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Falter: Von der Leyen hat auf etwas Richtiges aufmerksam gemacht

Trotz Kritik an Bundesarbeitsministerin von der Leyen (CDU) werde die Union die Notwendigkeit einer Zusatzrente anerkennen, meint Jürgen Falter. Der Parteienforscher vermutet, dass es am Ende auf eine steuerfinanzierte Rentenaufstockung hinauslaufen werde.

Sandra Schulz im Gespräch mit Jürgen Falter | 04.09.2012
    Sandra Schulz: Das Problem ist erkannt, die Lösung aber, die ist höchst umstritten. Am Wochenende hat Sozialministerin von der Leyen neue Dynamik in die Diskussion gebracht um Altersarmut, um die Rente, um sinkende Renten - mit ihrer Ankündigung, künftig würden immer mehr Durchschnittsverdiener am unteren Ende der Rente landen. Sie hat das als Argumentationsbasis genutzt für ihre Forderung nach einer Zuschussrente, stößt damit aber nach wie vor in ihrer eigenen Partei, bei der Union auf Widerstand.
    Wir bleiben beim Thema hier in den "Informationen am Mittag" im Deutschlandfunk. Am Telefon begrüße ich Professor Jürgen Falter, Politikwissenschaftler von der Uni Mainz. Guten Tag!

    Jürgen Falter: Guten Tag!

    Schulz: Jetzt, wir haben es gerade gehört, gehen die Wogen im Streit um die Rente wieder höher. Merken wir daran, dass im nächsten Jahr gewählt wird?

    Falter: Ach, das hat sicherlich etwas damit zu tun. Aber es sind auch sachliche Gründe, die tatsächlich nicht nur vorgeschoben werden, sondern zurecht vorgebracht werden. Frau von der Leyen hat einfach zunächst mal einen Stein ins Wasser geworfen und das sichtlich nicht so abgesprochen mit ihrer eigenen Partei, mit den Koalitionspartnern und mit der Bundeskanzlerin, dass alle hinter ihr stünden.

    Schulz: Die Rentner hören ja - und das sind unter den Wählern ja viele, rund 20 Millionen - gerne, dass man sich um ihre Belange kümmert. Warum stellt sich die Union dann nicht hinter die Sozialministerin?

    Falter: Die unterschiedlichen Flügel der Union haben ganz unterschiedliche Interessen: der Wirtschaftsflügel beispielsweise ist der Überzeugung, dass man nicht über Rentenbeiträge die Zusatzrente finanzieren sollte, weil das ja auch die Arbeitgeber belasten würde durch höhere Beiträge, sondern dass das, wenn schon, dann steuerfinanziert geschehen sollte, dass man nicht vermischen sollte, sagen wir mal, Sozialpolitik als Umverteilungspolitik einerseits und die Sozialversicherung andererseits.

    Schulz: Lässt sich das heute sagen, trotz der Diskussionen, die noch bevorstehen, auf welche Position steuert die Union da zu?

    Falter: Ich glaube, die Union wird wohl einerseits anerkennen, dass die Zusatzrente oder etwas Ähnliches tatsächlich notwendig ist. Das könnte auch eine Grundrente sein, wie es das in den Niederlanden beispielsweise gibt, oder in skandinavischen Ländern, die dann steuerfinanziert ist, und ich könnte mir auch vorstellen, dass es stärker auf die Steuerfinanzierung hinausgeht, vielleicht in einem Kompromiss, dass man jetzt die Rentenüberschüsse vielleicht aufspart für Anfangsjahre, um dann in eine Steuerfinanzierung zu gehen. Aber irgendetwas wird kommen, irgendetwas muss kommen, und Frau von der Leyen hat tatsächlich auf etwas aufmerksam gemacht, was zwar jedem Beobachter irgendwann mal klar war, das wir aber wieder vergessen haben.

    Schulz: Jetzt tut sich die SPD ja nicht wesentlich leichter mit dem Thema Rente. Sie wollten schon mehrfach ihre Präsentation bringen zum Thema Altersruhegeld, haben sie immer wieder verschoben. Wann müssen sich die Sozialdemokraten denn entscheiden?

