hat. Jetzt haben wir erfahren, dass diese Psychologin keine Erfahrung mit Terroristen hat. Hätte man da jemanden organisieren müssen, der solche Erfahrungen hat, und wie einfach ist das überhaupt?
    Bausch: Zunächst mal muss man sagen, wer hat denn viel Erfahrung mit Terroristen. Als ich anfing, hatten wir RAF-Terroristen, und die haben uns vor große Probleme gestellt. An denen haben wir auch ein Stück weit gelernt. Aber es gibt heute wissenschaftlich gesehen auch keine, sage ich mal, belegbaren wissenschaftlichen Daten und Untersuchungen über Selbstradikalisierte mit islamistischem Hintergrund. Das ist irgendwo nicht so ganz einfach und ich denke, so eine Entscheidung oder so eine Einschätzung trifft ja niemand leichtfertig. Eher ist es so, dass jemand Unerfahrenes eher dazu neigt, die Sicherungsmaßnahmen anzusetzen, weil er geht auf Nummer sicher und mit dem Hintern an die warme Heizung, und jeder wartet darauf, dass dann irgendjemand Erfahreneres die Kohlen aus dem Feuer holt. Das ist eigentlich die alltägliche Erfahrung seit vielen Jahren. Warum das so nicht gemacht worden ist, da bin ich natürlich überfragt.
    Zerback: Wie ist denn Ihre Einschätzung? War das nur blauäugig, oder würden Sie da auch von Justizversagen sprechen?
    Jeden Tag Hunderte selbstmordgefährdete Insassen
    Bausch: Was heißt Justizversagen? Wir haben jeden Tag in Deutschland Hunderte von Insassen, die selbstmordgefährdet sind oder als solches gelten. Wir machen alles Erdenkliche, um diese Suizidhandlungen, ob ernst zu nehmend oder nicht ernst zu nehmend, dass das möglichst verhindert wird. Das gelingt uns nicht in allen Fällen. Sie wissen vielleicht, dass knapp 100 Insassen sich jährlich in deutschen Gefängnissen umbringen, die meisten in der Untersuchungshaft-Situation, weil da die Belastung am größten ist. Das weiß man, dem versucht man, gerecht zu werden. Aber ich kann Ihnen sagen: Das ist so der gängige Satz, den es im Gefängnis gibt, dass man sagt: Wenn es jemand wirklich ernsthaft vor hat und das vor hat durchzuziehen, dann macht er das, dann schafft er das früher oder später. Natürlich verstehe ich, dass es wahnsinnig ärgerlich ist für die Ermittlungsbehörden, dass sie sagen, jetzt haben wir einen Verdächtigen, von dem hätten wir gerne noch mehr gehört und so weiter und so fort. Das ist ärgerlich. Aber jetzt einfach mal zu behaupten, dass es ein Versagen der Justiz gab, das kann ich aus der Ferne gar nicht sagen. Da müsste man gucken, wie oft ist der abgesucht worden, gab es irgendwelche Hinweise, die hätten gesehen werden müssen, wer hat davon erfahren, wurde das kommuniziert, wie wurde darüber beraten. Das sind so Fragen, die ich hier stelle, und die sollte man auch erst mal abwarten, finde ich, um dann erst mal jemanden ans Kreuz zu nageln. Man sieht diesen Leuten nur vor den Kopf.
    Zerback: Wie mit suizidgefährdeten in Haft, in Untersuchungshaft umgegangen wird, das ist ja von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich. Sie selbst arbeiten tief im Westen, in NRW. Glauben Sie, dass so was auch hier möglich wäre, oder ist das, wie es jetzt auch oft heißt, ein sächsisches Problem?
    Bausch: Ich glaube nicht, dass es ein sächsisches Problem ist und dass das in Nordrhein-Westfalen nicht hätte passieren können, oder in Bayern nicht hätte passieren können. Vor Fehleinschätzungen ist niemand sicher und ich halte es ein bisschen für pharisäerhaft und beckmesserisch, ausgerechnet den sächsischen Vollzugsbehörden da jetzt zu unterstellen, dass sie einfach unfähig sind oder blauäugig oder einfach nicht professionell oder so was. Nein, das glaube ich nicht.
    Zerback: Das sagt Joe Bausch. Ihn kennt man aus dem Kölner "Tatort" als Gerichtsmediziner Dr. Josef Roth. Im wahren Leben aber ist er Leitender Arzt im Hochsicherheitsgefängnis in Werl. Besten Dank für das Gespräch, Herr Bausch.
    Bausch: Gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.