Dienstag, 23. April 2024

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Faltersammlung München
Die Suche nach dem Schmetterling

Die Zoologische Staatssammlung in München verfügt über die größte Schmetterlingssammlung der Welt. Zwölf Millionen kleine und große, bunte und sehr sehr bunte, vor allem aber meist wunderschöne, zarte Tierpräparate lagern im Institutsgebäude. Und beim Spaziergang in der Natur kann man sie auch flattern sehen - wenn auch immer seltener.

Von Sibylle Kölmel | 02.10.2016
    Ein Monarchfalter sitzt auf einer Blüte
    Ein Monarchfalter sitzt auf einer Blüte (Wilmshurst / picture-alliance / dpa)
    "Gehen sie ruhig rein. Es ist ein bisschen kühl, weil hier die Schmetterlinge unter kontrollierten Bedingungen aufbewahrt werden."
    Das ist die Sammlung des Bayerischen Staates, Freistaat Bayern – zoologische Staatssammlung München, das heißt, die Schmetterlinge, also alle Präparate von Tieren, die hier sind, das ist Eigentum und Schatz des Freistaates Bayern. Kulturgut letztendlich.
    Andreas Segerer hat eine schwere Eisentür geöffnet. Normalerweise kommen hier in die Magazinräume nur diejenigen rein, die sich wissenschaftlich mit den Schmetterlingen befassen. Der erste Eindruck: Schubkästen, überall Schubkästen, in Regalen bis unter die Decke, in unzähligen Reihen nebeneinander. An den Seiten alte Holzschränke, ebenfalls mit Schubkästen, flache Kästen mit gläserner Oberfläche, in denen Schmetterlinge – viele farbenprächtigst – aufgespießt sind. Es ist kühl hier.
    "Ich glaube Platz für 42.000 Kästen ist hier. Die Luftfeuchtigkeit wird runtergeregelt auf unter 50 Prozent. Und normalerweise ist es hier auch dunkel, weil die Farben der meisten Schmetterlinge unter Licht, also unter ultraviolettem Licht, leiden – und dann fangen die Farben an, zu verblassen. Das wollen wir nicht haben. Und gearbeitet wird dann mit den Präparaten in den Büroräumen der Wissenschaftler."
    Andreas Segerer geht voran und zieht einen Schubkasten hinaus. Darin aufgespießt und präzise angeordnet lauter kleine Ameisenbläulinge der Gattung Phengaris, bestimmt 100, 150 Tiere. Man fragt sich: Warum denn so viele?
    "Und schadet man damit nicht der Natur: Also dazu ist zu sagen, dass es zunächst mal hier Präparate sind, die zum Teil schon aus dem 18. Jahrhundert stammen. Die ältesten Sammlungsteile sind so um 1780 gesammelt worden. Bis heute. Und man braucht für die Wissenschaft auch tatsächlich viele Präparate von vielen verschiedenen geografischen Regionen der Erde, um feststellen zu können, wie groß ist denn die Variationsbreite einer Art. Im geografischen Sinn: Was ist eigentlich die Art und wo ist die Grenze zur nächsten Art. Und das Zweite ist, man braucht auch für die wissenschaftliche Forschung Belegexemplare vom selben Ort zu verschiedenen Zeiten - also die Zeitachse –, um feststellen zu können, wie haben sich denn die Bestände im Laufe dieser Zeit verändert. Und eventuell auch Ursachenforschung zu betreiben, woran dann natürlich der Naturschutz großes Interesse hat."
    Spannend auch, wer alles gesammelt hat. Unter anderem: Prinzessin Therese von Bayern. Ihre Schmetterlinge sind in einem wunderschönen alten Holzschrank aufbewahrt:
    "Und dort sind tatsächlich noch einzelne Kästen drin, in dem Fall mit tropischen, südamerikanischen Schmetterlingen. Die auch alle ein Etikett tragen. Das müsste man dann jetzt mühsam entziffern. Da würde dann draufstehen, wo und wann die Tiere gefangen wurden."
    Die Sammler und Forscher fangen die Schmetterlinge mit einem Kescher. Dann kommen sie in ein sogenanntes, mit Insektengift gefülltes Tötungsglas:
    "Und meistens, wenn sie direkt aus dem Tötungsglas kommen, sind sie auch ... ist die Muskulatur starr, das heißt, dann kommen sie erst mal einige Minuten in eine Atmosphäre aus Amoniakdampf, Salmiakdampf, der die Muskulatur erweicht. Dann sind sie richtig schön relaxiert. Man kann sie dann nadeln. Und dann kommen sie auf ein sogenanntes Spannbrett."