    Falter: Ja die müssen sich natürlich schon irgendwann entscheiden. Die sind aber in einem argen Dilemma: Die sind sich nämlich völlig uneins in der Partei darüber, ob denn das Rentenniveau tatsächlich abgesenkt werden soll, wie das unter Beteiligung, unter Führung der SPD entschieden worden ist, oder ob man beim jetzigen bleiben soll, ob man bei der Altersgrenze 67 bleiben soll, die gesetzlich festgelegt ist, irgendwann, 2029, oder ob man auf die alte Altersgrenze 65 runtergehen soll. Da ist noch viel Arbeit zu leisten und da ist sich die SPD noch überhaupt nicht einig, wenn ich es richtig sehe, und deswegen schweigt sie mehr oder minder beredt.

    Schulz: Sie haben es gerade schon angedeutet: Das Rentenniveau ist unter Rot-Grün ja gesenkt worden auf 43 Prozent. Wie will man das verheimlichen im Wahlkampf?

    Falter: Das kann man nicht verheimlichen im Wahlkampf. Man kann natürlich sagen, die Bundesregierung, die jetzige, ist an allem Schuld, weil sie sich irgendwie der Diskussion verwehrt, weil sie an dem festhält, was man in der Zwischenzeit als nicht so richtig gesehen habe, aber irgendwie kommt man da nicht weg davon. Das ist ja auch eine Frage der Mathematik, der Arithmetik. Das hat die SPD ja nicht willkürlich damals mit entschieden, sondern das ist entstanden aufgrund der Berechnungen, aufgrund der demografischen Entwicklung, und es führt eigentlich kein Weg daran vorbei, wenn man nicht in die volle Steuerfinanzierung oder stärkere Steuerfinanzierung hinein möchte.

    Schulz: Und sehen Sie da dann auch den Zusammenhang zwischen der Positionierung in dieser sozialpolitischen Frage und der Kandidatenfrage bei der SPD?

    Falter: Ach Gott, eigentlich sind alle drei Kandidaten sich einig, dass eine Niveausenkung notwendig ist, dass die Anhebung auf 67 des Renteneintrittsalters, des gesetzlichen Renteneintrittsalters auch notwendig ist. Gabriel ist da etwas, sagen wir mal, kompromissfähiger, er lässt vermutlich stärker mit sich handeln, Steinbrück schon gar nicht, aber auch Frank-Walter Steinmeier. Die werden nicht davon abrücken, die können rechnen.

    Schulz: Wenn wir versuchen, einen Strich darunter zu machen, welcher Volkspartei macht das Thema Rente schwerer zu schaffen?

    Falter: Ich glaube, es macht im Augenblick der SPD schwerer zu schaffen, da dort der linke Flügel relativ stark ist in seinen Forderungen, auch die Gewerkschaften, unterstützt von den Gewerkschaften. Die CDU weiß, sie muss sich um die Altersrente in besonderer Weise kümmern, denn ein Großteil der Wähler der CDU und der CSU sind tatsächlich im Rentenalter, oder stehen ganz dicht davor. Das heißt, die haben ein ganz besonderes Interesse daran.

    Schulz: Und das fällt damit zusammen, dass wir ja eigentlich wissen - das weiß auch die Koalition, das weiß auch die Opposition -, dass wir wegen der demografischen Entwicklung ja entweder an Einschnitten, oder an Milliardenkosten auf keinen Fall vorbei kommen werden. Ist das überhaupt ein geeignetes Wahlkampfthema, die Rente?

    Falter: Ich glaube, sie ist kein Wahlkampfthema, ein geeignetes. Das könnte es sein, wenn es um Grundsatzfragen ging, ob beispielsweise das steuerfinanzierte Grundeinkommen, eine Grundrente eingeführt werden sollte ja oder nein, ob alle beteiligt werden sollten an den Beitragszahlungen, also auch Beamte und Freiberufler, Selbstständige, ob man ein Schweizer Rentensystem einführt beispielsweise. Aber diese Detailfragen sind meines Erachtens nicht wahlkampfgeeignet, die sollte man doch versuchen, in einem überparteilichen Konsens zu lösen, weil es die gesamte Gesellschaft wirklich hart trifft.

    Schulz: Der Politikwissenschaftler Professor Jürgen Falter, heute hier bei uns in den "Informationen am Mittag" im Deutschlandfunk. Danke dafür!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.