Donnerstag, 25. April 2024

Archiv


Familienernährerinnen sind längst Realität

Beruf und Familie - das vereinbaren Frauen schon längst immer stärker miteinander, wie eine neue Studie feststellt. Allerdings ist das nicht Ergebnis der Emanzipation, sondern wirtschaftlicher Notwendigkeiten. Mit einigen negativen Folgeerscheinungen.

Von Johanna Kutsche | 22.07.2010
    Es ist eine zentrale Forderung der Frauenbewegung, dass Frauen arbeiten sollen. Karriere machen. Beruf und Familie vereinbaren. Und dass der Mann Abstand nehmen soll vom Alleinernährermodell. Das Forschungsprojekt "Familienernährerinnen" vom DGB, unterstützt vom Bundesfamilienministerium, hat nun herausgefunden, dass genau diese Forderungen schon längst Realität sind. Ute Klammer ist Professorin für Politikwissenschaft an der Universität Duisburg-Essen und gehört zum wissenschaftlichen Team des Forschungsprojekts.

    "Ja, wir sehen, dass sich über die letzten anderthalb Jahrzehnte statistisch betrachtet der Anteil der Familien, in denen Frauen den überwiegenden Teil des Erwerbseinkommens verdienen, deutlich erhöht hat, ungefähr von 15 auf 21 Prozent."

    Diese Frauen sind mitnichten Feministinnen, sie verstehen ihre Aufgabe nicht als emanzipatorischen Akt. Im Gegenteil:

    "Wir haben unter den Familienernährerinnen sehr unterschiedliche Typen. Das kann sein, weil Frauen eine gute Ausbildung heute haben, gute Erwerbschancen, ein gutes Einkommen, dass sie ihre Männer quasi überflügeln. Wir finden aber überwiegend Typen, wo die Ernährerinnenposition zum Beispiel eingetreten ist, weil der Mann arbeitslos geworden ist, erwerbsunfähig ist, sodass man auch davon sprechen kann, dass der überwiegende Teil der Familienernährerinnenhaushalte unfreiwillig in diese Situation gekommen ist."

    Gut 25 Prozent der Alleinverdienerinnen haben ihre Rolle bewusst gewählt, sie sind meist Akademikerinnen mit hoher Erwerbsneigung, wie es im Soziologenjargon so schön heißt. Sie haben Partner, die ihnen die Karriere ermöglichen und den Löwenanteil an der Familien- und Hausarbeit übernehmen.

    Ein weiteres Viertel der Frauen wiederum hängt zwar eher an der traditionellen Rollenverteilung, findet sich in der neuen Position aber ganz gut zurecht. Sie nutzen die Chance, sich beruflich weiterzuentwickeln und haben Partner zuhause, die offen dafür sind, auch mal den Hausmann zu spielen.

    Bei der überwiegenden Mehrheit der Frauen aber steigt die Belastung. Sie sind nicht nur für das Einkommen der Familie verantwortlich, sondern kümmern sich fast ausschließlich alleine um Kind und Küche. Svenja Pfahl vom Institut für Sozialwissenschaftlichen Transfer überrascht es nicht, dass Hausarbeit weiter Frauensache bleibt, aber:

    "Das ist schon erschreckend zu sehen, welche Belastungen sich dadurch für die Frauen addieren. Also die Erwerbstätigkeit, und es ist ja nicht nur die Arbeitszeit, die man leistet, es ist ja auch das Verantwortungsgefühl und der Druck, zu wissen, ich darf meine Stelle nicht verlieren, weil die Familie hängt von meinem Einkommen ab. Aber sie haben eben dadurch beide Verantwortungen, die für den Erhalt der Erwerbsarbeit und die für die Fürsorge und Betreuung der Kinder."

    Diese Frauen haben sich ihre neue Rolle nicht ausgesucht. Viele von ihnen sind nicht besonders gut qualifiziert oder bekommen nach einer langen Zeit in geringer qualifizierten Jobs gar keine bessere berufliche Perspektive mehr. Rund ein Drittel arbeitet sogar Teilzeit. All diese Frauen waren vor der Arbeitslosigkeit ihres Mannes die klassischen Zuverdienerinnen und müssen mit diesem niedrigen Gehalt nun die ganze Familie ernähren. Das Armutsrisiko für Familien ist statistisch gesehen sowieso schon höher als für Paare ohne Kinder oder Alleinstehende. Durch diese Entwicklung aber steigt es noch mehr. Bei dieser hohen Belastung, so würde man meinen, müssten die Frauen doch protestieren. Ute Klammer:

    "Wir hatten eigentlich erwartet, dass Frauen, die Familienernährerinnen sind, jetzt mit einem anderen Selbstbewusststein und auch mit einem anderen Nachdruck gegenüber ihren Arbeitgebern auftreten und vielleicht auch eine andere Mobilisierungsfähigkeit haben. Das hat sich so nicht bestätigt empirisch. Es ist eher so, dass sich Frauen häufig mit ihrem sozialen Nahraum vergleichen und gar nicht sehen, dass sie unter sehr erschwerten Bedingungen ihre Familie durchbringen, sondern sagen eher, naja, immerhin hab ich noch einen Job."