    Das wiederum ist ein kleiner Holz- oder Schaumgummiklotz mit einer Rinne in der Mitte, in die der Falter vorsichtig reingesteckt wird. Überhaupt ist eine feinmotorische Begabung beim Präparieren unbedingte Voraussetzung, ebenso eine große Sorgfalt – und viel Geduld:
    "Die Flügel werden nach links und rechts seitlich ausgebreitet und ganz vorsichtig mit Präpariernadeln in die richtige Position geschoben und dann mit Zellophanstreifen festgesteckt. Aber nicht durch die Flügel durch, weil dann werden die ja beschädigt, sondern drüber und drunter halt durch Zug fixiert, sodass dann die Flügel in der Position bleiben. Wie es gewünscht wird, im rechten Winkel vom Körper abstehend. Und das Ganze trocknet dann, je nach Größe, über einen Zeitraum von zwei Wochen bis vier, sechs Wochen."
    Präparation ist aufwändig
    Danach wird der Falter abgenommen, mit dem wissenschaftlichen Etikett versehen und in die Sammlung eingeordnet. Jetzt aber raus aus den kühlen Magazinräumen mit dem künstlichen Licht ins Freie, ins Auto von Andreas Segerer, hinten im Kofferraum der Kescher und lauter Forscherzeugs, Netze, Gläser. Los, auf die Autobahn gen Norden, in die Garchinger Heide, einem 27 Hektar großen naturgeschützten Gebiet mit knapp 300 nachgewiesenen Pflanzenarten, davon mehr als 50 auf der Roten Liste gefährdeter Arten. Zahlreichen Flechten, Moosen, Pilzen, Tieren. Diese Vielfalt bietet zahlreichen seltenen Schmetterlingen Lebensraum und Nahrung – wie diesem, der in diesem Moment dem sich senkenden Kescher von Andreas Segerer entflattert – und sich vom heute ziemlich starken Wind davon driften lässt:
    "Das ist einer unserer größten Tagschmetterlinge, der früher sogar in Gärten noch aufgetreten ist, weil die Raupen sich von Mohrrübenkraut ernähren. Und mittlerweile ist auch der Schwalbenschwanz relativ selten geworden, nur noch in so Insel-Biotopen, wo es einigermaßen noch intakte Natur hat."
    Dann noch ein Falter, der sich von einer Blüte in die Luft erhebt:
    "Ja, neben den Schachbrettfaltern fliegt hier noch ab und zu was Kleines, Dunkelbraunes auf, das ist eine Art, die mit wissenschaftlichem Namen Glycereon heißt. Ich glaube der braune Heufalter oder so ähnlich auf Deutsch. Das ist eine Art die eher an nährstoffarme Biotope angepasst ist und die deshalb auch nicht mehr überall in Deutschland zu finden ist."
    Tagpfauenauge, Zitronenfalter, Kleiner Fuchs, Schachbrett, Federgeistchen, Schwalbenschwanz: Das sind Schmetterlinge, so denkt man, also die, die man tagsüber sieht. Stimmt so auch, aber:
    "Tatsächlich ist es so, dass die Tagschmetterlinge, das ist eine verwandtschaftliche einheitliche Gruppe innerhalb der Schmetterlinge, die insgesamt nur fünf Prozent aller einheitlichen Arten darstellen. Also etwa 170, 180 Arten dürfte es in Deutschland geben, vielleicht 190 von Tagschmetterlingen. Und demgegenüber steht ein Heer von weit mehr als 3.200 Nachtfaltern und Kleinschmetterlingen."
    Tagschmetterlinge sind gekennzeichnet durch eine Reihe morphologischer Merkmale: Sie klappen die Flügel nach oben zusammen, haben keulenförmige Fühler und sind, wie der Name schon sagt, am Tag unterwegs,
    "Dahingegen, also das Heer der Nachtfalter und Kleinschmetterlinge wird auch wieder durch natürlich wissenschaftlich systematische Einteilungen weiter untergliedert. Wir haben etwa 1.200, 1.300 bayerische Großnachtfalter, das sind so diese dicken Brummer und Schwärmer und Eulen-Falter, die früher mal nachts durchs offene Fenster gekommen sind. Heute nicht mehr, weil es so wenige nur noch gibt."
