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Faltschachtel ins All

Astronomie. - Der Nachfolger des Hubble-Weltraumteleskops ist bereits in Arbeit. Das James-Webb-Teleskop soll 2013 ins All starten. Zurzeit wird ein 1:1-Modell des Satelliten im Deutschen Museum in München ausgestellt, wo sich auch die beteiligten Wissenschaftler zu einem Workshop trafen.

Von Thomas Wagner | 13.10.2008
    Es ist ein Riesenungetüm, das seit heute vormittag im Innenhof des Deutschen Museums in München steht:

    "Wenn ich da hinaufschaue, dann denke ich sofort: Eine riesengroße Bienenwabe, die auf einem fliegenden Teppich fliegt. Riesig - das ist etwa zwölf Meter hoch. Aber noch interessanter ist, dass die Fläche in etwa so groß wie ein Tennisplatz ist."

    Was den Museumsbesuchern in Staunen versetzt, ist ein originalgetreues Modell des James-Webb-Weltraumteleskopes: Zum Staunen geben nicht nur die vier riesigen wabenähnlich übereinander angeordneten weißen Flächen Anlass, sondern ebenso der darauf aufgesetzte Spiegel, der so ähnlich aussieht wie ein überdimensionales Insektenauge. Die Oberfläche erscheint aus einigen Metern Entfernung glatt. Und so erkennt man kaum, dass der sechs Meter durchmessende Spiegel eigentlich aus 16 gleichförmigen Sechsecken besteht. In einer Art Kiste verpackt, wird diese Konstruktion ins All geschickt. Erst danach entfaltet sich das Teleskop zu seiner wahren Größe. Schon dieser Entfaltungsvorgang alleine ist eine überaus komplizierte technische Angelegenheit. Mit dem James-Webb-Teleskop wollen die Wissenschaftler Einblicke in Galaxien nehmen, deren Licht etwa 300 Millionen Jahre nach dem Urknall entstanden ist. Zum Vergleich: Das bisherige Weltraumteleskop "Hubble" analysiert Lichtquellen von Sonnensystemen aus der Zeit etwa eine Milliarde Jahre nach dem Urknall. Das bedeutet: Mit dem neuen Teleskop können die Forscher viel weiter ins Universum und damit auch viel weiter zurück in die Vergangenheit blicken als jemals zuvor. Und das ist auch der Forschungsauftrag, sagt John C. Mather von der amerikanischen Weltraumbehörde Nasa:

    "Das Geheimnis, mit dem wir uns ja ständig beschäftigen, ist doch: Warum gibt es uns überhaupt? Wo liegt das Geheimnis des Universums? Bis jetzt ist das eine riesige Lücke in unserem Wissen. OK, da gab es den Urknall - das ist bekannt. Aber wir kennen nicht die Schritte, die danach folgten. Wir wissen nicht, wie sich die ersten Sterne entstanden sind, und wir wissen nicht wie genau, wie sich die Galaxien gebildet haben."

    Wissenslücken, die die Forscher mit dem James-Webb-Weltraumteleskop schließen wollen - gerade, wenn es um die Entstehung der ersten Sterne geht. Mather:

    "Die Voraussage läuft darauf hinaus, dass die ersten Sterne nur aus Wasserstoff und Helium bestanden haben. Sie haben sehr viel Masse auf sich vereint und sind sehr schnell ausgebrannt. In wenigen Millionen Jahren ist demnach jeder dieser Sterne explodiert. Dabei sind dann schwerere chemische Elemente entstanden. Und die haben die neue zukünftige Generation von Sternen und Planeten ermöglicht, ein paar hundert Millionen Jahre nach dem Urknall, nach der Entstehung des Universums."

    Um den Spiegel auf diese längst verloschenen Sterne auszurichten, muss der Satellit mit dem James-Webb-Teleskop in einer Entfernung von etwa 1,5 Millionen Kilometern von der Erde stationiert werden - am so genannten "La-Grange-Punkt", wo sich die Anziehungskräfte von Erde und Sonne gegenseitig aufheben. Dort ist es mit einer Temperatur von minus 250 Grad Celsius ungemütlich kalt. Doch erst bei solch niedrigen Temperaturen funktionieren die Messinstrumente an Bord.

    "Jedes Objekt, das eine bestimmte Temperatur hat, kreiert mit dieser Temperatur ein Eigenrauschen. Und wenn Sie Objekte sehen wollen, die ganz, ganz lange Zeit vor unserer Zeit entstanden sind, dann müssen sie natürlich ein sehr, sehr kaltes Messobjekt haben. Sonst würde Sie nur Ihr Eigenrauschen messen","

    erläutert Evert Dudok vom europäischen Raumfahrtkonzern EADS-Astrium. Das Unternehmen baut in München-Ottobrunn und in Friedrichshafen mit dem Infrarot-Spektrometer NIRSpec das wohl wichtigste Instrument an Bord. Die Wissenschaftler sprechen von einem "Superauge im Weltall", das mit seinen Sensoren die schwächsten Strahlungen in den entferntesten Galaxien aufspüren soll. Dabei bedienen sich die Astrium-Fachleute mit Siliziumkardbid eines sehr leichten, gleichzeitig aber überaus festen und temperaturbeständigen Werkstoffes. Daneben ist dem Instrument ein so genannter Micro Shutter Array vorgeschaltet. Da ist eine Art Sieb mit magnetisch steuerbaren Verschlüssen und Öffnungen. Dadurch wird das Licht nur ganz bestimmten Positionen auf das Instrument geleitet. Ralf Maurer, Projektleiter bei EADS-Astrium:

    ""Wir wollen von einzelnen Sternen die Spektren aufzeichnen. Und dazu müssen wir die Sterne, die dafür von Interesse sind, ausblenden. Dann können wir genau zwischen fünf oder 100 Objekte anschauen und da heraus die Spektren aufzeichnen, Wir können nicht das gesamte Bild aufnehmen, so wie es eine Fotokamera aufnimmt. Sondern wir können nur von einzelnen Sternen genau das Spektrum aufzeichnen."

    Ansonsten, sagen die Forscher, würden bei den schwachen Signalen Überlagerungseffekte auftreten, die die Analyse eines einzelnen Himmelskörpers unmöglich machten. Der Start des James-Webb-Weltraumteleskops soll im Jahre 2013 vom europäischen Weltraumbahnhof Kourou mit einer Ariane-V-Rakete erfolgen. Doch nicht nur der Start, sondern auch das Entfalten der riesigen Spiegelwaben im All wird ein spannender Moment für die Wissenschaftler sein. Ervard Dudok:

    "Es sind wahnsinnig komplexe Schritte, dass Sie vermeiden, wenn ein Schritt nach dem anderen durchgeführt wird, dass sich das da nirgendwo verheddert. Das ist ein Wahnsinn!"