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Fall Sheperd
Pro Asyl: "Eine gespielte Naivität des Gerichtshofs"

Bernd Mescovic von der Flüchtlingsorganisation Pro Asyl fürchtet, dass mit dem jüngsten EuGH-Urteil die Chancen des US-Soldaten Andre Shepherd auf Asyl in Deutschland gesunken sind. Der Europäische Gerichtshof habe dem desertierten Soldaten "eher Steine als Brot" gegeben, kritisierte Mescovic im DLF.

Bernd Mescovic im Gespräch mit Jasper Barenberg | 26.02.2015
    André Shepherd
    André Shepherd: "Für mich stand plötzlich mein gesamtes Weltbild auf dem Kopf." (imago/epd)
    Shepherd war vor acht Jahren von seinem Stützpunkt in Bayern desertiert und hatte in Deutschland Asyl beantragt, um dem Einsatz im Irak-Krieg zu entgehen. Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg entschied, dass eine drohende Freiheitsstrafe oder die Entlassung aus der Armee nicht als hinreichende Asylgründe gelten.
    Bernd Mescovic, rechtspolitischer Sprecher bei Pro Asyl, kritisierte, dass der Gerichtshof offenbar davon ausgehe, im Fall einer bewaffneten Intervention mit UN-Mandat sei grundsätzlich gewährleistet, dass keine Kriegsverbrechen begangen würden. "Da kann ich doch nur sagen: In welcher Welt leben die Richter", sagte Mescovic. Er warf dem Gerichtshof eine "gespielte Naivität" und eine "Verbeugung vor UN-Mandaten" vor. Gerade das UN-Mandat für den Irak-Krieg sei auf besonders umstrittene Weise zustande gekommen.
    In der grundsätzlichen Frage, wann Repressalien gegen Kriegsdienstverweigerer und Deserteure als Verfolgung zu werten sind, lässt das Urteil nach Ansicht Mescovics zu viele Unklarheiten. Es entstehe der Eindruck, dass das Gericht das Recht der Staaten, ihre Staatsangehörigen zum Militärdienst heranzuziehen, sehr weit auslege und über die Rechte der Flüchtlinge stelle.
    Positiv bewertete der Pro-Asyl-Sprecher hingegen Äußerungen des Gerichts, dass der Schutz vor Verfolgung für sämtliche Militärangehörigen gelte, also auch für das Servicepersonal. Zudem stelle sich die Frage nach UN-Mandatierung in vielen Konflikten nicht. Als Beispiel nannte Mescovic die große Zahl der Verweigerer im jetzigen Ukraine-Krieg, der aus seiner Sicht auf beiden Seiten völkerrechtswidrig geführt sei: Sie hätten durchaus Chancen, auf Basis dieser Entscheidung anerkannt zu werden.

