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Falschnachrichten-App für Schüler
Boulevard = Fake?

Was sind echte Nachrichten, was falsche? Gymnasiasten in Niedersachsen haben im Unterricht eine App getestet, die ihnen beibringen soll, Fake News zu erkennen. Welche Meldungen als "fake" eingeordnet werden, bestimmt die App allerdings nach sehr umstrittenen Kriterien.

Von Dietrich Mohaupt | 27.06.2017
    Ein Mann hält am 23.05.2017 bei einer Pressekonferenz in Hannover (Niedersachsen) ein Tablet mit einer App zur Überprüfung von Fake News in den Händen. Niedersachsens Kultusministerin Heiligenstadt (SPD) stellte neu entwickelte Unterrichtsmaterialien zum Thema «Fake News und Social Bots im digitalen Zeitalter» vor. Mit einer App können Schüler Texte in Gestalt einer «Fake News Ampel» auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfen lassen.
    Mit Hilfe einer App sollen Schüler im Unterricht lernen, Fake News zu erkennen. (dpa/ Silas Stein)
    Große Pause am Gymnasium im Schloss in Wolfenbüttel. Gefühlt die Hälfte der Schülerinnen und Schüler ist sofort am Smartphone in Facebook, Twitter und Co. vertieft. Wichtiges von Unwichtigem, seriöse Quellen von unseriösen zu unterscheiden - das ist eine Herausforderung, bei der den Schülerinnen und Schülern in Niedersachsen künftig zwei neue Unterrichtseinheiten helfen sollen.
    App für den Unterricht
    Und weil bei ihnen eben das Smartphone eine so zentrale Rolle spielt, wurde extra eine App entwickelt - als ein Baustein für die Gestaltung von Unterrichtseinheiten rund um das Thema Falschinformation und Manipulation im Internet, erläutert die niedersächsische Kultusministerin Frauke Heiligenstadt.
    "Man könnte natürlich die Unterrichtseinheit zum Thema Fake News auch ohne die App gestalten. Wir wissen aber, dass Schülerinnen und Schüler natürlich gerade mit Smartphones, mit den digitalen Medien, wie selbstverständlich umgehen. Und dann ist natürlich - gerade eine App in den Unterricht einzubauen - eine gute Möglichkeit, die Schülerinnen und Schüler auch besser anzusprechen."
    Grün ist glaubwürdig, Rot ist fragwürdig
    Die gerade einmal 9 Megabyte große App ist schnell auf dem Smartphone installiert. 19 Fragen sollen helfen, auffällige Meldungen aus dem Internet schnell auf ihre Glaubwürdigkeit hin zu überprüfen - so die vielversprechende Beschreibung. Am Ende leuchtet dann der Smartphone-Bildschirm in kräftigen Farben: Grün, wenn die Meldung wahrscheinlich glaubwürdig ist - Rot bei eher fragwürdigen Nachrichten. Eine verständliche Anleitung, einfache Handhabung - die App wirkt bei einem kurzen Test mit Schülerinnen und Schülern aus einer 9. Klasse des Wolfenbütteler Gymnasiums aufgeräumt, klar strukturiert. Mit einem Fingerwisch werden die Fragen einzeln aufgerufen.
    "Wie stark sind die Gefühle - zum Beispiel Freude, Schadenfreude, Trauer, Angst oder Wut, die die Meldung in dir auslöst?"
    "Naja, ich würde eher sagen neutral - also schon in der Mitte."
    "Ja, vielleicht eher noch ein bisschen auf schwach."
    "Das nächste war, wie weit der Artikel auffällig gestaltet ist, durch Großbuchstaben und durch Schrift. Und da denke ich, ist das auch relativ neutral gehalten."
    Fragwürdige Kriterien für Fake News
    Genau diese Art der Fragestellung der App stößt nicht überall auf Verständnis. Warum ausgerechnet starke Gefühle, ausgelöst durch eine besondere Aufmachung von Schlagzeilen in fetter Schrift und Großbuchstaben, vielleicht auch durch Bilder oder Videoclips, warum also ausgerechnet diese typischen Stilmittel der Boulevardpresse als ein Kriterium für Fake News herhalten sollen, vermag der Vorsitzende des niedersächsischen Philologenverbandes, Horst Audritz, nicht so recht einzusehen.
    "Dahinter steht ja so die Intention, dass Boulevardpresse automatisch mit Fake News zu tun hat - das muss überhaupt nicht sein. Oder eine andere Frage: Enthält die Meldung Bilder, die Emotionen auslösen? Bilder können förderlich sein. Die Sachlichkeit ist oft mehr hinterfragbar als die Emotion."
    Im Glossar wagen die App-Autoren sogar die recht forsche These, dass die Boulevardpresse prädestiniert für die Produktion von Fake News sei. Deren Artikel seien in der Regel von minderer Qualität, bedienten Klischees und seien selten sauber recherchiert, heißt es dort wörtlich. Belege für diese Behauptung - Fehlanzeige. Damit droht die App selber zu einem Fall von Fake News zu werden. Denn fehlende Quellenverweise oder ein fehlendes Impressum zum Beispiel bewertet die App an anderer Stelle als klaren Hinweis auf Falschmeldungen.
    Mit Vorsicht zu genießendes Hilfsmittel
    Insgesamt müsse man die App kritisch betrachten, meint Horst Audritz.
    "Ich sage zu meinen Schülern immer: Erst denken, dann daddeln. Entscheidend ist also immer noch das, was der Mensch tut, nicht was die Technik einem vorgibt. Man muss lernen zu interpretieren, man muss zwischen den Zeilen lesen können, man muss Ironie erkennen. Das kann man nicht abgeben an eine Maschine, an einen Algorithmus oder eine App - wie auch immer."
    Ein Werkzeug, nicht mehr und nicht weniger - genau so schätzen auch die Schülerinnen und Schüler am Wolfenbütteler Gymnasium die App ein. Als Anregung für eine vernünftige Fragestellung könne man sie nutzen, so das Fazit, aber…
    "Ich würde jetzt zum Beispiel nicht fragen, ob der Tweet emotional ist oder nicht, sondern macht das Sinn, was dort getwittert wurde oder hat das irgendeine Logik oder einen Hintergrund."
    "Natürlich kann man alleine herausfinden, ob es Fake ist oder nicht. Aber mit dieser App wird das nochmal unterstützt, weil sie da wirklich Schritt für Schritt ran führt. Und ich denke schon, dass das hilfreich ist."
    "Es ist vielleicht ganz gut, einen groben Überblick dazu zu kriegen. Aber ich denke, das alleine wird nicht ausreichen, um dann festzustellen, ob diese News Fake ist oder nicht."