Freitag, 19. April 2024

Archiv


Fall für den europäischen Sprachenschutz

Im norditalienischen Lusern spricht ein ganzes Dorf einen mittelhochdeutschen Dialekt. Die Luserner haben sich den Status einer geschützten Sprachminderheit in Europa erkämpft. Und so bleibt Hoffnung, dass das Zimbrische überlebt. Michael Brandt berichtet.

19.05.2006
    Es ist Samstagabend, etwa 50 Besucher haben sich im Heimatmuseum von Lusern versammelt, um einen tiefen Blick in die 800-jährige Geschichte des Dorfes und seiner Sprache zu werfen. Nachgestellt ist eine Szene zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als zwei Luserner den letzten Bären in den umliegenden Wäldern erlegt haben. Sie ziehen dem Tier gerade das Fell über die Ohren, als der Pfarrer dazukommt. Jetzt müssen sie sich gegen den Vorwurf der Wilderei wehen

    Einer der beiden Wilderer hat besonderes schaupielerisches Talent, vor allem er ist es, der das Publikum zum Lachen bringt und dem es damit gelingt, das Interesse für den Luserner Dialekt, die zimbrsiche Sprache, zu wecken. Und damit ist er in seinem Element. Fiorenzo Niculossi ist zusammen mit dem Bürgermeister und dem Heimatdichter, die bei der Auführung natürlich dabei sind, einer der Luserner, die sich besonders aktiv um den Erhalt der Sprache kümmern - am Samstagabend im Heimatmuseum, oder am Montagmorgen an seinem eigentlichen Arbeitsplatz, dem zimbrischen Kulturinstitut, das er leitet.

    Zimbrischkurs für Anfänger: schon seit Jahren bietet das Institut diese Kurse für Gruppen an, mit recht ansehnlichem Erfolg, wie Fiorenzo berichtet:

    "Es gab in der Tat eine ganze Reihe von Kursen; im letzten Jahr ware es immerhin 24 Teilnehmer; 4 stammten aus Lusern selbst, die anderen kamen aus den Gebieten wo früher zimbrisch gesprochen wurde, die Sprache aber jetzt ausgestorben ist."

    Fiorenzo Nicolussi Castellan ist Anfang 40, nicht besonders großs, schlank, mit Dreitagesbart. Am auffälligsten sind aber seine dunkelbraunen Augen, wach, von Lachfältchen umgeben, immer in Bewegung, immer auf der Suche nach neuen Gelegenheiten, etwas für den Erhalt der zimbrischen Sprache zu tun.
    Und zu tun gibt es allein schon in seinem Kulturinstitut genug.

    "Wir realisieren gerade einen Stammbaum aller Einwohner des Dorfes, dann dann haben wir sämtliche alten topografischen Namen hier auf der Hochebene zunächst gesammelt und dann mit einer Panoramakarte herausgegeben, dann gibt es das Projekt eines zimbischen Wörterbuchs und einer Grammatik."

    Und dann vertritt er Lusern auf linguistischen Kongressen, gibt Sprachkurse, organisiert noch nebenbei ein zimbrischsprachiges Ferienlager für die Luserner und andere Kinder, und ist bei Aufführungen wie der im Heimatmuseum natürlich als erster dabei.

    Und seine Arbeit scheint Früchte zu tragen. Das Interesse an der Nischensprache ist in den letzten Jahren gestiegen, sagt er, nicht ganz ohne Stolz in der Stimme.

    Mit Sicherheit ist auch die Werttschätzung der Sprache in den vergangenen Jahren gestiegen, sagt er. Auch bei den jungen Leute gibt es plötzlich wieder das Bedürfnis, die Sprache ihrer Heimat zu lernen und zu sprechen.

    Und dann verabschiedet er sich in aller Eile. Er muss runter ins Tal, um sich mit den Vertretern der anderen norditalienischen Sprachinseln zu treffen und eine gemeinsame Konferenz zu organisieren.