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Staatsoper Hamburg
Falstaff in der Glashaus-Toilette

Er gilt als eine Art Anarchist, als Genussmensch, Schmarotzer und Egoist: Die Titelfigur Falstaff in Verdis Oper. In Hamburg inszeniert Calixto Bieito die Geschichte nun in deftigen Bildern, temporeich, aber szenisch banal. Die Sänger wie Ambrogio Maestri in der Titelrolle begeistern jedoch.

Von Elisabeth Richter | 20.01.2020
    Der Sänger Ambrogio Maestri sitzt in der Rolle des Falstaff auf der Bühne der Staatsoper Hamburg.
    Alles wird durchsichtig: Falstaff haust im Pub, der im Verlauf des Abends seine Wände verliert (Staatsoper Hamburg / Monika Rittershaus)
    Gleich zwei Frauen will Falstaff parallel verführen, Alice Ford und Meg Page. Das geht gründlich schief. Die Damen in Verdis genialem Spätwerk schließen sich konspirativ zusammen, finden ein paar Verbündete und schmieden ein Komplott gegen den fülligen Genussmenschen mit dem Ziel ihn bloßzustellen und zur Reue zu zwingen. Der düpierte Falstaff beweist Humor, indem er seinen Widersachern klarmacht, dass sie durch ihn auch aus ihrer alltäglichen Langeweile kommen und Spaß haben: "Tutto nel mondo è burla": Alles ist Spaß auf Erden.
    Mitternächtliches Verkleidungsspektakel
    Doch es heißt auch "Tutti gabati" am Ende in Verdis berühmter Fuge. Salopp übersetzt, meint es "alle sind gelinkt, hintergangen". Kollateralschäden gehören mit zur Geschichte. Ein paar der schadenfreudigen Intriganten, die sich auf Falstaffs Kosten amüsieren, bekommen bei dem perfiden Verwirrspiel auch einen Denkzettel. Der eifersüchtige, "besitzgeile" Ford, Ehemann von Alice, sieht seine Frau als "Hab und Gut", ist außerdem gegen die Heirat seiner Tochter Nannetta mit dem armen Fenton und will sie lieber dem reichen Dr. Cajus anvertrauen. Das finale, mitternächtliche Verkleidungsspektakel – alle Rachsüchtigen maskieren sich als Geister und bescheren Falstaff eine Panikattacke – will Ford durch die Vermählung von Nannetta und Cajus krönen. Nur hat die als Feenkönigin verkleidete Tochter ihr Kostüm mit Falstaffs Spießgesellen Bardolfo getauscht. Diesen hat Ford also mit Cajus verheiratet. Auch Ford macht gute Miene zum bösen Spiel und wünscht Nannetta und Fenton alles Gute.
    Maestri beweist seine Klasse in der Titelrolle
    Gelbes T-Shirt, Jeans, Turnschuhe. Wie ein edler Ritter sieht Ambrogio Maestri als Falstaff in der Hamburger Inszenierung nicht grade aus. Und augenzwinkernd lustig oder zumindest bittersüß im Spiel mit Schein und Sein kommt Verdis letzte Oper bei Regisseur Calixto Bieito auch nicht daher. Nur eins ist sicher: Mit Ambrogio Maestri in der Titelpartie hat man sich einen der besten Falstaff-Sänger eingekauft, die zurzeit zu haben sind. Seit fast 20 Jahren ein Star in dieser Rolle bewies Maestri mit kernig-rundem Bariton, exzellenter Textverständlichkeit und nur minimalen Premierenunsicherheiten auch in Hamburg seine Klasse.
    Einen stattlichen Bauch muss man Ambrogio Maestri für den körperlich wohl ausgestatteten Genießer Falstaff auch nicht unterjubeln, den bringt er mit. Wenn er am Schluss ohne T-Shirt gepiesackt wird, oder die Intrigantinnen Alice Ford und Meg Page ihn nicht im Wäschekorb in die Themse befördern, sondern einen Kübel Kot über ihn gießen - später sitzt Falstaff dann in einer Glashaus-Toilette, reinigt sich und sinniert über die Schlechtigkeit des Lebens - dann sind das schon deftige, aber auch unnötige Bilder, die keinen höheren Erkenntniswert für das Stück bringen. Das kennt man von dem Bühnenrealismus-Fetischisten Bieito seit vielen Jahren. Harmloser ist das Herumgespritze mit Schampus-Flaschen oder das angedeutete Verprügeln des Titelhelden mit Gürteln. Im Ganzen ist dieses schenkelklopfende Gebaren doch ein recht vordergründiges Vergnügen. Bei Verdi, Boito und Shakespeare geht es subtiler zu.
    Einfallslos und klischeehaft: die Inszenierung
    Falstaff haust im Pub "The Boars Head" (Der Wildschwein-Kopf). Da sitzt er anfangs Austern schlürfend vor dem grünen Gasthof, in den man von einer Seite hineinschauen kann, später kocht er Pasta. Die Bühne von Susanne Gschwender dreht sich und verliert im Verlauf die Wände, alles wird durchsichtig, so wie der Titelheld und sein lüsternes Treiben immer mehr entlarvt werden. Im offenen doppelstöckigen Pub kann man so auch Parallelhandlungen sehen, etwa wie sich oben Nannetta und Fenton heimlich lieben.
    Einzig Falstaffs Angst beim Mitternachtsspuk vor den ihn bedrängenden vermeintlichen Geistern hat einen Moment von Poesie. Die als Feenkönigin auftretende Nannetta wird von Elbenita Kajtazi zauberhaft gesungen. Ansonsten erzählt Calixto Bieito die Geschichte zwar temporeich, aber einfallslos und klischeehaft. Viel zu oft wird zur Musik einfach nur gewippt oder mit den Händen gewedelt.
    Kommt dieser neue Hamburger "Falstaff" szenisch banal daher, so kann er sich musikalisch allemal hören lassen. Neben dem grandiosen Ambrogio Maestri als Falstaff begeisterten die Sopranistin Maija Kovalevska als stimmlich und darstellerisch facettenreiche Strippenzieherin Alice Ford, genauso wie ihre Sekundantin und Mezzosopranistin Nadezhda Karyazina als Mrs. Quickly oder Markus Brück als am Ende ebenfalls düpierter Ford. Dirigent Axel Kober leitete das Philharmonische Staatsorchester Hamburg sicher differenziert, abzüglich einiger Wackler, durch Verdis komplexen und phantasievollen Spätstil. Für das Regie-Team gab es kräftige Buh-Salven.