    Ganz so falsch liegen die Frauen mit dieser Annahme nicht. Gerade für ihre Beschäftigung im Niedriglohnsektor gilt: Je geringer die Qualifikation, desto höher die Austauschbarkeit. Eine zentrale Forderung der Tagung an die Politik war es daher, einen Mindestlohn einzuführen und die Arbeitsbedingungen zu verbessern.

    Was aber ist nun mit den Männern? Bleibt der Partner wirklich den ganzen Tag auf dem Sofa sitzen und schaut zu, wenn seine Frau von der Arbeit kommt und anfängt, zu putzen? Es ist ein wenig komplexer. Ute Klammer:

    "Es war sehr interessant zu sehen, dass Frauen, deren Männer in einer prekären Erwerbssituation sind, nicht etwa die Konsequenz ziehen und sagen: Dann bleibt Du doch lieber ganz zuhause. Da war zum Beispiel jemand, als Mann mit ´nem Nagelstudio oder auch so kleine IT-Tätigkeiten als Selbstständiger, nein! Diese Frauen als Familienernährerinnen setzen ihrerseits noch einmal viel Energie darein, Männer zu unterstützen, sich beruflich besser zu positionieren."

    Zur eigenen Arbeit und dem Haushalt kommt also auch noch das Engagement für die Karriere des Mannes, statt von ihm mehr Engagement für die Familie einzufordern. Es ist nicht so, dass diese Frauen zurück an den Herd wollen. Aber ihnen ist Familie wichtig, ihr Idealmodell ist die Teilzeitarbeit. Das traditionelle Rollenverständnis der Geschlechter scheint viel stärker in den Köpfen verhaftet zu sein als angenommen. Vor allem die Partner der Alleinernährerinnen kommen schlecht damit zurecht, wenig zum Familieneinkommen beizutragen. Ute Klammer:

    "Wir sehen, dass Erwerbstätigkeit in unserer Gesellschaft keinesfalls nur dem Gelderwerb dient, sondern dass eine starke Identifikation vor allem von Männern über Erwerbstätigkeit nach wie vor stattfindet. Und dass deshalb Männer auch sehr unglücklich über diese Entwicklung sind, die ihnen nicht mehr erlaubt, ein Familieneinkommen zu erwirtschaften."

    Umgekehrt kam in den qualitativen Interviews heraus, dass sich auch Frauen stark über ihre Rolle als Mutter identifizieren und ungern Verantwortung abgeben. Beide Geschlechter halten an den traditionellen Rollenvorstellungen fest und sind recht irritiert über die Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt, die das alte Modell ins Wanken bringen. An dieser Stelle lohnt ein Blick in die neuen Bundesländer. Denn der Osten gilt als Vorbild in Sachen Gleichberechtigung. Dort ist es seit Jahrzehnten völlig normal, dass Frauen voll berufstätig sind und trotzdem Kinder bekommen. Familie und Partnerschaft gelten als gleichberechtigt, wenn beide auch ihren finanziellen Anteil beisteuern. Aber eben beide. Svenja Pfahl:

    "Zuständig sein für den Unterhalt des Mannes, das wird nicht von allen Frauen in Ostdeutschland geteilt. Also das ist eine Logik, die für die Ostfrauen sehr "West" ist, sie gehen eigentlich eher davon aus, dass jeder erwachsene Mensch für sich selber verantwortlich ist und für sich selber verdient. Sie erwarten es umgekehrt auch nicht von den Männern, dass wenn sie sich trennen, sie für sich selber Unterhalt bekommen. Manche hätten das Recht gehabt, aber haben es gar nicht wahrgenommen."

    Ob Ost oder West: Bei den Alleinernährerinnen ist eine große Unsicherheit zu spüren. Was die Frauenbewegung in langen Jahren voller Überzeugungsarbeit nicht vermocht hat, schafft nun die Prekarisierung und Flexibilisierung auf dem Arbeitsmarkt. Ob das eine gute Entwicklung ist, sei dahingestellt.

    Auf jeden Fall scheint es an der Zeit, dass die Vielzahl der Alleinernährerinnen gesellschaftspolitisch wahrgenommen werden. Und dass Frauen und Männer neu über ihr Rollenverständnis nachdenken. Ganz pragmatisch. Damit weder ihre Partnerschaft noch die Familie zerbricht.