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Falscher AfD-Professor
Titel-Doping für den Wahlkampf

Wenn ein Politiker im Wahlkampf als "Herr Professor" auftritt, dann bringt das vermutlich Wählerstimmen. Nach dem Motto: Ein gelehrter Akademiker wird wohl gute Politik machen. Doch was ist, wenn sich der Titel nach der Wahl als Fake erweist? Juristisch ist das ein klarer Fall. Politisch aber nicht.

Von Moritz Küpper | 08.10.2020
Gunnar Beck spricht beim Delegiertenparteitag der Alternative für Deutschland (AfD).
Als Professor und Fachanwalt für EU Recht in London hatte sich Gunnar Beck im November 2018 auf dem Parteitag der AfD Kandidat für die Europawahl vorgestellt (Sebastian Willnow / dpa-Zentralbild/dpa )
Anfang des Jahres steht Gunnar Beck am Rednerpult im Europa-Parlament: "Thank you, Mr. President." Brexit-Debatte: Beck, 54 Jahre, Jurist, arbeitete als Hochschullehrer in London, sitzt nun, seit zwei Jahren für die Alternative für Deutschland, kurz AfD, im Europarlament. Er dankt vor allem seinen britischen Kollegen, die – wegen des Brexits – zum letzten Mal da sind. "Dear Colleagues, especially those, who are here for the last time."
Zustimmung im Parlament. Becks britischer Akzent ist unüberhörbar – doch der in Düsseldorf geborene Beck ließ sich nicht in England, sondern in Deutschland ins Europa-Parlament wählen: "Ich bin Professor und Fachanwalt für EU Recht in London", so hatte sich Beck im November 2018 auf dem Parteitag der AfD in Magdeburg als Kandidat für die Europawahl vorgestellt. Mit professoraler Autorität klagte Beck Rechtsbruch durch die Institutionen der EU an und stellte sich vor als "Verfasser der einzig ehrlichen und dennoch beachteten Studie zum EuGH, das heißt des Gerichts, das regelmäßig Unrecht zu EU Recht erklärt."
Herr Dr. Beck und der Professorentitel
Der Lohn: Er wurde auf Platz zehn der AfD-Liste gewählt. Das Problem: Gunnar Beck ist kein Professor – zumindest nach deutschem Recht. Kurz vor der Europa-Wahl im Mai 2019 berichteten das Internet-Fachforum "Verfassungsblog" sowie der Deutschlandfunk darüber.
"Die Tätigkeit des britischen ‚Reader‘ sei mit einer deutschen Professorenstufe nicht zu vergleichen und stehe auch in England unter der Professur, heißt es im Düsseldorfer Ministerium. Auch die Bezeichnung "Fachanwalt für EU Recht", mit der sich Gunnar Beck schmückt, ist in Deutschland unzulässig."
Die Aufregung war groß, das nordrhein-westfälische Wissenschaftsministerium beschäftigte sich mit dem Fall, da Beck Neuss als deutschen Wohnort angegeben hatte: "Wir haben den Fall geprüft und haben Herrn Doktor Beck das Ergebnis mitgeteilt", sagte damals Ministeriums-Pressesprecher Jochen Mohr.
Aus datenschutzrechtlichen Gründen dürfe das Ministerium zwar keine detaillierten Angaben machen, doch Mohrs Wortwahl "Dr. Beck", ist aussagekräftig genug: "Nach unserer Erkenntnis gibt es derzeit keinen Anhaltspunkt dafür, dass Herr Dr. Beck den Professorentitel weiter führt."
Der Effekt des Titels
Doch: Weil die Medienberichte damals zu spät kamen, weil sein Name und Titel schon auf den Wahlzetteln für knapp 65 Millionen Wahlberechtigte in Deutschland stand sowie eine Korrektur nach Angaben des Bundeswahlleiters nicht mehr möglich war, da die Briefwahlunterlagen bereits verschickt waren, konnte Beck als Professor kandidieren – und ins Parlament einziehen.
"Na ja, das war der aktuelle Anlass, dass wir gehört, gelesen haben, in der Zeitung von Gunnar Beck. Dann haben wir uns hingesetzt. In der Mittagspause war das das Thema, beim Mittagessen in der Arbeitsgruppe und haben überlegt wie können wir denn so was eigentlich abschätzen, ob das jetzt einen Unterschied macht oder nicht", sagt Thomas Gschwend. Er ist Professor für Politikwissenschaften an der Universität Mannheim, spezialisiert auf quantitative Methoden.
Die Causa Beck war für sein Team und ihn Anlass mal zu schauen, ob ein Professoren-Titel – egal ob richtig oder falsch – einen Effekt hat. Mithilfe von CDU-Ergebnissen aus der Vergangenheit, erstellten die Wissenschaftler eine Studie – und legten ihr Rechen-Modell auf die AfD-Liste an, auf der neben Gunnar Beck noch ein zweiter Professoren-Titel aufgeführt war: "Und dann kam eben raus, wenn der Professorentitel eben weg wäre, dieser zweite, wie er korrekterweise hätte sein sollen, würden die mit einer Wahrscheinlichkeit von 77 Prozent eben ihren elften Sitz verlieren. Das ist ein ziemlich großer Wert. Erstaunlicherweise. Hat uns auch selber überrascht."