    Viel mehr Nacht-Falter in der Natur
    Der Regensburger Schmetterlingsforscher liebt vor allem diese Nacht-Falter. Und die, die ganz ganz klein sind, stecknadelkopfklein, noch kleiner. Diese Minifalter, die sogenannten Kleinschmetterlinge, Zwergminier-Falter, Neptikolide, mit einer Spannweite von drei bis fünf Millimetern stellen sein Hauptforschungsgebiet. Auch sie sind farbenfroh, ihre Pracht sieht man aber nur:
    "Wenn man sie unter starker Vergrößerung, also zehn-, 20-fach vergrößert betrachtet. Dann kommen unglaublich feine Details raus. Und wo, um auch der Wahrheit die Ehre zu geben, teilweise nicht feststeht, wozu das gut ist, weil man es ja nicht so direkt, jedenfalls aus unserer großen Perspektive, erkennen kann. Aber Tatsache ist, dass manche Zeichnungselemente, auch von den winzigsten Schmetterlingen ... Die imitieren stechende kleine, kleinste Wespen, also sich als wehrhaftes stechendes Insekt zu tarnen, obwohl man selber völlig harmlos ist. Das gibt es bei den großen Schmetterlingen, aber auch bei den allerkleinsten Formen zum Teil."
    Im Frühling und Sommer führt Andreas Segerer Gruppen hier - und anderswo - durchs Gelände. Einmal im Monat gibt es sogenannte Bestimmungsabende für Hobbysammler. Der Kontakt zur Sammlerszene ist eng.
    Außerdem hat Andreas Segerer gerade einen umfangreichen Atlas sämtlicher in Bayern nachgewiesener Schmetterlingsarten erstellt. Seit über 50 Jahren beobachtet der Forscher jetzt Schmetterlinge. Und noch nie, so sagt er, habe er so wenige Arten in blütenreichen und auf den ersten Blick intakt scheinenden Biotopen gesehen wie gegenwärtig. Dass die Schmetterlingsvielfalt so abnimmt: Fast alle Schmetterlingsarten haben dramatische Bestandseinbrüche, meist aufgrund der Zerstückelung der Landschaft und der intensiven landwirtschaftlichen Nutzung. Das bedrückt Andreas Segerer sehr. Was könnte man den Schmetterlingen Gutes tun? Eine Möglichkeit des Schmetterlingschutzes, allerdings eine sehr aufwendige, wäre diese:
    "Den Garten aufgraben, Drainagen, also Kies reinlegen und einen Magerrasen, einen artenreichen Magerrasen anlegen. Das ist ein irrer Aufwand, Anleitungen dazu gibt es schon im Internet. Und wenn so was viele Leute machen würden, dann hätte man auch in den Städten oder Dörfern immer wieder so Mosaiksteine, wo sich eine größere Artenvielfalt noch halten könnte. Also praktisch so was, was wir hier in der Garchinger Heide haben im Kleineren nachzubauen. Ist aber eben sehr aufwendig und nicht so ganz trivial."
    Gibt's Leute, die das machen? – "Ja, einer sitzt grad neben Ihnen."
    Und was macht nun den Reiz, die Faszination des Schmetterlings eigentlich aus? Neben der Begeisterung über Artenfülle, Biologie und Vielfalt für den Wissenschaftler: Das Bunte, Federleichte, Zarte, die Schönheit der Farben, die Leichtigkeit des Seins – all das sei es:
    "Manche Schmetterlinge heißen mit wissenschaftlichem Namen Psychidae, die Seelchen. Also da sieht man auch schon so ein bisschen den Volksglauben, also dass Schmetterlinge auch durch diesen Zyklus von Raupe zur Puppe und einem fertigen Insekt so eine Art Wiedergeburt im mythologischen Sinn verkörpern. Was natürlich Quatsch ist, weil das ein und dieselbe Lebensform ist. Und wenn der Schmetterling tot ist ist er natürlich genauso tot. Aber ich glaube, mythologisch ist es auf diese Weise ein bisschen erklärbar, so als Sinnbild, dass aus der Puppe was Neues kommt. Und ich glaube, das ist doch etwas, was viele Menschen berührt und fasziniert."