    Das Interview in voller Länge:
    Jasper Barenberg: Der Fall ist schwierig und besonders heikel, weil er die Beziehungen zu den USA berührt. Sieben Jahre lang hat der US-Deserteur André Lawrence Shepherd um Asyl gekämpft, um einen weiteren Einsatz im Irak zu vermeiden. Die Behörden lehnten ab, wogegen Shepherd klagte. Jetzt hat der Europäische Gerichtshof entschieden.
    Einspielung Beitrag
    Barenberg: Den Prozess und das Urteil verfolgt hat Bernd Mesovic, der rechtspolitische Referent der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl. Er ist jetzt am Telefon. Schönen guten Tag, Herr Mesovic.
    Bernd Mesovic: Ich grüße Sie.
    Barenberg: Sehen Sie das auch so, dass die Chancen zunächst einmal in diesem konkreten Fall für den früheren Soldaten Shepherd gesunken sind, in Deutschland Asyl zu bekommen?
    Mesovic: Das muss man sicher so sagen. Ich würde sogar sagen, der Gerichtshof hat in den Teilen, die nun von geringerer Bedeutung gewesen sind, die von Frau Geuther geschilderten Einschätzungen getroffen, also positiv in manchen Aspekten entschieden. Aber je näher man an den konkreten Fall des André Shepherd herankommt, umso mehr muss man feststellen, er kriegt vom Gericht eher Steine als Brot.
    Barenberg: Und das stört Sie. Warum?
    Mesovic: Mich stören ganz konkrete Ausführungen, insbesondere auch in der Presseerklärung des Gerichtshofes, die ja mit den Richtern eng abgestimmt wird. Da muss man lesen, dass der Gerichtshof davon ausgeht, dass im Fall einer bewaffneten Intervention mit UN-Mandat grundsätzlich gewährleistet ist, dass keine Kriegsverbrechen begangen werden. Da kann ich doch nur sagen, in welcher Welt leben die Richter und wie viel realistischer war die Generalanwältin Frau Sharpston, die gesagt hat, in jedem Krieg muss man davon ausgehen, dass Kriegsverbrechen begangen werden. Und sie hielt das praktisch für selbstverständlich und gar nicht ausführlicher begründungsbedürftig. Hier ist sozusagen, ich würde fast sagen, eine gespielte Naivität des Gerichtshofs und eine Verbeugung vor UN-Mandaten. Nun ist es ja besonders umstritten, wie das UN-Mandat für den Irak-Krieg zustande gekommen ist und wie dieser Charakter dieses Krieges insgesamt zu bewerten ist, völkerrechtswidrig oder nicht. Deutschland hatte ja da auch eine explizite Position eingenommen. Das wird dann bedeuten, dass man vorm Verwaltungsgericht München sich - die Szene wird quasi zum Tribunal gemacht von Luxemburg - damit Auseinandersetzen muss, wie dieser Krieg letztendlich geführt worden ist, um sich hier mit dieser Tatsachenbehauptung des Gerichtes auseinanderzusetzen. Das ist das eine.
    Barenberg: Das müssten jetzt deutsche Gerichte im Grunde prüfen ob Anhaltspunkte, Indizien für Kriegsverbrechen vorliegen. Das wäre dann ein Grund, nach dem man dem Deserteur hier Asyl gewähren könnte.
    Mesovic: Genau.
    Barenberg: Ich möchte noch auf einen anderen Punkt zu sprechen kommen, wenn ich den richtig verstanden habe, dass es grundsätzlich gelten muss, wenn ein Staat jemanden, der desertiert, mit Freiheitsentzug bedroht und anderen möglichen Strafen, dass das zunächst einmal kein Grund sein kann, irgendwo anders Asyl zu beantragen. Können Sie dieser Argumentation folgen?
    "Nicht klar, was der Gerichtshof da im Detail gesagt hat"
    Mesovic: Partiell. Ich finde, da hat der Gerichtshof eher Unklarheiten gelassen. Es gibt in der Frage der Desertation, der Kriegsdienstverweigerung sozusagen einen klassischen Konflikt zwischen dem Anspruch souveräner Staaten, ihre Staatsangehörigen zum Militärdienst heranziehen zu können, und der Gewissensentscheidung, dem Interesse, den legitimen Interessen aus unserer Sicht von Deserteuren, insbesondere aus menschenrechtswidrigen Kriegen. Und es ist durchaus nicht klar, was der Gerichtshof da im Detail gesagt hat. Es entsteht aber der Eindruck, dass er eben dieses Recht der souveränen Staaten sehr weitgehend auslegt und sagt, wenn dann wie im Fall Shepherd theoretisch "nur" eine Freiheitsstrafe zwischen 100 Tagen und 15 Monaten - es gibt auch höhere Strafmaße - droht, dann hat er sehr stark signalisiert an das bayerische Verwaltungsgericht, so würde ich es auslegen, dass er das sozusagen per se noch nicht für asylrelevant hält. Und er hat gar nicht behandelt die Frage, wie sie die Generalanwältin aufgeworfen hatte, nämlich mit der Genfer Flüchtlingskonvention. Wenn ein solcher Deserteur wie André Shepherd in seiner Heimat verurteilt, zum Beispiel aber auch sozial ausgegrenzt würde in einer Form, die diskriminierend ist, ich sage mal im zivilen Leben kaum noch einen Fuß auf den Boden bekommt, kann das dann nicht sein, dass er Angehöriger einer ausgegrenzten sozialen Gruppe ist und im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention Flüchtling wäre?
    Barenberg: Herr Mesovic, das berührt ja den allgemeinen Punkt oder die Frage, welche Folgen das möglicherweise über diesen Fall hinaus haben könnte. Würden Sie auch sagen, wie es unsere Korrespondentin angedeutet hat, dass Deserteure in Zukunft prinzipiell größere Chancen haben, Asyl zu beantragen, als beispielsweise Flüchtlinge?
    Mesovic: Auf der Positivseite stehen zumindest Äußerungen des Gerichts zur Frage: Wer ist verantwortlich? oder Um wessen Gewissen geht es? Das Gericht hat deutlich gesagt: Auch der, der nur Hilfsdienste leistet, Service-Mechaniker ist, kann sich auf sein Gewissen jedenfalls beziehen. Und die Frage der Mandatierung stellt sich ja nicht in jedem Krieg, der mit völkerrechtswidrigen Mitteln geführt wird. Ich denke zum Beispiel an die große Zahl der Verweigerer aus dem jetzigen Ukraine-Krieg, aus meiner Sicht auf beiden Seiten völkerrechtswidrig geführt, die meiner Ansicht nach durchaus Chancen hätten, auf der Basis dieser Entscheidung vielleicht anerkannt zu werden.
    Barenberg: Bernd Mesovic, der rechtspolitische Referent von Pro Asyl. Danke für das Gespräch heute Mittag.
    Mesovic: Ich danke Ihnen auch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.