Gschwend spitzt es sogar noch zu: "Es ist ein bisschen wie Doping. Also vielleicht könnte man so sehen, dass wir die Rolle von so einem Videoschiedsrichter jetzt gespielt haben und haben so angeguckt sozusagen mit ein bisschen Zeitverzögerung. Welchen Effekt hatte das? Wobei die Kritik an dem Punkt war ja eigentlich schon da. Also, hätte man vielleicht schon vorher reagieren müssen. Aber das ist jetzt eine juristische Frage, da weiß ich nicht Bescheid, wieviel man da hätte früher noch eingreifen können."
Schützende Immunität
"Das Ermittlungsverfahren wurde zunächst wegen der Immunität des Beschuldigten, welche ein Verfahrenshindernis darstellt, vorläufig eingestellt. Das Europäische Parlament hat jetzt die Immunität des Beschuldigten aufgehoben, so dass die Ermittlungen in dem Verfahren wieder aufgenommen wurden und derzeit noch andauern", sagt Laura Hollmann, Sprecherin der Staatsanwaltschaft Düsseldorf im Sommer dieses Jahres. Über zwei Jahre nach der Wahl. Denn Beck genoss Immunität.
Doch: Zeigt das nicht ein Problem? Kann jemand sich einfach mit einem Titel schmücken, seine Wahlchancen verbessern und dann – Mithilfe von Immunität – die weitere Verfolgung solange hinauszögern, bis schon einige, lukrative Parlamentsjahre hinter ihm liegen?
"Der Titelmissbrauch wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft", sagt Hollmann zum juristischen Strafmaß. Doch: Politisch? Scheint der mutmaßliche Titelmissbrauch folgenlos zu bleiben. Weitere Recherchen scheinen dieses Dilemma zu bestätigen: Vom Bundeswahlleiter muss Beck beispielswiese keine Konsequenzen fürchten. Unsere Arbeit ist vorbei, wenn sich das Parlament konstituiert hat, heißt es aus dessen Büro im Wiesbaden gegenüber dem Deutschlandfunk.
Rechtlich wäre es nun am Bundestagspräsidenten, einzugreifen. Im Jahre 2010 machte beispielsweise der Fall Dieter Jasper Schlagzeilen. Der CDU-Bundestagsabgeordnete hatte einen Doktor-Titel geführt, diesen nach seiner Wahl aber abgelegt. Begründung: Er sei in Deutschland nicht anerkannt. Die Opposition protestierte, forderte den Rücktritt, der damalige Bundestagspräsident Norbert Lammert beschied jedoch keinen Einspruch einzulegen, nachdem das gegen Jasper angestrengte Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Münster gegen eine Zahlung von 5000 Euro eingestellt wurde.
Anfragen bleiben unbeantwortet
Jasper habe zwar Titelmissbrauch begangen, aber seine Schuld sei durch eine geständige Einlassung und Reue gekennzeichnet. Der Fall Beck nun offenbart aber ein grundsätzliches Dilemma, sagt auch Politikwissenschaftler Gschwend: "Also ich glaube, was man auf jeden Fall weiß, ganz sicher, dass solche Titel, die bringen erstmal Stimmen. Jetzt ist das natürlich ein Problem, weil das ja eine Chancenverzerrung ist, sozusagen. Die AfD hat dadurch, dass da ein falscher Professor auf der Liste war, hat sie etwas vorgegaukelt, was sie eigentlich gar nicht hätte machen sollen und dadurch womöglich einen Wettbewerbsvorteil erlangt. Und das ist natürlich problematisch."
Im Bundesinnenministerium – dem zuständigen Gesetzgeber – heißt es jedoch: "Fragen der Ausgestaltung des Wahlrechts sind nach langjähriger Staatspraxis Sache des Deutschen Bundestags. Die Bundesregierung bringt in diesem Bereich üblicherweise keine eigenen Initiativen ein. Ob wegen Unregelmäßigkeiten im Vorfeld der Bundestagswahl ein Wahlfehler vorliegt, prüft nach Art. 41 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem Wahlprüfungsgesetz der Deutsche Bundestag. Er bedient sich dazu seines Wahlprüfungsausschusses."
Eine Anfrage zum Fall Beck bleibt von der Bundestagsverwaltung jedoch unbeantwortet. Genauso wie eine Anfrage an die Bundespartei AfD. Und auch Gunnar Beck äußert sich auf die Frage, ob er – sollte seine strafrechtliche Schuld festgestellt werden – sein Mandat zurückgeben werde, nicht. "Leider kann ich Ihnen zurzeit keine Auskunft hinsichtlich der laufenden Ermittlungen geben", schreibt er zurück.